Sommerserie 2018

«Die soziale Funktion des Essens spielt eine wichtige Rolle»

Warum ist gesunde Ernährung wichtig für Körper und Geist? Und was ist überhaupt gesunde Ernährung? Ernährungsberaterin Stéphanie Bieler gibt Auskunft und Tipps.

Frau Bieler, was genau ist eigentlich gesunde Ernährung?

Stéphanie Bieler: DIE gesunde Ernährung gibt es nicht. Wir sprechen deshalb von «ausgewogener Ernährung». Sie versorgt den Körper mit ausreichend Flüssigkeit, Energie, Nähr- und Schutzstoffen, die er zum optimalen Funktionieren braucht. Aber: Ernährung ist noch viel mehr. Mahlzeiten sind auch Zeiten des Genusses, der Erholung, des Kontaktes und des Austauschs mit anderen.

Warum ist Ernährung so wichtig für unseren Körper, unseren Geist und unsere Ausgeglichenheit?

Weil uns das Essen Nährstoffe liefert, die bestimmte Funktionen im Körper erfüllen. Bezüglich Ausgeglichenheit spielt die soziale Funktion des Essens eine wichtige Rolle. Es spielt eine Rolle, ob wir das Pausenbrötli mit unseren Arbeitskollegen in einer kurzen Pause geniessen oder ob wir es alleine vor dem PC schnell nebenbei essen.

«Fünf am Tag» – also fünfmal Obst oder Gemüse am Tag. Ist das überhaupt realistisch? Wie viel Obst und Gemüse empfehlen Sie?

Wir empfehlen täglich fünf Portionen Früchte und Gemüse, davon zwei Portionen Früchte und drei Portionen Gemüse. Eine Portion entspricht 120 Gramm oder in etwa einer Handvoll. Diese Portionen muss man aber nicht einzeln essen. So kann ein Salatteller beim Mittagessen gerne drei Portionen Gemüse umfassen. Zum Dessert einen Fruchtsalat und beim Frühstück war ein Glas Orangensaft dabei – et voilà: das Ziel ist bereits erreicht.

Auf wem Weg zur Arbeit kurz ein Gipfeli. Über den Mittag ein Sandwich am Arbeitsplatz oder abends ein paar Snacks beim Geschäftsapero. Ist das für Sie ein No-Go?

Ich würde es nicht gleich ein «No-Go» nennen. Nicht nur Obst und Gemüse sind gesund. Jedes Lebensmittel hat ein ganz eigenes Spektrum an Nähr- und Schutzstoffen. Das richtige Mass von Allem ist wichtig.

Wie viel zusätzlichen Zeitaufwand brauche ich, um mich gesund ernähren zu können?

Ich wage zu behaupten, dass dies ganz ohne zusätzlichen Aufwand möglich ist. Eingekauft werden muss ja sowieso. Stellt sich nur die Frage: Was und wo?

Hat psychischer und physischer Stress Einfluss auf unsere Ernährung – und umgekehrt?

Ja, Stress hat einen Einfluss auf unser Essverhalten: Manche mögen gar nicht mehr essen, andere erst recht, wiederum andere verspüren ausgeprägte Lust auf Süsses. Und umgekehrt hat unsere Ernährung definitiv Einfluss auf unser Wohlbefinden. Manche Aufgaben gehen deutlich einfacher von der Hand, wenn wir uns weder durstig noch hungrig oder überessen fühlen.

Welche positiven Folgen hat ausgewogene Ernährung auf unsere Leistungsbereitschaft?

Wie gesagt reagieren die Menschen unterschiedlich auf Stress. Wenn wir jedoch das Essen vergessen, speziell auch Pausen überspringen und Mittagspausen auslassen, dann wirkt sich das direkt auf unsere Leistungskurve aus. Die Erholung zwischen den Phasen der Leistung ist ausgesprochen wichtig für die Produktivität.

Bringt ausgewogene Ernährung auch positive Effekte für den Arbeitgeber?

Absolut! Denn der Arbeitgeber braucht schlussendlich vor allem eins, nämlich gesunde Mitarbeitende.

Kennen Sie Best-Practice-Beispiele von Unternehmen, die ihre Leute unterstützen, sich besser zu ernähren?

Wir bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) beobachten positive Wirkungen vor allem dann, wenn Organisationen nicht nur einzelne Massnahmen anbieten, sondern auch strukturelle Anpassungen vornehmen. So zeigt sich, dass ein Pausenraum zur gemütlichen Mittagsverpflegung eine viel grössere Auswirkung auf eine gesunde Teamkultur und Verpflegung hat als der Apfelkorb in der Eingangshalle.

Welche negativen Folgen hat es, wenn wir uns konstant ungesund ernähren?

Hier ein paar Beispiele: Eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr kann zu Kopfschmerzen führen. Ein hoher Zuckerkonsum kann die Entstehung von Karies begünstigen. Eine langfristig zu hohe Energiezufuhr kann zu Übergewicht führen. Dies wiederum kann zu Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

Und wie ernähren Sie sich selbst?

Ich versuche mein Bestes (lacht). Ich versuche regional und saisonal zu konsumieren. Probiere möglichst regelmässig und nicht vor dem PC oder dem Fernseher zu essen. Dadurch fällt es auch leichter, das Sättigungsgefühl bewusst wahrzunehmen. Und: Ich geniesse Essen unglaublich.

Wie sorgen Sie persönlich für Ihre Work-Life-Balance?

Mahlzeiten strukturieren weitgehend meinen Alltag und nicht umgekehrt. Um auch wirklich genügend Pausen einzuschalten, haben wir bei uns im Büro einen Gong, der die Pause einläutet – wie zu Schulzeiten. Klingt der Gong, ist das die Pausenerinnerung und am Kaffeetisch findet sich das Team ein. Dies führt zwar zu Lachern, ist aber effektiv.

Ihre Geheimtipps betreffend Ernährung und Work-Life-Balance?

Kombinieren Sie in Ihrer Freizeit ein gemütliches Abendessen mit netten Menschen oder der Familie. Das entspannt und ist eine wunderbare Strategie, um dem Arbeitsstress den Rücken zu kehren und die Freizeit zu geniessen.

Zur Person

Stéphanie Bieler ist Ernährungsberaterin und arbeitet bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE in Bern. Hier leitet Sie unter anderem den kostenlosen Informationsdienst für Ernährungsfragen Nutrinfo, bei dem auch immer wieder Fragen zur ausgewogenen Ernährung am Arbeitsplatz eingehen.

 

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Redaktorin, HR Today. mv@hrtoday.ch

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