HR Today Nr. 4/2022: Debatte

Rentenalter 67?

Sinnvoll oder sinnbefreit: Das von politischer Seite kontinuierlich aufs Tapet gebrachte «Rentenalter 67» polarisiert – auch bei unseren Debattierenden. Was davon zu halten ist.

Anja Buser, HR Strategies, HR Campus: «Wir befinden uns in einem Arbeitnehmermarkt.»

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Die Diskussion über die Erhöhung des Rentenalters wird hauptsächlich politisch geführt: Es gibt genügend Statistiken und Studien, die aufzeigen, dass der Anteil der Erwerbstätigen pro Rentner und Rentnerin (Altersquotient) zum einen sinkt. Zum anderen sind wir aber auch länger fit und leben länger als Generationen, die zu Zeiten der AHV-Einführung im Jahr 1947 erwerbstätig waren. Viel spannender ist aber: Unabhängig vom gesetzlichen Rentenalter spricht nichts dagegen, ältere Arbeitnehmende schon heute weiter zu beschäftigen.

Zeit, zum Handeln, denn in der Schweiz ist die Frühpensionierungsquote von Arbeitnehmenden zweieinhalb Mal so hoch wie die der Selbstständigerwerbenden. Das spiegelt für mich eine Haltung, die immer noch in vielen Unternehmen spürbar ist: «Ist doch gut, wenn sich Mitarbeitende frühpensionieren lassen. Die kosten sowieso viel, sind weniger leistungsfähig und nicht flexibel. So gibt es Platz für Jüngere.» Dabei fehlt der Bezug zur Realität komplett. Wir befinden uns in einem Arbeitnehmermarkt. Die Stellenbesetzungskosten sind immens. Der Anteil der über 50-jährigen Erwerbstätigen ist und bleibt bei einem Drittel.

Klar kann ich diese Arbeitnehmenden ignorieren. Als Arbeitgeberin kann ich aber auch überlegen, was ich tun kann, damit sie sich wohlfühlen und zum Unternehmenserfolg beitragen. Mein persönliches Beispiel: Als blutjunge Beraterin Ende 20 arbeitete ich an meinem lehrreichsten Projekt mit zwei Ansprechpartnern auf Kundenseite. Der eine war Mitte 60 und davor COO in Asien und der andere Ende 50 und ehemaliger CFO einer Ländergesellschaft. Mein Kunde hätte diese beiden Mitarbeitenden einfach in die Pension schicken können. Doch wir drei ergänzten uns perfekt und waren ein so gutes Team, dass wir mit dem Projekt Unmögliches schafften.

Nebst altersgemischten Teams und Aufgabenanpassungen gibt es viele weitere Ideen, um ein gutes Arbeitsumfeld für ältere Mitarbeitende zu schaffen. Etwa Teilzeitangebote im Sinne einer Sinuskarriere, Weiterbildungsprogramme oder proaktive Wellbeing-Programme. Genauso wichtig ist es aber, eine Kultur zu fördern, in der ältere Mitarbeitende Wertschätzung erfahren. Wir können das Rentenalter auf 70 Jahre erhöhen, aber solange wir an unserer Haltung nichts verändern, wird uns das nichts bringen.

Christoph Hilber, Personalberater, P-CONNECT – Executive Search & Outplacement: «Steuersysteme machen die Arbeit im Alter unattraktiv.»

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Die politische Diskussion zur Erhöhung des Rentenalters auf 67 soll ein Beitrag zur Sanierung der Sozialversicherungen sein, blendet aber Systemwidersprüche aus: etwa, dass das Konsumpotenzial der «Grauen Panther» um etwa 10 bis 15 Prozent reduziert wird, arbeiten bis 67 nicht in allen Positionen möglich ist oder die Umschulung von Arbeitnehmenden mit körperlicher Tätigkeit in Bürojobs oder Ähnliches nicht einfach wird. Die Aussage: «Zwei Jahre länger arbeiten, könnte den (Fach-)Kräftemangel entschärfen», tönt gut. Allerdings haben heute schon 50+ ein Problem auf dem Arbeitsmarkt. Das Potenzial wird von 65+ bei der Weiterbeschäftigung und beim Wiedereinstieg wohl nicht attraktiver. Ohne Lösung dieser Systemwidersprüche werden Kosten aus der AHV in die ALV und von der PK in die Sozialhilfe verlagert.

