«Non-Profit-Organisationen werden häufig unterschätzt»
Was bringt eine datenbasierte Recruitingstrategie? Welche Gefahren und Grenzen gehen damit einher? Am 27. September spricht Marcel Rütten an der Recruiting Convention in Zürich über Recruiting Analytics und Smart Data. Er ist HR-Verantwortlicher der deutschen Non-Profit-Organisation Kindernothilfe.
«Ich höre das Vorurteil öfters, dass Non-Profit-Organisationen wegen ihres schmaleren Budgets nicht gleich professionell wie Wirtschaftsunternehmen sein können.» – Marcel Rütten, HR-Verantwortlicher, Kindernothilfe. (Bild: zVg)
Herr Rütten, Sie werden an der Recruiting Convention über Recruiting Analytics und Smart Data sprechen. Es überrascht, dass sich eine NPO damit beschäftigt ...
Marcel Rütten: Ich höre das Vorurteil tatsächlich öfters, dass Non-Profit-Organisationen wegen ihres schmaleren Budgets und den geringeren Ressourcen nicht gleich professionell wie Wirtschaftsunternehmen sein können. NPO werden häufig unterschätzt. Dabei macht es doch gerade der engere finanzielle Rahmen notwendig, dass NPO mit spendengenerierten Geldern sorgsam umgehen. Deshalb sollten sie unbedingt Zahlen- und Datenanalysen betreiben.
Was beinhalten die Begriffe Recruiting Analytics und Smart Data für Sie?
Bei dem Thema geht es darum, eine datenbasierte Recruitingstrategie zu entwickeln, damit die Touchpoints während der Candidate Journey so ausgerichtet werden können, dass Bewerber und Arbeitgeber am ehesten matchen.
Weshalb sind Ihnen die Themen Recruiting Analytics und Smart Data so wichtig?
Zuallererst helfen mir die Analysen die Kontrolle über die Kosten und Performance meiner Aktivitäten im Recruiting zu gewinnen. Sobald ich durch diese Erkenntnisse eine ausreichende Transparenz erlange, kann ich weitere Massnahmen ableiten: Etwa den Content, den ich anbiete, den Wünschen der Zielgruppe anpassen oder aber Teilprozesse im Recruiting verändern. Die gewonnenen Daten helfen also, bessere Entscheidungen im Personalmarketing und in der Personalauswahl zu treffen.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie bisher gewonnen haben?
Die Ergebnisse spiegeln sich in der Personalauswahl in Faktoren wie Identifikation, Commitment, Zufriedenheit und Fluktuation wider. Das bedeutet ganz konkret, dass wir seit vielen Jahren nahezu keine Frühfluktuation haben – und eine aussergewöhnliche Motivation, bessere Performance und starke Mitarbeiterbindung als positive Effekte spüren können.
Welche Tools nutzt Ihre Organisation?
Bei der Kindernothilfe nutzen wir eine Vielzahl von Analyse-Tools im Personalmarketing und im Recruiting, welche die Touchpoints der Candidate Journey beleuchten und Rückschlüsse auf alle Phasen zulassen. Zu den Tools zählen beispielsweise Social Media Listening, Web Analytics, Heatmaps, Online-Befragungen sowie ein Online-Assessment-Tool zur Messung des Cultural Fits.
Welche Kompetenzen braucht es, um damit umzugehen?
Digitale Affinität gepaart mit einer grossen Portion Neugier sowie Kompetenzen in der Datenanalyse. Der Umgang mit Daten sollte jedenfalls keine Bauchschmerzen verursachen.
Wo sind Ihrer Meinung nach die Grenzen solcher Tools? Wie gross bleibt der Unsicherheitsfaktor bei der Anstellung eines Kandidaten?
Bevor wir eine Person einstellen, gibt es in Recruiting-Prozessen eine Reihe von Sicherheitsbarrieren, die Kandidaten überwinden müssen. Die Tools dienen so der Risikominimierung bei der Personalauswahl. Fehlinterpretationen beim Einsatz von Analyse-Tools können aber dazu führen, dass die falschen Kandidaten die Barrieren überwinden und die richtigen auf der Strecke bleiben. Ausserdem können zu viele Barrieren auf Bewerber auch abschreckend wirken.
Und wie vermeidet man, dass man durch die bessere Datengewinnung Bewerber abschreckt?
Indem man Bewerbern ebenfalls einen Benefit bietet. Nehmen wir den Cultural Fit Test, den wir unseren Bewerbern auf unserer Karriereseite anbieten, als Beispiel: Kandidaten, die das Online-Assessment abgeschlossen haben, erhalten unmittelbar danach ein Matching Score sowie einen detaillierten Kandidatenreport mit den jeweiligen Ergebnissen, so dass sie für sich selbst bewerten können, ob sie zur Organisationskultur des Arbeitgebers passen. Danach sind sie in der Lage, neu zu beurteilen, ob sie ihr Interesse an einer Bewerbung weiter aufrecht erhalten.
Führen solche Tools nicht dazu, dass einzelne Bevölkerungsgruppen bevorzugt werden – etwa Extrovertierte gegenüber Introvertierten?
Den Schwerpunkt des Recruitings auf die Persönlichkeit der Kandidaten zu legen, kann auch zu Fehlentwicklungen führen: Nämlich genau dann, wenn nur noch Personen eingestellt werden, die möglichst gleich sind. Es ist daher wichtig, sowohl auf den supplementären als auch auf den komplementären Fit zu achten. Damit sind Charaktereigenschaften und Attribute gemeint, die die herrschende Kultur einer Organisation widerspiegeln, aber auch andere, die die eigene Kultur weiterentwickeln und in die richtige Richtung lenken. Im Idealfall stimmen die Wertvorstellungen aller Mitarbeiter mit denen des Arbeitgebers überein, formen aber trotzdem eine aus Diversität resultierende, vielseitige und facettenreiche Kultur. Als Recruiter werde ich durch den Einsatz solcher Tools in die Lage versetzt, steuern zu können, wie die Unternehmenskultur sich durch die Personalauswahl verändern soll. In welche Richtung das letztlich gehen soll, hängt stark davon ab, welche Ziele das Business in naher und ferner Zukunft verfolgt.
Recruiting Convention 2018
Am 27. September 2018 findet im Lake Side Zürich die 8. Recruiting Convention Zürich statt. Erfahrene Spezialisten aus der Schweizer und deutschen Personalmarketing- und Recruiting Szene plaudern aus dem Nähkästchen und diskutieren über zukunftsorientierten Themen. Weitere Informationen