HR Today Nr. 4/2021: Inklusion – künstliche Intelligenz

Mehr Inklusion durch intelligente Algorithmen

Künstliche Intelligenz (KI) soll Wahrnehmungsverzerrungen reduzieren und Inklusion sowie Diversität nicht nur im Recruiting, sondern auch in der Personalentwicklung fördern.

Inklusion im Arbeitskontext entsteht, wenn Gruppenzugehörigkeit und individuelle Einzigartigkeit gewährleistet sind (Shore et al., 2011). Fühlt sich ein Gruppenmitglied als zugehörig behandelt und wird ermutigt, sich innerhalb einer Arbeitsgruppe einzubringen, spricht man von einem inklusiven Gruppenklima. Gemäss diversen Studien haben Diversity-Management-Praktiken, welche dieses fördern, einen positiven Einfluss auf Engagement, Bindung sowie Leistung von Mitarbeitenden (Meta-Analyse von Mor Barak et al., 2016). Künstliche Intelligenz (KI) kann somit dazu beitragen, unbewusste Verzerrungen (unconscious bias) bei der Personalarbeit zu reduzieren und Inklusion im Unternehmen zu fördern.

Wo Algorithmen und Matching-Funktiona­litäten weltweit schon eingesetzt werden, erlangt KI im HR eine immer grössere Bedeutung, beispielsweise bei der Personalplanung, bei der Direkt­ansprache von Kandidaten sowie bei ihrer Auswahl. Die dadurch erzielte Effizienzsteigerung im Rekrutierungsprozess führt zu einem erheblichen Zeitgewinn, einer optimierten Kandidatenauswahl und einer besseren Nutzung des Humankapitals. Ermöglicht KI aber auch einen Qualitätsgewinn bei der inklusiven Rekrutierung?

Schon durch diversitätsgerechte Keywords bei Onlineausschreibungen einer Stelle auf Diversity-Job-Plattformen wie diversityjobgroup.ch oder witty.works.ch lässt sich Inklusion im Betrieb fördern. Beim Active Sourcing oder CV-Parsing können zudem die Anforderungen in den automatisierten Anwendungen inklusiv und diversitätsgerecht formuliert werden (Gender Decoder). Dadurch berücksichtigt der Matching-Algorithmus geschlechtsdiverse Begriffe und sucht beispielsweise auf Linkedin oder Xing nach einem diverseren und breiteren Talentpool. Ausserdem lassen sich auf einigen Bewerbungsportalen sozio­demografische Angaben wie Namen, Alter, Geschlecht oder Nationalität zunächst ausblenden, um Diskriminierungen vorzubeugen. Erst nach einer Einladung zum Vorstellungsgespräch werden diese Informationen der rekrutierenden Linie zugänglich gemacht. Dieses Vorgehen ist in einigen Regionen gesetzlich sogar vorgeschrieben. Um Altersdiskriminierungen zu erschweren, darf in der Sonderverwaltungszone Hongkong oder in Kanada der Jahrgang eines Bewerbenden beispielsweise nicht bekanntgegeben werden.

Eine Chance zur Inklusion und besseren Nutzung des Wertschöpfungspotenzials von Menschen ist künstliche Intelligenz somit nur, wenn Inklusion- und Diversitätskompetenzen bei der Entwicklung und Anwendung von Rekrutierungstools vorhanden sind. Fehlen diese, können sich verschiedene Vorurteile sogar verstärken. Bis heute besteht beispielsweise ein Gender Diversity Gap in der KI-Arbeitswelt. Unter anderem sind deshalb gemäss West et al. (2019) bei Google nur 10 Prozent der Angestellten im KI-Bereich Frauen und gerade mal 3 Prozent der Belegschaft ethnisch divers. Besonders stossend ist, dass Algorithmen patentrechtlich geschützt sind und Firmen nicht offenlegen müssen, wie diese programmiert sind.

Um Inklusion zu fördern, kommt künstliche Intelligenz nicht nur in der Rekrutierung zum Zug. Auch in der Personalentwicklung ist sie auf dem Vormarsch, beispielsweise, indem sie für Mitarbeitende auf einer Lernplattform individualisierte Lernpfade schafft, während selbstlernende Assis­tenten ihnen persönliche Lern- und Karriereberatungen ermöglichen. Dabei hilft ein datengestütztes Kompetenzmanagement, individuelle Wissenslücken zu identifizieren und zu schliessen. Gleichzeitig berücksichtigt dieses Vorgehen das individuelle Kompetenzniveau der Mitarbeitenden und schafft neue Lernzugänge und Entwicklungsmöglichkeiten. In der Personalentwicklung hat KI zudem das Potenzial, die Vielfalt von Lerntypen und Lernbedingungen mit Virtual/Augmented Reality besser abzubilden oder Wissensmanagement-Systeme im Betrieb inklusiver zu gestalten.

Kritisch für die Inklusion in der Personalentwicklung ist die der Lernplattform zugrundeliegende Datenanalyse und -verarbeitung. Individualisiertes Lernen basiert auf Learning Analytics, das heisst einer deskriptiven und diagnostischen Datenanalyse von Lernprozessen und Lernerfolgen. Dabei besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende ungleiche Zugangschancen erhalten. Das geschieht häufig, weil die aus der Datenanalyse resultierende Qualität oder die grafische Darstellung der Lerninhalte und Feedbacks nur auf wenigen Daten und vereinfachten Klassifikationssystemen beruhen. Dadurch wird die Inklusion vielfältiger Lernstile oder Motivationstypen auf Lernplattformen nur unzureichend abgebildet.

Mit Blick in die Zukunft lässt sich also sagen, dass KI die Inklusion in Unternehmen stärkt, wenn bei deren Entwicklung Kompetenzen zur Diversität und Inklusion stärker berücksichtigt werden. Solange die Transparenz bei den Algorithmen jedoch so gering ist, sollten KI-Entwicklungsprozesse nach den Prinzipien der prozeduralen Gerechtigkeit wie Stimme, Neutralität, Konsistenz, Akkuratheit, Korrigierbarkeit und Ethik (Colquitt, 2001) gestaltet werden. Zudem sollten die dafür Verantwortlichen ein agiles und evidenzbasiertes Vorgehen bei der Pilotierung von KI-basierten HR-Instrumenten verfolgen, da eine agile und mitarbeiterorientierte Vorgehensweise per se inklusiv ist. Weiter benötigt die Entwicklung der künstlichen Intelligenz eine grössere Datenbasis, um akkurate und inklusivere Entscheidungen zu ermöglichen.

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Daniela Frau, Marius Gerber und Konrad Rietmann arbeiten im Institut für Unternehmensentwicklung an der ZHAW School of Management and Law.

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