Scheiden tut weniger weh, wenn es richtig gemacht wird
Der wunde Punkt beim Trennungsmanagement ist und bleibt das Kündigungsgespräch. Weil viele Vorgesetzte darin nicht geübt sind, passieren dort die meisten Fehler. Ansonsten erhalten die Schweizer Firmen gute Noten rund um Trennungsprozesse. Und: Inzwischen ist vielerorts auch das Geld für freiwillige Unterstützungsleistungen wieder da.
(Foto: Sabine Schritt)
Im Film «Up in the Air» ziehen George Clooney und seine junge Kollegin Kündigungsgespräche auf eine Weise durch, wie man sie lieber nie erleben möchte: Als eine Art externe Stellvertreter der Vorgesetzten feuern sie Menschen, die sie nie zuvor gesehen haben. Manchmal auch per Videoübertragung am Computer.
Ist es denkbar, dass einem auch hierzulande eines Tages via Bildschirm der Job aufgekündigt wird? «Nein, rein rechtlich ist das nicht möglich», sagt Sandro De Pellegrin, Regional Director beim auf Karriere-Neuorientierung spezialisierten Unternehmen DBM Schweiz. «Man kann Leuten nicht von extern kündigen.»
Auf zwei Dinge kommt es an: das Was und das Wie
Dennoch machen Experten bei Kündigungsgesprächen immer wieder Handlungsbedarf aus (siehe Interview Seite 26). Sei es, dass die Linie sich drückt und heikle Gespräche ans HR abschiebt, sei es, dass Vorgesetzte schlicht überfordert sind: «Man geht in den Unternehmen davon aus, dass die entsprechenden Leute Kündigungsgespräche führen können. Dabei haben sie das gar nie gelernt», sagt Sandro De Pellegrin. Die Vorgesetzten müssten also, zum Beispiel in Workshops und mit Rollenspielen, dazu befähigt werden.
Doch Kündigungsgespräche sind nur ein – wenn auch sehr wichtiger – Teil des gesamten Trennungsprozesses. Laurenz Andrzejewski, Gründer und Leiter der Management1x1 – Management- und Karriereberatung, hat «8 Elemente der Trennungskultur» definiert (siehe Abbildung). Eine gute Trennungskultur benötigt letztlich die gleichen Voraussetzungen wie eine gute Unternehmenskultur: offene und frühe Kommunikation, Transparenz und Ehrlichkeit, Fairness, Respekt, Wertschätzung und Sensibilität.
Abgesehen von der fehlenden Erfahrung bei Kündigungsgesprächen erhalten die Schweizer Unternehmen gute Noten: Felix Merkli, Practice Leader Career Management beim auf Karrieremanagement spezialisierten Unternehmen Right Management Switzerland: «Viele Firmen versuchen, Trennungen sozialverträglich durchzuführen.» Schweizer Firmen involvieren die Mitarbeitenden zudem etwas früher, als dies in anderen Ländern der Fall ist, beobachtet Sandro De Pellegrin.
Nichtsdestotrotz hört man auch immer wieder unschöne Geschichten, etwa, wie De Pellegrin erzählt, von jenem CEO, der vor versammelter Belegschaft davon sprach, «Kapazitäten vernichten» zu müssen. Immerhin: «Ein Schnitzer vor vielen Menschen wiegt für die Einzelperson meist weniger schwer als ein Schnitzer im Kündigungsgespräch.»
«Neben dem Wie zählt auch das Was», sagt Felix Merkli. Sprich: das Monetäre. Ein goldener Fallschirm ist zwar für die wenigsten Realität, doch gibt es, je nach Firma und Situation, durchaus Unterstützungsleistungen. Eine Studie über Trennungsmanagement in Deutschland («Trennungsmanagement» von Sven Hauff/Dorothea Alewell, Universität Hamburg, 2010) nennt als mögliche Massnahmen: Outplacement-Leistungen, Abfindungen, Transfergesellschaften, temporäre Freistellung zwecks Arbeitssuche, die Bereitstellung von Ressourcen wie Sekretariatsunterstützung bei Bewerbungen sowie Weiterbildungs- und Qualifizierungsmassnahmen.
Die Mehrheit wählt Geld statt Outplacement
Die Studie «Weltweite Trennungspraktiken» (Right Management, 2009) nennt zudem Ruhestandsplanung, Gesundheitsleistungen wie etwa Fortbestand von Kranken- und Lebensversicherung und praktische Dinge wie Umzugshilfen oder Verwendung eines Büroraums. «Im Gegensatz zum Jahr 2009 sind heute wieder viel mehr Firmen in der Lage, freiwillige Leistungen zu erbringen», sagt Felix Merkli. Und: «Am häufigsten sind Abfindungen.»
