Online-Recruiting: Zum Stand der Dinge
Nachdem sich Jobbörsen, Linkedin und Xing im Recruitingmarkt etabliert haben, stehen nun die Digital-Giganten Facebook und Google in den Startlöchern, den Markt weiter aufzumischen. Impact unbekannt. Aber Anlass genug, die Potenziale zu reflektieren.
Firmen, die heute schon ihre Vakanzen auf Facebook bewerben, berichten oft von positiven Erfahrungen. (Bild: 123RF)
Zugegeben: Ich bin kein Prophet. Auch erhebe ich nicht den Anspruch, einer zu sein. Wenn aber, wie von der Handelszeitung am 1. März 2018 kommuniziert, der «blaue Riese» Facebook offiziell ankündigt, sein Angebot «Facebook Jobs» auch in der Schweiz zu lancieren, sollte uns das aufhorchen lassen. Da kann etwas Grosses auf uns zukommen. Oder eben auch nicht. Je nach Wissensstand oder persönlicher Haltung driften die Meinungen ziemlich auseinander.
Aber lassen wir die Fakten sprechen: Facebook ist auch in der Schweiz ungeheuer mächtig. Seine Reichweite sucht ihresgleichen. Die Werbemöglichkeiten werden in der Kommunikationswelt geschätzt, die Targeting-Möglichkeiten sind toll, die Kosten-Nutzen-Relation für Onlineverhältnisse sehr gut.
Überraschende Volumina
Über Sinn und Unsinn des Nutzens von Facebook möchte ich mich hier nicht auslassen. Und ja: Facebook ist bei unter 20-Jährigen in der Regel kein Thema mehr und selbst bei den unter 30-Jährigen nicht zwingend die präferierte Social-Media-Plattform. Ich würde dementsprechend also weder versuchen, Lernende über Facebook anzusprechen, noch als Universität dort für Studiengänge werben. Allerhöchstens als Ergänzung im Mediamix.
Ich glaube aber kaum, dass man 3,8 Millionen Nutzer (Quelle: Bernet Blog) als unerheblich erachten kann. Viele davon sind Berufstätige. Ein riesiges Potenzial. Selbst die oft geäusserte Befürchtung, dass man in Social Media Privates nicht mit Geschäftlichem mischen möchte, relativiert sich dann. Die Grenzen werden sich aufweichen und vermischen. Wenn nur schon 20 Prozent der Schweizer Population auf Facebook kein Problem mit einer geschäftsrelevanten Interaktion hat, ergeben sich immer noch überragende Volumina. Firmen, die bereits heute ihre Vakanzen auf Facebook bewerben, berichten oft von positiven Erfahrungen.
Facebook: Beachtliches Potenzial
Facebook verspricht einen integrierten Ansatz: Anzeigenschaltung und «Mini-ATS» in einem geschlossenen System mit Dialogmöglichkeiten über ihren Messenger. Selbst Interview-Terminvereinbarungen mit Kandidaten sollen möglich werden. Eigentlich toll. Doch wie verbindet man dies mit bereits bestehenden Systemen und Prozessen? Das ist durchaus ein möglicher Stolperstein. Gerade für grössere Firmen, deren Systemlandschaft sie oft unflexibel macht. Zumindest noch.
KMU dagegen, die häufig über handgestrickte Recruiting-Prozesse und kaum über HR-Systeme verfügen, könnten in einem solchen integrierten Ansatz Vorteile finden. Denn möglicherweise sind es genau diese Firmen mit regionaler Ausstrahlung, die bei Facebook gut aufgehoben wären. Basis für die Rekrutierung wird nämlich ein Facebook-Firmenprofil sein, das bei einer Anzeigenschaltung um den Tab «Jobs» erweitert wird.
Dies stellt Firmen jedoch vor neue Herausforderungen: nämlich Facebook grundsätzlich mit einem integrierten Ansatz zu nutzen. Das ist nicht so trivial, wie von Entscheidern – die notabene oftmals Nichtnutzer sind – gerne angenommen wird. Denn die professionelle Nutzung von Social-Media-Kanälen ist ressourcenintensiv. Nichts ist schlimmer als verwaiste Unternehmensprofile.
Xing und Linkedin: Traute Koexistenz
Apropos Social Media: Sowohl Xing als auch Linkedin kommunizierten kürzlich eine stark wachsende Nutzerschaft in der Schweiz. Xing feierte im Februar 2018 seinen millionsten Nutzer in der Schweiz bei total 13,4 Millionen Nutzern (primär im DACH-Raum) und beschäftigt hierzulande inzwischen bereits zwanzig Mitarbeitende.
Linkedin verkündete im Februar elf Millionen Nutzer im DACH-Raum, wobei der Schweiz mit knapp zwei Millionen Nutzern eine besondere Bedeutung zukommt. Beide haben einen Relevanzgrad erreicht, der sie in der geschäftsbezogenen Kommunikation immer wichtiger macht. Im Recruiting sowieso, zunehmend aber auch als Marketing- und Saleskanäle. So ähnlich die beiden Angebote in den Kernnutzen auch sind – es hat sich mittlerweile eine Koexistenz eingespielt.
Ihr gemeinsamer grosser Nachteil gegenüber Facebook: Der Anteil an White-Collar-Profilen ist ausserordentlich hoch. Wer für Gewerbe und Industrie nach Blue-Collar-Profilen sucht, wird nur selten fündig. Genau hier erkenne ich das grösste Potenzial von Facebook. Dort finden wir ein grosses Sammelsurium von Menschen aus allen Schichten und Berufsfeldern. Wenn es Facebook also gelingt, berufsbezogene Informationen aus den Profilen zu generieren, dürfte es spannend werden, weil die Ansprache dann noch zielgenauer stattfinden kann.
Leidensdruck steigt
Wenn kein Leidensdruck besteht, sind gelernte Handlungsmuster nur schwer veränderbar. Insbesondere im Recruiting. Wieso etwas verändern, das funktioniert? Nur funktioniert «es» zunehmend schwerer. Deshalb sollten sich auch die Jobbörsen warm anziehen. Jobcloud agiert proaktiv und lanciert spannende neue Services wie Talentfly (Mobile Recruiting) oder Applifly (Anzeigen in Reichweitennetzwerken mittels Methoden des Performance-Marketings). Zudem bietet Jobcloud neuerdings auch eine Arbeitgeberbewertungsfunktion (Kununu lässt grüssen!). Die Kunst und Herausforderung wird für Jobbörsen generell darin bestehen, auch passiv suchende Menschen ansprechen zu können. Und genau hier schlummert wiederum für Facebook grosses Potenzial.
Wie so oft gilt: Not macht erfinderisch. Eine Speerspitze von innovativeren Unternehmen ist sich dessen bewusst und setzt zunehmend auf einen diversifizierten Mix in der Kandidatenansprache: Active Sourcing, Spezialisten-Plattformen, Zielgruppen-Foren, Online-Marketing oder Events werden zunehmend als erfolgreiche Recruiting-Kanäle erkannt und genutzt. Es bleibt abzuwarten, wie gross der Leidensdruck in Unternehmen noch wird. Spätestens mit der anstehenden Pensionierung von Babyboomern werden sie ihn spüren.