Porträt

Mit Schwung nach oben

Von null auf hundert in zehn Jahren: Alexander Brochier stieg mit 30 Jahren ohne entsprechende Ausbildung ins HR ein, und 
wurde bereits mit 40 Personalleiter von Kuoni. Ein hohes Tempo liegt ihm. Dass er eine solch zackige Karriere hinlegen würde, hätte er in seinen jungen Jahren allerdings nicht gedacht. 
Da war ihm Kunstturnen wichtiger als gute Noten.

Einseitigkeit ist nicht sein Ding: Ursprünglich Ingenieur, schaffte es Alexander Brochier auf dem MBA-Umweg bis zum Chief Human Resources Officer von Kuoni. Und ob er «berufslänglich» im Personalfach bleiben wird, sei dahingestellt. Setzt er einen seiner Träume um, wird er eines Tages ein Boutiquehotel leiten. «Wenn alle Stricke reissen, werde ich Kutscher in Davos» – auch wenn das mehr im Witz gemeint ist, so hat der HR-Leiter doch die Voraussetzungen dazu. Auf den Wiesen seines Bauernhofes im thurgauischen Bischofszell tummeln sich vier Pferde, und er besitzt nicht nur das Fahrbrevet, sondern hat als Beifahrer auf Zweispännern an mehreren Schweizer Meisterschaften teilgenommen.

Wie der Vater, so die Tochter

Das Kutschenfahren hat Alexander Brochier in letzter Zeit etwas vernachlässigt. Er arbeitet täglich zwischen neun und 14 Stunden und engagiert sich ehrenamtlich, da will er die verbleibende Zeit mit seiner Familie verbringen. Wobei sich Ehrenamt und Familie vermischen. Denn Alexander Brochier ist verantwortlich für den Betrieb der Sporthalle, in der seine fast 14-jährige Tochter Kunstturnen trainiert.

Sie tritt damit in die Fussstapfen ihres Vaters. Der heute 46-Jährige hat diese Disziplin einst intensiv betrieben: In Aschaffenburg, im Norden Bayerns, aufgewachsen, schloss er sich als Siebenjähriger einem Kunstturnverein an und brachte es mit seiner Mannschaft bis zum Bayerischen Meister. In diesem Sport fühlte er sich heimisch: «Die Menschen im Verein waren meine zweite Familie.» Mit 18 Jahren stoppte ihn eine Verletzung. Ein harter Schlag. Doch statt dem Sport ganz den Rücken zu kehren, begann er, junge Kunstturner zu trainieren. Das kommt ihm noch heute im Job zugute: «Pubertierende Jungs treiben einen an den Rand. Da lernt man, empathisch zu sein, sich aber gleichzeitig auch durchzusetzen.»

Zur Person

Alexander Brochier (1966) wuchs in Bayern auf und war in jungen Jahren leidenschaftlicher Kunstturner. Er studierte Bauingenieurwesen in Nürnberg und hängte nach einigen Jahren Berufserfahrung einen MBA-Abschluss an. Danach arbeitete er unter anderem bei der Südrohrbau GmbH (in verschiedenen Positionen, vom Sales Manager Westeuropa bis zum Leiter für internationale Infrastrukturprojekte). 1997 zog er nach Henau, St. Gallen, und wechselte ins HR: Bei der IMG Group gewann er mit seinem Team diverse «BestPersAwards» für hervorragende Personalarbeit bei mittelständischen Unternehmen in den DACH-Ländern. Seit 2007 ist er als CHRO der Kuoni Reisen Holding AG verantwortlich für das weltweite HRM in über 50 Ländern – und damit für 13 000 Personen. Alexander Brochier ist verheiratet und lebt heute mit seiner Familie in Bischofszell.

«Ein Wort ist ein Wort»

Alexander Brochier zog 1997 berufsbedingt in die Schweiz. Hier fand seine älteste Tochter, als sie vier Jahre alt war, Gefallen am Kunstturnen. Während sie immer intensiver trainierte, engagierte sich ihr Vater zunehmend für ihren Verein, das Trainingszentrum Fürstenland Frauen, zuerst in kleineren Projekten, ab 2007 als Präsident. Und so setzte er sich für den Bau einer Halle ein, die schliesslich 2009 in Wil erbaut wurde: das Regionale Leistungszentrum Ostschweiz, das modernste seiner Art, das sowohl die Bedürfnisse der Spitzenturnerinnen erfüllt als auch für den Breitensport offen ist.

Aus Brochiers Verein kommt die Schweizer Meisterin und Olympiateilnehmerin Giulia Steingruber, in «seiner» Halle wurde, beim Dreiländerwettkampf Russland-Grossbritannien-Schweiz, schon Weltklasse-Kunstturnen geboten – und seine Tochter hat es ins Schweizer Nachwuchskader geschafft. Sie ist zwar wegen einer längeren Krankheit 2012 ausgeschieden, möchte nun aber wieder dorthin zurück und trainiert dafür 21,5 Stunden pro Woche.

«Zurzeit dreht sich unser Familienleben zu einem grossen Teil um diesen Sport», sagt Alexander Brochier. Seine anderen beiden Kinder, ein bald zwölf Jahre alter Sohn und eine fast dreijährige Tochter, sollen aber nicht zu kurz kommen. Unter der Woche kümmert sich vor allem die Mutter um die Kinder, am Wochenende nimmt sich der Vater Zeit – «soeben war ich mit meinem Sohn snowboarden, daher der Sonnenbrand», grinst der HR-Leiter.

