«Mitarbeitenden einfach ein Tool aufzwingen – das geht immer schief»
Patrick «Karpi» Karpiczenko ist ein Tausendsassa: Komiker, Satiriker, Drehbuchautor – aber er hält auch Vorträge und Kurse als KI-Experte. Ein Gespräch über sinnige und unsinnige Tools, Macht, HR-«Sauereien» – und warum das Menschliche keine Ausrede sein darf.

Karpi ist gleichzeitig einer der Schweizer KI-Päpste und gleichzeitig kritisch. (Bild: Maurice Haas / zVg)
Karpi: Sag, bevor wir beginnen: Hast du schon eine KI-App, mit der du Interviews transkribierst?
HR Today: Ja, MacWhisper!
Karpi: Ah, gut, sonst hätte ich dir genau diese App jetzt aufgedrängt! [beide lachen]
Was uns ja direkt zum Thema bringt: Was ist ein typischer Fehler, den Unternehmen mit KI machen? Ich habe das Gefühl, es gibt so viele selbsternannte KI-Experten, die im Grunde keine Ahnung haben und mit Tools um sich – und auf ihre Mitarbeitenden – werfen. Aber du bist ja wirklich Experte. Also, was sollte man auf keinen Fall tun?
Karpi: KI bloss zum Sparen einsetzen – das ist der grösste Trugschluss. Dann trifft man nur falsche Entscheidungen. Eigentlich müsste man KI als eine Art Hilfe verstehen. Ein Werkzeug, das Mitarbeitende empowern soll. Heisst: Gib den Leuten die Tools und lass sie damit selbst herumspielen und experimentieren. Das Schlechteste ist wirklich, wenn Vorgesetzte einfach ein Tool auswählen und dieses von oben herab durchdrücken.
Ich höre, das passiert viel.
Karpi: Mega oft. Dann sitzt so ein Chef in einem meiner Kurse, kommt zurück ins Büro und denkt: «Ah geil, jetzt machen wir KI!» und zwingt den Mitarbeitenden irgendein Tool auf. Das geht immer schief. Dann haben alle nur Frust, niemand nutzt es wirklich – und es bringt nix.
«KI bloss zum Sparen einsetzen – das ist der grösste Trugschluss. Dann trifft man nur falsche Entscheidungen.»
– Karpi
Also sagst du: nicht zum Sparen, aber auch nicht direkt zur Produktivitätssteigerung… sondern? Zum Unproduktivwerden?
Karpi: Am Anfang vielleicht sogar. [lacht] Aber mit dem Ziel, dass die Leute mit den richtigen Tools irgendwann wirklich besser arbeiten können. Schau dir Journalisten an – viele von denen wollen einfach nur schreiben. Aber was wird ihnen aufgebürdet? «Mach noch ein Foto!», «Poste es auf Insta!» oder, «Konfektionier's für Plattform XY!», «Mach noch ein Quiz!»…
Ja, das geht wirklich vielen so. Zerstreuung und Task Switching statt Fokus.
Karpi: Da kann KI tatsächlich helfen. Zum Beispiel: Der Journalist oder die Journalistin schreibt den Text, und KI hilft, ihn für verschiedene Kanäle aufzubereiten. Aber das gilt natürlich nicht nur für Journalismus: Das, was du nicht so gern machst – das kann KI dir abnehmen.
Also KI nicht als Ersatz, sondern als Entlastung.
Karpi: Exakt. Das wäre der Idealfall. Und dann gibt's natürlich noch die ganz schlimmen Sachen, die im HR passieren…
Was läuft denn da schief?
Karpi: Die ganz grosse Sauerei ist, wenn KI genutzt wird, um Bewerbungen vorzusortieren. Da wird's richtig schräg. Denn was passiert da? Du trainierst die KI auf vergangene Erfolge – auf Skills, «die früher funktioniert haben». Und was macht sie dann? Sie reproduziert die Vergangenheit. Sie filtert nach dem Durchschnitt. Das führt im Endeffekt nur dazu, dass alles gleich bleibt. Mittel- bis langfristig ist das tödlich. Innovation ade.
«Die ganz grosse Sauerei ist, wenn KI genutzt wird, um Bewerbungen vorzusortieren. Da wird's richtig schräg.»
– Karpi
Im Bezug auf HR: Gleichzeitig werden immer mehr Bewerbungen mit KI geschrieben. Sprich: KI löst in solchen Fällen Probleme, die KI überhaupt erst geschaffen hat.
Karpi: Ganz genau. [lacht] Das ist das Paradoxon. Ich kann heute mit einem Prompt ein zwei Seiten langes, formal perfektes Bewerbungsschreiben erzeugen – obwohl ich eigentlich keinen Bock und keine Gedanken dazu habe. Dann schicke ich es an die Chefin, die sich denkt: «Zu lang!» – und jagt es durch eine KI, die's wieder auf drei Sätze eindampft.
