Neue Chancen für über 50-Jährige
Mit der Initiative «Focus 50 Plus» sollen ältere Arbeitnehmende mindestens bis zur Pensionierung im Arbeitsmarkt verbleiben. Am Online-Lancierungsevent sprachen diverse Persönlichkeiten.
«Focus 50 Plus ist eine begrüssenswerte Initiative, um ältere Arbeitnehmende länger in der Arbeitswelt zu behalten», eröffnete Direktor Roland A. Müller vom Schweizerischen Arbeitgeberverband den online durchgeführten Lancierungsevent. Für Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit des Seco, ist die Notwendigkeit unumstritten, ältere Mitarbeitende verstärkt auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren: «Schon heute treten mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus als nachrücken.» Hans Rupli, Präsident der Initiative Focus 50 Plus, betonte, dass mit der Pensionierung der Babyboomer enorm viel Wissen verloren gehe. Handlungsfelder bestünden vor allem bei der Weiterbildung älterer Arbeitnehmender, der Abkehr von traditionellen Karrierewegen sowie der Zusammenarbeit von Mitarbeitenden unterschiedlicher Generationen. Hinzu kämen die Arbeit über das Pensionsalter hinaus und der Wiedereinstieg älterer Arbeitnehmender, die aus dem Arbeitsprozess herausgefallen sind. «Das bedingt einen branchenübergreifenden Erfahrungsaustausch.»
Weitere Zahlen, Daten und Fakten präsentierte Valérie Müller, Senior Researcher bei Avenir Suisse, in ihrem Beitrag «Bye bye Babyboomers». Das Bild des Fachkräftemangels spitze sich aufgrund der Demografie weiter zu. So würden zwischen 2029 und 2035 die grössten Altersjahrgänge pensioniert. Ausserdem liege die Reproduktionsrate weit unter der Ersatzrate. Ohne Zuwanderung schrumpfe die Schweizer Bevölkerung. Mit Blick auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) fehlten bei gleichbleibendem Wachstum und gleichbleibender Produktivität bis 2050 rund 1,3 Millionen Fachkräfte. Deshalb müssten ältere Arbeitnehmende im Arbeitsprozess bleiben. Möglicherweise sogar über die Pensionierung hinaus. Das lohne sich: «Sie sind wesentlich loyaler als Jüngere und bleiben Arbeitgebenden länger treu.» Dass sich Ältere nicht weiterbilden, entspräche nicht den Tatsachen. «Rund 60 Prozent belegen jährlich eine Weiterbildung.» Besonderen Handlungsbedarf ortet Müller deshalb bei der Erhöhung und Flexibilisierung des Rentenalters, bei besseren Anreizen für das Arbeiten im Alter, bei Teilzeitarbeit sowie Teilrenten und der Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit.
Mit dem Zitat der Dallas-Serien-Legende Joan Collins: «Das Alter ist irrelevant, ausser du bist eine Flasche Wein», eröffnete Ypsomed-HR-Leiter Michael Zaugg seinen Vortrag. «Jüngere lernen schneller, aber vergessen auch schneller, während Ältere länger zum Lernen brauchen, das Gelernte aber besser behalten», benennt er die Lernunterschiede der Generationen. Ältere Mitarbeitende hätten zudem mehr Selbstvertrauen, Fähigkeiten zur Reflexion, seien stabiler und gelassener und könnten andere besser einschätzen. Zudem managen sie schwierige Situationen besser, erkennen Zusammenhänge und können bereichsübergreifend denken. Um sie am richtigen Ort einzusetzen, brauche es aber Fantasie: «Eine Karriere geht nicht nur aufwärts, Mitarbeitende können auch einen Schritt zurücktreten und sich mit einem Fachthema auseinandersetzen.» Welche Arbeitsmöglichkeiten ein Unternehmen biete, sei hauptsächlich eine Geisteshaltung. Abschliessend wagte Gudela Grote von der ETH Zürich mit ihrem Vortrag einen Blick in die Zukunft der Arbeit und zeigte Problempunkte auf. Etwa, dass Arbeitnehmende künftig abwechslungsweise innovativ und routinemässig tätig sein müssten, um Geschäftsmodelle zu entwickeln und bestehende zu bewirtschaften. Noch seien die Ideen von Mitarbeitenden zu wenig gefragt: So können gemäss HR Barometer 2021 Mitarbeitende ihre Ideen weniger einbringen, als sie in vergangenen Befragungen angaben. Zudem bestünden Altersstereotypen. Auslöser von Konflikten zwischen den Generationen ortet Grote vor allem in den «unterschiedlichen Arbeitsstilen». Auch wachse die gefühlte Arbeitsplatzunsicherheit, während die Zufriedenheit stagniere. Der Grund? «Wir halten an dem fest, was wir haben, und sind weniger veränderungswillig.»