Massenentlassungen: Sozialplan neuerdings Pflicht
Vorbei die Zeiten, in welchen Unternehmen bei wirtschaftlich bedingten Entlassungen Sozialplanleistungen rein freiwillig anbieten oder auch darauf verzichten konnten. Seit diesem Jahr ist das Erstellen eines Sozialplans gesetzliche Pflicht, wobei sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf den Inhalt des Sozialplans einigen müssen.
(Illustration: Jonas Raeber)
Eher unauffällig wurde das Arbeitsrecht per 1.1.2014 geändert – und das, obwohl die Konsequenzen weitreichend sind. Im Zuge der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung- und Konkurs (SchKG) wurde auch das Arbeitsrecht (OR) in Teilbereichen angepasst. Neu gilt die gesetzliche Pflicht, bei Massenentlassungen einen Sozialplan verhandeln und vereinbaren zu müssen. Unternehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, eine Mehrzahl von Entlassungen auszusprechen, müssen also zwingend einen Sozialplan mit der Belegschaft oder der Arbeitnehmervertretung aushandeln. Zwar haben viele Unternehmen bereits bis anhin einen Sozialplan erlassen, sie konnten dies aber bisher rein freiwillig anbieten und mussten sich nicht mit der Belegschaft über die Leistungen einigen.
Die gesetzlichen Vorgaben
Geregelt wird die Sozialplanpflicht in den neu eingefügten Art. 335e II, Art. 335h bis Art. 335k OR. Die gesetzliche Sozialplanpflicht trifft demnach Arbeitgeber ab einer Grösse von 250 Arbeitnehmern, wenn er innert 30 Tagen mindestens 30 Arbeitnehmenden aus Gründen kündigt, die in keinem Zusammenhang mit ihrer Person stehen. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn die betrieblich bedingten Kündigungen zeitlich verteilt werden – also nicht innert 30 Tagen erfolgen –, sofern die Kündigungen auf dem gleichen betrieblichen Entscheid gründen. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, Verhandlungen über den Sozialplan mit den Arbeitnehmern aufzunehmen und mit ihnen einen solchen auch tatsächlich abzuschliessen.
Auf der Arbeitnehmerseite kommen als Verhandlungspartner je nach Situation unterschiedliche Personengruppen in Frage. Es sind Arbeitnehmerverbände respektive Gewerkschaften, wenn der Arbeitgeber einem Gesamtarbeitsvertrag untersteht. Ist das Unternehmen keinem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) angeschlossen, so verhandelt der Arbeitgeber mit der Arbeitnehmervertretung und wo keine solche besteht, direkt mit den Arbeitnehmern. Weiter sieht das Gesetz vor, dass die Arbeitnehmerseite Sachverständige zu den Verhandlungen beiziehen darf (Art. 335i IV OR). Können sich die Parteien nicht auf einen Sozialplan einigen, so muss ein Schiedsgericht bestellt werden, das schliesslich verbindlich den Sozialplan aufstellt.
Was gehört in einen Sozialplan?
Zwar besteht nun die Pflicht, einen Sozialplan zu vereinbaren, was genau aber zu regeln ist, darüber gibt der Gesetzgeber keine klare Antwort. Gemäss Art. 335h I OR sollen Massnahmen festgelegt werden, mit denen die beabsichtigten Kündigungen vermieden, deren Zahl beschränkt sowie deren Folgen gemildert werden. Arbeitnehmer empfinden einen Sozialplan dann als gut, wenn die Austrittsentschädigungen hoch sind. Arbeitgeber aber möchten immer häufiger die Unterstützungsleistung in die aktive Stellensuche setzen, so dass die von der Kündigung Betroffenen möglichst gar nicht stellenlos werden. Die finanzielle Lage eines Unternehmens beeinflusst direkt den Inhalt und Umfang des Sozialplans.
Für die Verhandlungsführer gilt es daher, der Arbeitnehmervertretung von Beginn weg aufzuzeigen, was drin liegt und wie weit sie ihre Forderungen stellen können. Für grössere Unternehmen kann es durchaus Sinn machen, einen stehenden Sozialplan zu verhandeln und zwar in Zeiten, in denen nicht davon Gebrauch gemacht werden muss. Die Verhandlung zu einem Sozialplan kann mitunter schwierig, zeitaufwändig und kräftezehrend sein, umso mehr sollten grössere Unternehmen in «guten Zeiten» einen Sozialplan vereinbaren. Die Herausforderung liegt dabei darin, die Leistungen so zu definieren, dass sie die nächsten paar Jahre praktikabel sind und das Unternehmen diese auch in einer angespannten wirtschaftlichen Situation tragen kann. Sozialpläne mit mehrjähriger Gültigkeitsdauer werden idealerweise mit juristischer Unterstützung verhandelt.
Konsultationsverfahren mit neuem Schwung
Bei präziser Lektüre der neuen Gesetzesartikel fällt auf, dass die Begrifflichkeiten hinsichtlich Konsultationsverfahren und Sozialplan nicht identisch sind. So wird beim Konsultationsverfahren auf die Betriebsgrösse abgestellt, bei der Sozialplanpflicht wird dagegen hinsichtlich Messgrösse von «Arbeitgeber» gesprochen. Ob damit das Unternehmen als juristische Person gemeint ist, oder ob ebenfalls auf den Begriff Betrieb zurückgegriffen werden kann, wird wohl noch geklärt werden müssen. Ausserdem hat der Gesetzgeber erkannt, dass manchmal Kündigungen über einige Wochen gestreckt werden, um nicht das gesetzliche Konsultationsverfahren durchführen zu müssen. Dies hilft aber nicht, die Sozialplanpflicht zu umgehen, da diesbezüglich alle Kündigungen zusammengezählt werden, die auf den gleichen betrieblichen Entscheid gründen. Anzumerken ist hier, dass die zeitliche Staffelung der Kündigung auch hinsichtlich Konsultationsverfahren problematisch sein kann.
Zuerst Regeln aufstellen, dann verhandeln
Eine Massenentlassung, speziell der Tag der ersten Kommunikation, muss zeitlich akribisch genau geplant werden. Im Hinblick auf die Sozialplanverhandlungen sollte man sich zudem die Zeit nehmen, zunächst die Rahmenbedingungen und den Zeitplan der Verhandlungen zu definieren. Bis wann ein Sozialplan vereinbart sein muss, regelt das Gesetz nicht, die zeitliche Schranke ist aber systembedingt mit dem Datum der Kündigung gegeben.
Die Verhandlungen müssen also möglichst umgehend an die Hand genommen und effizient abgeschlossen werden. Da sich Belegschaft, Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften nun von Gesetzes wegen in die Ausgestaltung des Sozialplans einbringen müssen, werden sie ihre Forderungen härter verfechten. Es gilt abzuwarten, ob mit der Einführung der gesetzlichen Sozialplanpflicht das Risiko von Streikandrohungen und Streiks ansteigt. Die aktive und bewusste kommunikative Steuerung einer bevorstehenden Massenentlassung hilft, das Konsultationsverfahren und die Sozialplanverhandlung geordnet durchzuführen und Streiks zu vermeiden.