Brochier blickt auf eine spannende Karriere zurück. Der Bauingenieur erhielt mit 26 Jahren die Möglichkeit, die internationale Businesswelt kennenzulernen: Im 18-monatigen Full-Time-MBA-Stipendium des Institut Supérieur de Gestion besuchte er Ausbildungsblöcke in Paris, New York und Tokio, und dazwischen gab es Aufenthalte in neun Ländern, wo die Stipendiaten Einblick in die Kultur erhielten und international agierende Manager des jeweiligen Landes trafen. Danach war Alexander Brochier eine Zeitlang Assistent des damals bestverdienenden deutschen Managers, hatte Sales-Funktionen inne und leitete mehrere internationale Projekte, zum Beispiel ein Trinkwasserprojekt in Indien.

Dann kam in ihm der Wunsch auf, im HR zu arbeiten. «Ich war davon überzeugt, dass engagierte Mitarbeiter bei einem Unternehmen einen operativ messbaren Unterschied machen – doch niemand wollte mich in dieser Funktion.» Es dauerte einige Zeit, bis ein ehemaliger Chef, der gerade ein internationales Consultingunternehmen in der Schweiz aufbaute, ihm eine Chance gab: 1997 stieg Brochier dort ein und betreute bald nicht mehr nur das eigene Personal von 80 Leuten, sondern auch auswärtige Consultingmandate im Bereich HRM – und holte so 300 000 bis 500 000 Franken pro Jahr herein. 2003 schloss er den berufsbegleitenden Master «Coaching & Consulting for Change» des INSEAD und des HEC Paris ab, 2007 schliesslich wechselte er als HR-Leiter zu Kuoni. 

Dass Alexander Brochier heute drei Universitätsabschlüsse in der Tasche hat, ist nicht selbstverständlich. Sie waren in seinen jungen Jahren derart unabsehbar, dass er sie heute als den grössten Erfolg seines Lebens bezeichnet. Denn in seiner Schulzeit schrieb er keine guten Noten, das Turnen war ihm wichtiger. Doch dann starben seine Eltern, der Vater an Krebs, als Brochier 20 Jahre alt war, die Mutter nur zwei Jahre später bei einem Unfall auf Teneriffa. Am Krankenbett des Vaters versprach Brochier, sich für seine Ausbildung mehr Mühe zu geben.

Und daran hielt er sich auch. «Ein Wort ist ein Wort», sagt er heute. Zuverlässigkeit ist denn auch einer seiner wichtigsten Werte. Es macht Alexander Brochier wütend, wenn sich jemand nicht an Abmachungen hält, wenn er sich hintergangen fühlt. Auch der grösste Misserfolg seines Lebens geht auf eine gebrochene Abmachung zurück: «Mir wurde mündlich ein Karriereschritt zugesichert, doch als ich meinen Anteil erfüllt hatte, löste die Gegenseite das Versprechen nicht ein.» Das hält den HR-Leiter aber nicht davon ab, den Wert Vertrauen weiterhin hoch zu gewichten. So hat er sein Bauerngut mit 16 000 Quadratmetern Land nicht per Vertrag, sondern per Handschlag mit einem alteingesessenen Thurgauer erworben.

Ausser Dienst

Meine Hobbys: Skifahren, Tauchen, Kutschefahren, Reisen, Heimwerken
Da muss ich lachen: wenn meine fast dreijährige Tochter die «Grossen» imitiert – inklusive meiner selbst
Darüber ärgere ich mich: Dampfplauderer
Dorthin reise ich gerne: Karibik, Hawaii, asiatische Länder. Aber am liebsten entdecke ich immer wieder neue Orte.
Hier entspanne ich mich: vor dem Feuer oder unter einem grossen Baum

Vom Kopf- zum Bauchmenschen

Alexander Brochier tritt locker und sympathisch auf. Leichtigkeit prägt den ersten Eindruck. Und offensichtlich hat er Mut und Selbstvertrauen, immer wieder Neues zu wagen. Fliegen ihm die Dinge zu? «Vieles in meinem Leben hat geklappt, aber es steckt viel Fleiss dahinter», sagt Brochier. Wenn er etwas gern tue, dann mit Leidenschaft. Er sei zudem hilfsbereit und – selbstredend – zuverlässig, entscheidungsfreudig, hartnäckig, weitsichtig und übernehme gern Verantwortung. «Ich kann aber auch stur sein und bin öfter mal zu schnell und zu fordernd für mein Umfeld. Da muss ich mich manchmal auch zurücknehmen.»

Der junge Alexander Brochier war ein Kopfmensch, heute hört er auf seinen Bauch. Und geniesst das Leben: «Mein Vater wollte nach der Pensionierung Brasilien bereisen. Leider hat er das nicht mehr erlebt. Ich spare deshalb nicht nur, sondern gebe auch aus.» Ein Traum wäre eine Weltreise mit genug Zeit, um sich einfach treiben zu lassen. Noch vor der Pensionierung also? «Sicher, das dauert nicht mehr lange!»

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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