HR Today 3/23: Weiterbildung

Micro-Credentials anerkennen

Im internationalen Bildungsmarkt werden sogenannte Micro-Credentials, die kleinere Lerneinheiten anerkennen sollen diskutiert. Doch was bedeuten diese Mikro-Zertifikate für Unternehmen und Personalabteilungen?

Die Nachfrage nach kleinen und kürzeren Lernangeboten (Micro-Learnings) steigt unentwegt. Insbesondere online zugängliche Angebote erfreuen sich grosser Beliebtheit. Schätzungen gehen davon aus, dass sich der Umsatz der Anbieter kleiner Lerneinheiten weltweit bis 2025 fast verdoppeln wird. Je mehr diese genutzt werden, desto stärker ­äussert sich das Bedürfnis nach der Anerkennung von Micro-­Learnings. Hier ­kommen Micro-Credentials als ­Quali­fikationsnachweise für kurze Lerneinheiten ins Spiel. Diese sind teilweise «stapelbar.» Dadurch können mehrere Micro-Credentials zu einem grösseren Abschluss führen.

Kurze Lerneinheiten werden hauptsächlich digital nachgefragt und die Abschlüsse meist mit digitalen Badges gekennzeichnet. Im Bildungsmarkt zeigt sich ein heterogenes Verständnis von Micro-Credentials: Es existieren Angebote, bei denen Lernende bereits nach einer Lerneinheit von rund 30 Minuten ein Zertifikat erhalten. Bei anderen Angeboten dauern ­Lerneinheiten hingegen 100 bis 150 Stunden. Zudem ist offen, ob ausschliesslich institutionalisiertes Lernen in einem Micro-Credential mündet. Einige Bildungsvertreterinnen und -vertreter plädieren dafür, informelles Lernen mit einem Mikro-Zertifikat nachzuweisen– beispielsweise, weil sich Arbeitnehmende durch neue Arbeitsanforderungen Kompetenzen On-the-Job aneignen.

Breite Angebotspalette

Ausserhalb des nationalen Bildungsmarkts existieren diverse internationale Micro-Credential-Angebote. Diese stammen von unterschiedlichen Akteuren wie NGO, grösseren Unternehmen, spezialisierten Lernplattformen oder klassischen Institutionen der Aus- und Weiterbildung.

Hotellerie und Gastronomiebereich: Typsy bietet Online-Kurse und -Schulungen für Gastgewerbe und Hotellerie. Hier können sich Hotelangestellte aus allen Ländern weiterbilden – vom Bartender über Empfangsmitarbeitende über das Putzpersonal bis hin zum Management. Die Plattform entstand durch eine internationale Vereinigung der weltweit grössten Hotel- und Restaurantketten sowie Bildungseinrichtungen und engagierten Einzelpersonen. Online-Lernanbieter: Auf Plattformen wie LinkedinLearning oder Alison veröffentlichen Fachpersonen und Kursleitende eigene Kurse mit unterschiedlicher Lerndauer. Je nach Plattform sind die Angebote für Bildungsinteressierte gratis, über ein Abonnement zugänglich oder müssen einzeln gekauft werden. Nach Abschluss des Bildungsangebotes erhalten die Lernenden einen Micro-Credential der Plattform.

Angebote globaler Grossunternehmen:

  • IBM bietet Mitarbeitenden wie auch Externen eine Reihe von Micro-Credentials in den Bereichen Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. IBM unterhält zudem eine Partnerschaft mit der Northeastern University. Für bestimmte Studiengänge können einige IBM-Badges sogar an Masterstudiengänge angerechnet werden.
  • Google hat ein neues Online-Zertifikat für IT-Support-Jobs eingeführt. Dieses richtet sich an Arbeitssuchende auf Einstiegs- und mittleren Qualifikationsniveaus. Dafür gewann Google ein Konsortium von mehr als zwanzig Arbeitgebern. Etwa die Bank of America, Walmart, Sprint, GE Digital und PNC Bank, die daran interessiert sind, Trägerinnen und Träger des Zertifikats einzustellen.

