Nicht um jeden Preis
Einerseits wünschen sich Arbeitnehmende mehr Offenheit zu Löhnen. Andererseits ist vornehmes Schweigen zu finanziellen Themen in der Schweiz kulturell verankert. Wie soll ein Unternehmen damit umgehen?
Lohntransparenz: Wann sie sich lohnt und wann nicht. (Bild: iStock)
HR-Teams stellen sich zur Lohntransparenz-Diskussion im Kern folgende zwei Fragen: Inwiefern sind wir bereit, transparent zu machen, wie Löhne bei uns festgelegt werden, und in welchem Umfang wollen und können wir exakte, individuelle Lohninformationen offenlegen? Das ist auch branchenabhängig. So sind die jeweiligen Lohnbänder bei Verwaltungsstellen fest definiert und öffentlich zugänglich, während diese in der Privatwirtschaft nur intern, wenn überhaupt, kommuniziert werden. In einer Studie der Universität Luzern, zu der über 500 HR-Verantwortliche aus privaten, öffentlichen und Non-Profit-Unternehmen mit Sitz in der Schweiz befragt wurden, zeigte sich hierzu, dass sich Organisationen mit Lohntransparenz unterschiedlich zurückhalten.
Ist diese bei Lohnnebenleistungen am höchsten, fällt sie bei individuellen variablen Lohnbestandteilen am tiefsten aus. In der Studie gab die Hälfte der untersuchten Unternehmen an, wie Grundgehälter, Lohnerhöhungen oder variable Vergütungen auf Team- oder Unternehmensebene zustande kamen. Lediglich 40 Prozent erklärten jedoch, wie sich der individuelle und variable Vergütungsanteil zusammensetzt. Transparenz bei der Höhe des Grundlohns, bei Lohnerhöhungen sowie team- oder unternehmensbasierter variabler Vergütung kennen 30 Prozent der befragten Unternehmen. Weitere 30 Prozent veröffentlichen dagegen nur zusammengefasste Informationen wie Lohnbänder oder -mittelwerte.
«New Work» und Lohntransparenz
Die vollständige Offenlegung aller Löhne gewinnt wegen des Themas «New Work» an Aktualität. Da sich Hierarchien in der neuen Arbeitswelt oft verringern oder wegfallen, werden unter dem Begriff «New Pay» neue Ansätze zur Festlegung der Vergütung diskutiert. Einzelne Start-ups und KMU gehen mittlerweile so weit, dass Mitarbeitende in einem mehrstufigen Prozess ein gewünschtes Lohnminimum und -maximum angeben, um den Lohn anschliessend im Team auszuhandeln. Eine solche «radikale» Lohntransparenz kann in einzelnen Unternehmen funktionieren. Für einen Grossteil der Unternehmen ist sie aber nicht umsetzbar, da etablierte Lohnstrukturen auch aufgrund vertraglicher Bedingungen nicht per sofort verändert werden können.
Bei «New Work» steht zudem der Gesamterfolg eines Teams und des Unternehmens im Zentrum und nicht mehr das persönliche Abschneiden eines einzelnen Mitarbeitenden. Deshalb sollte die Vergütung bei «New Workern» nicht mehr an individuelle Ziele geknüpft werden. Hingegen sollte der variable Lohnanteil als Erfolgsbeteiligung auf dem Team- oder Unternehmenserfolg basierend ausbezahlt werden. Dies fördert die Zusammenarbeit und sorgt für innovationsorientiertes Arbeiten. Gleichzeitig dürfen aber individuelle Ziele und Beurteilungen nicht fehlen. Der Brückenschlag gelingt mit dem Ansatz «Führung und Geld trennen».
Dabei ist wichtig, dass Mitarbeitenden das Lohnsystem erklärt wird. Da sich die Rollen und Verantwortlichkeiten bei weniger ausgeprägten Hierarchien innerhalb eines Unternehmens rasch verändern können, sollten sie wissen, welche Lohnbänder mit welchen Anforderungsprofilen verknüpft sind und die Anforderungen kennen, um in ein höheres zu gelangen. Dies verschafft Mitarbeitenden Klarheit zu ihrer Vergütungssituation und zeigt auf, was sie leisten müssen, um einen höheren Lohn zu erhalten. Eine vollständige Lohntransparenz ist auch bei «New Work» nicht notwendig, weil interne Diskussionen mit der Offenlegung des Lohnprozesses bereits vermindert oder verhindert werden können.
Trotz Lohnanalysen keine gläsernen Saläre
Einen festen Platz hat die Salärtransparenz auch in der Gleichstellungsdebatte. Um die immer noch bestehende Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern zu adressieren, trat am 1. Juli 2020 die Revision des Bundesgesetzes für die Gleichstellung von Mann und Frau in Kraft: Arbeitgebende mit über 100 Mitarbeitenden müssen alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchführen und diese durch eine unabhängige Stelle validieren lassen. Die Transparenz im Lohnfindungsprozess lindert zwar das Ausmass einer Diskriminierung, die absolute Lohnhöhe ist aber nach wie vor privat. Somit kann die Lohngleichheitsanalyse zwar zu mehr Disziplin im Gehaltsystem beitragen und die Lohndiskriminierung abschwächen und bestenfalls verhindern, sie führt aber nicht per se zu mehr Lohntransparenz.
Keine zunehmende Zufriedenheit
Eine hohe Lohntransparenz führt nicht automatisch zu mehr Arbeitszufriedenheit: Etwa im US-Bundesstaat Kalifornien, wo im öffentlichen Dienst 2012 eine weitgehende Lohntransparenz eingeführt und die Höhe der Gehälter offengelegt wurden. Als Resultat sank die Arbeitszufriedenheit bei den Gutverdienenden aufgrund ihres Lohnvergleichs mit Kollegen und bei Niedrigverdienenden durch den Lohnvergleich mit anderen Bereichen.
Eine unterschiedliche Betrachtungsweise ist ebenso bei unterschiedlichen Tätigkeiten erforderlich: Bei objektiv nachvollziehbaren effizienzorientierten, repetitiven Aufgaben können Löhne einfacher offengelegt werden als bei innovationsorientierten, kognitiv anspruchsvolleren Tätigkeiten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Unternehmen mit gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitenden häufiger individuelle Informationen zur Vergütung und zu Lohnerhöhungen veröffentlichen.
Zweifelsohne ist Offenheit eine Schlüsselanforderung bei der Einführung von mehr Lohntransparenz. Will man die Gehaltshöhe offenlegen, muss zuvor jedoch Transparenz im Lohnprozess geschaffen werden, damit alle Beteiligten wissen, aus welchen Bausteinen ein individueller Lohn besteht. Ansonsten kommt es zwischen den Mitarbeitenden zum Lohngerangel. Ein transparentes Lohnsystem ersetzt die Führung durch Vision und Inspiration nicht. Deshalb ist – wie wir es nennen – «Führung und Geld trennen» wichtig. Auch wenn Hierarchien zunehmend abgebaut werden, muss dem Mitarbeitenden bei «New Work» Sinn vermittelt und erklärt werden, warum gewisse Aufgaben im Gesamtkontext wichtig sind.