Ein Wettrüsten. [lacht]
Karpi: Beide Seiten benutzen Tools, um sich gegenseitig zu überlisten. Das ist aber nichts Neues – das war bei jeder Technologie so. Nur fühlt es sich dieses Mal irgendwie… dichter an. Als würde man selbst schon mittendrin stecken.
Apropos mittendrin stecken: Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Da gehen die Prognosen weit auseinander. Manche sagen, durch KI werden Jobs verschwinden, andere meinen, KI werde den Menschen ergänzen. Du bist persönlich für die Ergänzungslösung, aber: Wie wird das tatsächlich? Was ist deine Prognose? Oder gibt's vielleicht einen dritten Weg?
Karpi: Ich finde das eigentlich schön: Wir alle sind gerade Teil eines historischen Moments. Das fühlt sich besonders an, dieser Umbruch. Die Technologie ist neu – man kann sie zwar mit der Industrialisierung, dem Internet oder dem Buchdruck vergleichen… aber eigentlich ist sie ihr eigenes Ding.
«Ich finde das eigentlich schön: Wir alle sind gerade Teil eines historischen Moments. Das fühlt sich besonders an, dieser Umbruch.»
– Karpi
Also irgendwie etwas, was sich wiederholt, aber dennoch etwas ganz Neues.
Karpi: Und gerade deswegen sind jetzt drei Dinge entscheidend: Aufklärung, Bildung und Partizipation. Wir müssen KI gemeinsam gestalten – und dürfen das nicht einfach den Multis oder autoritären Staaten überlassen.
Oder einfach verschlafen.
Karpi: Das wäre fatal. KI wird nicht verschwinden. Verweigerung ist keine Option. Die Herausforderung ist: mitgestalten.
Auch in der Techwelt selbst gehen die Einschätzungen stark auseinander. Linus Torvalds, der Erfinder von Linux, hat kürzlich gesagt, KI sei 90 Prozent Marketing und 10 Prozent Realität. Währenddessen sprach Meta-CEO Mark Zuckerberg im Januar bereits davon, bis Mitte dieses Jahres würden Mid-Level-Jobs von Software Engineers durch KI ersetzt werden. Wie lässt sich hier Hype von Realität unterscheiden?
Karpi: Vielleicht sind's sogar mehr als 90 Prozent Marketing. Es ist halt wirklich ein Riesenhype. Plötzlich sind alle «AI-Consultants». Das sind dann die gleichen Leute, die vor ein paar Jahren noch alles mit Blockchain oder Metaverse gemacht haben.
Der Hype spricht immer dieselben an.
Karpi: Es ist absurd. Und viele der Firmen, die an der «Front» mit dabei sind, verbrennen wahnsinnig viel Geld – und CO₂. OpenAI ist zum Beispiel weit weg davon, profitabel zu sein. Microsoft und Google können sich das leisten, weil sie riesige Rücklagen haben.
Also ist es am Ende mehr Hype als Realität? Und das sagst du als KI-Experte, der Kurse gibt, Keynotes hält...
Karpi: Das Krasse ist: Selbst wenn die KI-Grundlagenforschung morgen stoppen würde – wir hätten trotzdem noch zehn Jahre lang genug Anwendungsfelder. Die Modelle von heute… so schlecht wie jetzt werden sie nie wieder sein. Schon jetzt kann jeder einfach ein Bild generieren, die nicht so einfach als KI-generiert erkennbar sind. Wie gut das neue Bildmodell von OpenAI ist, haben wir daran gesehen, als kürzlich überall diese Studio-Ghibli-Bilder und Superhelden-Verpackungen viral gingen. Das war ein epochaler Moment – aber die Leute checken es noch nicht.
«Das Krasse ist: Selbst wenn die KI-Grundlagenforschung morgen stoppen würde – wir hätten trotzdem noch zehn Jahre lang genug Anwendungsfelder.»
– Karpi
Ja, es fühlt sich an wie damals beim ersten iPhone. Alle hatten diese Bierglas-App. Oder die Star-Wars-Lichtschwerter-App.
Karpi: Ja! [lacht]
...aber wie fundamental diese Technologie unsere Welt verändern wird, haben wir damals kaum realisiert.
Karpi: So kommt's mir vor. Wir sehen nur die Spielerei – aber dahinter liegt eine massive Veränderung. Ich nutze KI bereits jetzt für alles. Aber klar: Ich bin Comedian – ich muss keine Wahrheit bebildern, ich will Attitüde. Und dafür ist es perfekt. Für uns in der Unterhaltung oder auch in der Medizin, bei den VFX in Hollywood – ist das längst schon Alltag. Also ja: Es ist Hype. Aber auch echte, mächtige Technologie.
Silicon Valley geht nach dem Prinzip «Move fast and break things» vor – die Entwicklungen rund um KI sind rasant. Umso schwieriger, wenn es sich dabei um eine mächtige Technologie handelt, mit der die Welt umzugehen lernen muss.