Hochschulen: Ein bedeutender Player im Bereich der Micro-Credentials sind Hochschulen mit unterschiedlichen Micro-Credentials aus Postgraduates-Programmen, individuellen Kursen sowie Bachelor- und Masterstudiengängen. Teilweise können Micro-Credentials sogar zu einem grösseren Abschluss zusammengefasst werden.

In der Schweiz sind Micro-Credentials noch nicht etabliert. Zurzeit werden sie aber ansatzweise von unterschiedlichen Akteuren und auf verschiedenen Ebenen diskutiert. Am aktivsten sind die Hochschulen, die einzelne Bildungsangebote auf dieser Basis entwickelt haben. Viele stehen aber noch am Anfang oder befinden sich in der Entwicklungsphase. Die EU ist einen Schritt weiter: Aufgrund der Angebotsvielfalt hat die EU einen Standardisierungsprozess innerhalb der Europäischen Union angestossen und der EU-Rat

im Sommer 2022 eine Empfehlung für europäische Micro-Credentials verabschiedet. Ziel ist, die Qualität, Transparenz und Akzeptanz von Micro-Credentials zu erhöhen. Der EU-Rat empfiehlt den Mitgliedstaaten dafür diverse Massnahmen. Etwa, dass Hochschulen ihr Angebot für weitere Lernende öffnen. Ebenso schlägt die EU vor, Micro-Credentials in der Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarktpolitik zu integrieren. Mitgliedsstaaten sollen diese nutzen, um Qualifikationsungleichgewichte und Engpässe in bestimmten Branchen und Regionen zu beseitigen. In der Schweiz ist vorerst nicht geplant, diese Empfehlungen per se zu übernehmen.

Unklare Zukunft

Aktuell ist es noch nicht klar, wohin die Reise in der Schweiz geht. Manche Vertreterinnen und Vertreter des schweizerischen Bildungssystems sehen Micro-Credentials als Chance, andere sind ihnen gegenüber eher kritisch eingestellt. Aufgrund der schnellen technologischen Entwicklung werden «Just-in-time»-Kompetenzaneignung aber immer wichtiger. Hier könnten Arbeitnehmende auf das stetig wachsende globale Micro-Credentials Angebot zurückgreifen.

Auch wenn Unternehmen sich noch nicht damit beschäftigen: Sie werden früher oder später mit Mitarbeitenden konfrontiert, die Micro-Credentials als Kompetenznachweise in ihrem Lebenslauf aufführen. Das hat auch Vorteile. Etwa bei ausländischen Arbeitnehmenden, die in vielen Ländern nach dem Ausscheiden aus einer Firma kein Arbeitszeugnis erhalten. Micro-Credentials könnten diese Lücke füllen und Unternehmen helfen, die Kompetenzen künftiger Arbeitskräfte besser einzuschätzen.

SVEB

Der nationale Verband für Weiterbildung (SVEB) hat einen Bericht zu ­kleinen Lerneinheiten (Micro-Credentials) im nationalen und internationalen Kontext verfasst, um das Potenzial von kleinen Lerneinheiten abzuschätzen und Herausforderungen bei Mikro-Abschlüssen zu erkennen. Der Bericht zeigt, dass sich vor allem Hochschulen mit der Entwicklung von Micro-Credentials befassen und im Weiterbildungsbereich zwar Interesse an Mikro-Abschlüssen besteht, diese aber, nur vereinzelt angeboten werden. Ein Grund liegt darin, dass es keine einheitliche Definition und keine übergeordnete Initiativen zur koordinierten Entwicklung von Micro-Credentials gibt. sveb.ch

Micro-Credentials: Aktuelle Entwicklungen in der Schweiz und auf internationaler Ebene Grundlagenbericht Franziska Hedinger

Quelle: EU-Rat

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Franziska Hedinger

Franziska Hedinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SVEB. alice.ch/de

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