HR Today 4/2019: Recruiting – Bewerber sind auch Kunden

Mit Startup-Groove 
Kandidaten angeln

Start-up-Wettbewerbe sind nicht ganz neu. Richtig eingesetzt können sie Firmen 
aber dazu verhelfen, begehrte Nachwuchskräfte zu finden, auf die sie sonst womöglich nicht aufmerksam geworden wären. So rekrutiert zum Beispiel der Beautykonzern L’Oréal mit einem Wettbewerb jährlich weltweit bis zu 200 Mitarbeitende.

Um den L’Oréal Intrapreneurship Award zu gewinnen und vielleicht sogar einen Job zu ergattern, müssen die jungen Wettbewerbsteilnehmenden einige Hürden überwinden: innert sechs Monaten in Dreierteams ein Marketing- oder Produktkonzept für eine Marke des Beauty-
Konzerns erarbeiten, an dessen Umsetzung feilen und die Entscheidungsträger des Konzerns von ihrer Idee überzeugen.

Dabei legt L'Oréal viel Wert auf Praxisnähe. «Es gibt keine akademischen Präsentationen mehr», sagt die «Brandstorm»-Projektverantwortliche Nadia Boss, die beim Konzern in der Schweiz zugleich als Campus Talent Sourcer amtet. «Die Teams müssen wie Jungunternehmer nach dem Vorbild einer Techshow einen Businessplan ausarbeiten.» Damit steige die Beschäftigungsfähigkeit der Wettbewerbsteilnehmenden, die auch die Bildungsressourcen des Konzerns nutzen können. Mittlerweile hat sich das Projekt zu einem Inkubator für Innovationen entwickelt und L'Oréal dazu verholfen, durch spielerische Aspekte unternehmerisch denkende Talente frühzeitig zu identifizieren und zu testen. «Wir suchen Menschen, die in der Lage sind, den Status Quo zu hinterfragen und sich ständig neu zu erfinden», sagt Nadia Boss. Als Beispiel für ein innovatives Gewinnerprojekt nennt sie ein 3-in-1-Duscherlebnis, welches das Leben der Millennials erleichtern soll. In seiner nichtflüssigen Form sei das Produkt in einer Sporttasche bequem transportierbar, ohne dass es auslaufe.

Unternehmertum fördern

1993 lanciert, hat sich der Wettbewerb seither gewandelt. So vergibt L’Oréal 2019 erstmals keine Stipendien mehr und zeichnet die Gewinner stattdessen mit dem «Intrapreneurship Award» aus. Eine Auszeichnung, die es in sich hat: So können die Jungunternehmenden ihr Geschäftsmodell am Pariser Start-up-Campus «Station F» innerhalb eines L’Oréal-Mentoringprogramms vorantreiben und vielleicht sogar einen Prototyp erstellen.

Ob es ein Projekt in die Endrunde schafft, hängt davon ab, wie innovativ, nützlich, erreichbar und fortschrittlich es ist. Ebenso bewertet wird, ob es die Bedürfnisse des Geschäftsbereichs und des Markts berücksichtigt und wie die jungen Menschen im Team zusammenarbeiten und ihr Projekt präsentieren. «Der Moment der Wahrheit ist der Pitch. Er zeigt uns, ob die Teilnehmenden im Einklang mit unserem Spirit und unseren Werten gearbeitet haben», so Boss. Wer es bis auf das Siegertreppchen geschafft hat, kann sein Projekt am Ende des dreimonatigen Mentoringprogramms vor einer L’Oréal-Jury verteidigen. Ziel sei, «die Finalisten Vollzeit als Teil eines globalen oder lokalen Teams einzustellen.» Indem es jungen Talenten ermögliche, das Unternehmen, seine Herausforderungen und Kultur von «innen heraus» zu entdecken, stärke das Projekt zudem das Arbeitgeber-Image von L’Oréal. «Studenten lernen uns so auf eine andere Weise kennen.»

Hochschulvernetzung

In der Schweiz gehört «Brandstorm» an einigen Hochschulen mittlerweile zum Marketingprogramm. «Die Professoren sind stark eingebunden und schätzen das Umfeld sowie den Kontext des Wettbewerbs», sagt Boss. Für das Unternehmen eine Gelegenheit, sich mit den Studierenden zu vernetzen und ihnen die Marke L’Oréal näher zu bringen. Künftig soll das Engagement durch Partnerschaften an den Hochschulen ausgebaut werden. «Wir wollen eine Begegnungsplattform zwischen Studenten und L’Oréal verstärken, um die bestmöglichen Ideen hervorzubringen.»