Mögliche Lösungsansätze: Flexible Arbeitsmodelle sind wie für Jungfamilien auch im Alter sinnvoll, um Arbeit und Lebensgenuss zu vereinbaren. Zudem sollten GAVs und PK-Reglemente angepasst werden. Ohne das ist eine Anstellung von 50+ heute schon schwierig, 65+ werden so keine Arbeit mehr finden. Daneben machen Steuersysteme die Arbeit im Alter unattraktiv.

Unberücksichtigt bleibt auch, dass viele Pensionierte Freiwilligenarbeit ­leisten. Oft auch in der Pflege. Arbeiten sie länger, führt ein Teil der AHV-Einsparungen somit zu steigenden Gesundheitskosten. 50+ werden ausserdem viel weniger umworben als Hochschulabgänger, die zuerst in die Praxis eingearbeitet werden müssen. Das ist bei 50+ nicht notwendig. Häufig müssen sie jedoch umgeschult werden, beanspruchen dank ihrer Lebenserfahrung aber weniger ­Coachings.

Nicht nur Arbeitgebende, auch Arbeitnehmende müssen neu denken: Mit zunehmendem Alter Positionen mit tieferem Salär zu akzeptieren, sollte als Chance eines einfacheren Übergangs in die Rente gelten. Das Life Long Learning zahlt sich zudem auch im Alter aus. Fazit: Die demografische Entwicklung rechtfertigt eine Erhöhung des Rentenalters auf 67, wird an der Urne aber scheitern, solange Betroffene nur verlieren.

Monika Bütikofer, Senior HR-Manager, Webhelp Schweiz AG: «Die heute 58-Jährigen sind zu jung zum sterben, aber bereits zu alt für neue Arbeitgebende.»

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Wir werden immer älter und leben gesünder in einer Welt, in der die Medizin vieles ermöglicht. Für fast alles gibt es ein «Mitteli» oder ein Angebot für die eigene Balance. Resilienz, Agilität, VUCA, «Wumba und Zumba» und so weiter. Unsere physische und psychische Flexibilität wird gefordert – täglich aufs Neue. Wir geben alles, um uns dem stetigen Wandel und der wachsenden Dynamik immer wieder anzupassen. Stillstand wirkt wie ein Fremdwort und ist «out of order», «up to date» zu sein, gehört dagegen zur heutigen Normalität. Stetig steigt deshalb auch das Rentenalter für Frauen. Die früheren utopischen Träume des Jahres 2033 rücken näher, werden greifbarer, um sich aktuell wieder wegzuschleichen in Richtung 2034. Aber ist auch dieses Jahr bereits wieder Geschichte, um durch 2036 ersetzt zu werden?

Die heute 58-Jährigen sind zu jung zum Sterben, aber bereits zu alt für neue Arbeitgebende. «Der Chef möchte einer Jüngeren den Vorzug geben», «wir haben die Vorgabe das Durchschnittsalter zu senken.» Sätze, die im Herzen schmerzen. Ja, klar, Jüngere sollen auch ihre Sporen abverdienen. Was aber, wenn immer mehr «jung, hübsch, Bachelor» gefragt ist anstelle von «Erfahrung, in sich ruhend, zuverlässig»? Psychologen und Psychiater werden noch mehr Auslastung erleben. 50+ ist das neue Krankheitsbild und wird die Wirtschaft noch länger beschäftigen, sofern 67 zum neuen Rentenalter erkoren wird. Wenn wir jetzt schon zu alt sind, aber gut genug, um die Sozialversicherungen mit unseren Beiträgen mitzufinanzieren, wie wollen wir psychisch unversehrt Stellen finden und ausfüllen, wenn wir in höherem Alter auf dem freien Stellenmarkt landen?

Wird es eine Quotenregelung für ü60 und ü65 geben? Hoffentlich. Betrachten wir die sinkenden Renten des BVG, die jeweilige Infragestellung der AHV-Rente und stellen die Lebenshaltungskosten gegenüber, werden wir fast automatisch bis 67 arbeiten, weil der Ruhestand nicht gelebt werden kann und so zum Unruhestand verkommt. Hobbys im Rentenalter: «Gruppentreffen und Gesprächskreise für Ausgebrannte», «Überleben ohne Geld und ohne Energie» oder den Besteller «Plötzlich abgeschoben» lesen.

 

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