Karpi: Was mir immer wieder auffällt: Die Entscheidungstragenden haben null Ahnung. Das macht mir am meisten Sorgen – weil es eben nicht nur Neuland für die Bevölkerung ist, sondern auch für die Politik. In der Forschung – ETH, EPFL – da passiert schon viel. Wirtschaftlich, na ja, so halb. Aber politisch? Katastrophe. Ich habe für SRF Kulturplatz vor zwei Jahren zum Thema KI eine Folge produziert. Und allein diese Sendung hat dazu geführt, dass ein paar Parteichefs plötzlich ein KI-Moratorium für den Wahlkampf diskutieren. Und ich denke mir: Das ist so traurig wie absurd. Meine Comedy-Juxe haben mehr politischen Impact als ernsthafte Papers oder Positionspapiere.
«Was mir immer wieder auffällt: Die Entscheidungstragenden haben null Ahnung. Das macht mir am meisten Sorgen.»
– Karpi
Ich habe manchmal auch das Gefühl, wir leben in einer Welt, in der das Ernsteste oft nur noch durch Humor funktioniert.
Karpi: Und umgekehrt.
Wenn wir gerade bei Humor zu ernsten Dingen sind: Deine Top-Wahl beim KI-Bullshit-Bingo?
Karpi: Ah! Ha! Sehr gut. Sehr gut, das habe ich sogar schon gemacht! Moment. Ah, Mist, Moment, ich habe es irgendwo... [durchsucht sein Handy] Was mich am meisten aufregt, ist, dass jede Sendung über KI, fast jeder Artikel, jede Konferenz, damit aufhören muss, dass die Moderatorin oder der Moderator kommt und sagt: «Ja, aber am Schluss braucht es immer noch uns Menschen». Das regt mich am meisten auf, weil es alles aushebelt, was man vorher gesagt hat, von Wut bis Aktivismus. Dabei ist das gar nicht erwiesen. Das ist schlicht Trost für Kinder.
Das kommt mir bekannt vor. Auch in Bezug auf die HR-Anwendungen. Sei es in Blogs, auf LinkedIn, in Artikeln… immer wieder begegnet mir der Satz: «Man muss aber trotzdem das Menschliche ins Zentrum stellen.» Für mich klingt das so, als würde man gerade durch diesen Satz zugeben, dass es eigentlich nicht so ist.
Karpi: Absolut. Und es bedeutet nichts. Also weisst du, es sind… [überlegt]
…einfach Floskeln.
Karpi: Es sind einfach Floskeln. Genau, das regt mich auf. Aber es gibt so viele im Moment. Zum Beispiel dieser Witz mit «künstlicher Intelligenz» und «natürlicher Dummheit». Wenn den noch mal jemand bringt, morde ich. Der war von Anfang an nicht lustig und ist es immer noch nicht. Und wehe, das kommt dann auch noch im Artikel vor! [lacht]
Doch, das kommt dann einfach eins zu eins.
Karpi: [lacht] Oder noch etwas ganz Schlimmes: Moderatoren, die sagen, «Ich habe ChatGPT gefragt, was für eine Einführung ich machen soll, was für Fragen ich stellen soll, was für Gäste ich einladen soll». Macht jeder Zweite. Don't.
«Leute, die sagen: ‹Ja, aber am Schluss braucht es immer noch uns Menschen›. Das regt mich am meisten auf, weil es alles aushebelt, was man vorher gesagt hat, von Wut bis Aktivismus.»
– Karpi
Gut, das wäre vielleicht vor zwei, drei Jahren noch clever gewesen.
Karpi: Ich halte ständig Kurse, Keynote-Vorträge und dergleichen. Die Leute sind nicht weiter als vor drei Jahren. Oder vielleicht sind die, die weiter sind, nicht an solchen Events. Fair enough. Survivorship-Bias. Es gibt zwei Prozent Nerds in jedem Publikum, die alles wissen. Und der Rest hängt immer noch im Anfangsstadium von: «Ich habe ChatGPT ausprobiert, aber es hat meinen Job nicht auf Anhieb machen können, also habe ich es sein gelassen».
KI kann zwar schon vieles, aber noch nicht alles. Agentische KI – also KI, die autonom Aufgaben ausführt – ist am Horizont. Auch in Hinblick auf den zweiten Interviewteil, in dem es um ADHS und Arbeit geht, du bist schliesslich ein prominenter ADHSler: Was wünschst du dir besonders von KI?
Karpi: Der persönliche KI-Sekretär in der Hosentasche wäre ein Geschenk. Jemand, der sanft und niederschwellig all meine Termine und Obligationen im Griff hat. Persönlich träume ich von dem Moment, an dem KI meine Spesenabrechnung übernehmen kann. Artificial General Intelligence (AGI) ist erst erreicht, wenn ich meine Spesenabrechnung nicht mehr selbst machen muss. Meine Meinung.
Hinweis: Der zweite Teil dieses Interviews zum Thema ADHS am Arbeitsplatz erscheint in der dritten Printausgabe von HR Today.