Das Schweizer Brandstorm-Gewinnerteam 2017

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Als Schweizer Brandstorm-Finalist 2017 haben Sie ein Produktkonzept für L’Oréal entwickelt...

Hatt Micheloud: Aufgrund von Konsumentenstudien, die L’Oréal gemacht hat, haben wir herausgefunden, dass viele Millennials Angst vor einer mangelnden Spannkraft und Festigkeit der Haut und vor zu wenig Muskeln haben. Deshalb haben sich die Mitgliedschaften in Fitnessstudios in Europa und den USA in den letzten verdoppelt. Weil es für die Schönheitsbranche immer noch schwierig ist, Männer anzuziehen, wollten wir mit einer neuen Produktlinie dieses Problem angehen. Deshalb haben wir als Kernprodukt eine Körperlotion für Männer entwickelt, welche die Haut strafft und die Muskeln definiert. Einer der Inhaltsstoffe ist Kreatin, das in den Fitnessstudios bereits bekannt ist und somit die Hürde zur Nutzung des Produkts verringern sollte.

Weshalb haben Sie teilgenommen?

Als ich noch Student war, gehörte L’Oréal in meiner Top-Unternehmensliste schon zu jenen Firmen, in denen ich meine Karriere starten wollte. Die Teilnahme war für mich deshalb der erste Schritt zu L’Oréal. Das Prozedere war ziemlich unkompliziert. An der HSG wurden wir von einem HR-Vertreter von L’Oréal auf den Wettbewerb aufmerksam gemacht. Wir haben noch vor Ort unser Team zusammengestellt und am selben Tag mit der Fallstudie begonnen.

Was blieb Ihnen besonders in Erinnerung?

Das Finale in Paris wird eine der besten Erinnerungen meines Lebens bleiben. Ich hatte das Glück, viele talentierte Studenten mit unterschiedlichen Hintergründen aus der ganzen Welt zu treffen. Ausserdem hat L’Oréal am letzten Abend eine Party im Palais de Tokyo organisiert. Eine der verrücktesten Partys, die ich je erlebt habe!

Was hat Ihnen das Projekt gebracht?

Ich habe zum ersten Mal erlebt, wie es ist, ein reales Marketingprojekt für ein Unternehmen zu leiten, zusammen mit Kreativagenturen, die jeden Tag mit L’Oréal arbeiten. Das Grösste, was wir gewonnen haben, ist Erfahrung. So haben wir etwa gelernt, eine strukturierte Präsentation zu erstellen, Storytelling zu entwickeln und den L’Oréal-Topmanagern unsere Idee überzeugend zu verkaufen. Das Projekt war zudem ein wichtiger Schritt in meiner Karriereorientierung.

In welcher Position sind Sie bei L’Oréal gestartet?

Nach dem Finale in Paris bin ich bei L’Oréal in der Division für Professionelle Produkte als Praktikant im Marketing eingestiegen, wo ich in verschiedenen Projekten für die Marken Kérastase und Shu Uemura Art of Hair mitwirken konnte. Zwischenzeitlich habe ich in Deutschland in anderen Unternehmen im Marketing gearbeitet, bin dann aber zu L’Oréal zurück. Heute bin ich für die Marketingstrategien der Produktlancierungen der Marken Kérastase und Shu Uemura Art of Hair zuständig.

Brandstorm

1993 von L’Oréal initiiert, gehört «Brandstorm» weltweit zu einem der grössten Innovationswettbewerbe für Studierende. Er wird in 65 Ländern ausgetragen. Jährlich nehmen 34 000 Studierende teil, die in Dreierteams derselben oder aus unterschiedlichen Hochschulen antreten. Während sechs Monaten arbeiten sie an einem Konzept und dessen Umsetzung.

In der Endrunde treten die Finalisten jeweils Ende Mai in Paris an, wo das Gewinner-Team erkoren wird. Dieses kann sein Projekt während eines dreimonatigen Mentoringprogramms am Pariser Start-up-Campus «Station F» vorantreiben und seine Geschäftsidee vor der L’Oréal-Geschäftsleitung präsentieren.

Überzeugt es mit seinen Ausführungen, resultiert daraus ein Prototyp und bestenfalls sogar ein Product-Launch. Von den teilnehmenden Studierenden erhalten jährlich zwischen 150 und 200 einen Arbeitsvertrag bei L'Oréal.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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