Wenn Angestellte die Wahl zwischen einem Outplacement und 10 000 Franken haben, wählen sie in der Regel Letzteres. Doch: «Geld ist meist nur kurzfristig motivierend», so Sandro De Pellegrin. «Eine Begleitung im Rahmen eines Outplacements dagegen verkürzt die Suche nach einer Lösung.» Wie lange die Suche im Rahmen eines Outplacements effektiv dauert, variiert gemäss den Angaben verschiedener Anbieter. Der ACF (Schweizer Verband von Outplacement-Unternehmen) beziffert den Durchschnittswert mit sechs Monaten (siehe Box «Facts zum Outplacement», Seite 25). Wobei mit Lösung nicht zwingend ein neuer Job gemeint ist, wie De Pellegrin ausführt: «Lösung kann nach 20 Jahren harter Arbeit durchaus auch heissen, sich klar zu werden, dass man jetzt ein Jahr Auszeit haben möchte.»
Outplacement ist weder Jobvermittlung noch Servicecenter
Ab einem Monatslohn beziehungsweise ab 7500 bis 8000 Franken ist bei DBM Schweiz ein vollwertiges Dreimonats-OutplacementProgramm (ohne spezielle psychologische Betreuung) zu haben. Für 3000 Franken pro Person gibt es ein dreimonatiges Gruppenprogramm mit Gruppenworkshops und einzelnen individuellen Coachings.
Vielen Betroffenen ist nicht klar, was ein Outplacement genau bedeutet. Sandro De Pellegrin: «Unsere Interventionen laufen auf zwei Ebenen. Einerseits auf der technischen, da geht es ums Handwerk des Lebenslaufschreibens und des Jobsuchens. Andererseits, und das ist der wichtigere Aspekt, bieten wir eine emotionale Begleitung.» Wichtig ist, eine Vorwärtsstrategie zu entwickeln.
Was Outplacement nicht ist: eine Jobvermittlung oder ein Servicecenter, das einem Bewerbungsunterlagen verfasst. Allerdings hat die Erwartungshaltung seitens der Klienten zugenommen. «Früher waren wir reine Coaches, Supporter bei der Neuorientierung», so Felix Merkli. «Heute erwarten die Kunden viel mehr aktive Unterstützung, erwarten ein Netzwerk, das wir zur Verfügung stellen, und zum Teil sogar, dass wir ihnen eine neue Stelle suchen. Doch das ist nicht die Idee: Auch weiterhin hat der Kandidat das Steuer selbst in der Hand und das Gaspedal unter dem eigenen Fuss.»
Manche Firmen wollen Erfolgsquoten sehen. Entsprechend können sie neben zeitlich begrenzten auch unlimitierte Outplacements einkaufen. Ein solches dauert an, bis eine Lösung gefunden ist. Die Tendenz ist laut Felix Merkli allerdings, günstigere und kürzere Programme zu buchen, was entsprechend zu einer tieferen Erfolgsquote führt.
Es gibt diverse Gründe, warum Firmen gekündigten Mitarbeitenden freiwillige Leistungen anbieten. Die erwähnte Hamburger Studie nennt unter anderem: soziale Verantwortung, Motivation/Loyalität der Survivors (ungekündigte, weiter im Unternehmen verbleibende Mitarbeiter), Beschleunigung der Kündigungen, Vermeidung rechtlicher Auseinandersetzungen, Vermeidung negativer PR, Stärkung der Arbeitgebermarke, Entlastung der Führungskräfte, Kompensation für erbrachte Leistungen und Vermeidung/Senkung von Abfindungen. «Wenn die Mitarbeitenden keinerlei Schuld an der Kündigung haben, zum Beispiel bei Restrukturierungen, sind Firmen grundsätzlich grosszügiger mit Leistungen», sagt Felix Merkli.
Auch die Survivors machen einen Trennungsprozess durch
Der Umgang mit den Survivors ist zentral für die Zukunft des Unternehmens. Laut der Hamburger Studie ist für 90,3 Prozent der Firmen die «Kommunikation mit Survivors» ein Thema. Auch wenn dies eine hohe Zahl ist, bedeutet dies doch, dass in knapp 10 Prozent der Firmen die Survivors kommunikativ links liegen gelassen werden. Ein Fehler, denn die «Überlebenden» sind nicht einfach nur froh, dass es sie nicht erwischt hat. «Sie beobachten sehr genau, wie sich die Firma in einem Trennungsprozess verhält», sagt Bruno Staffelbach, Inhaber des Lehrstuhls Human Resource Management der Universität Zürich.
«Können die Survivors die Firmenentscheide nachvollziehen und sehen sie, dass die Gekündigten respektvoll behandelt werden, so erhöht das ihr Vertrauen, dass auch mit ihnen in einer entsprechenden Situation respektvoll umgegangen würde», sagt Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. So könne auch am ehesten vermieden werden, dass Survivors sich nach anderen Jobs umschauen oder innerlich kündigen. Allerdings: Kommt salamitaktikmässig kurz darauf die nächste Entlassungswelle, ist es mit dem Vertrauen der Survivors in der Regel vorbei. «Schwierig ist es für die Verbleibenden auch, wenn sie sehen, dass Leute gehen müssen, die zwischen 55 und 60 sind, die es auf dem Arbeitsmarkt also besonders schwer haben werden», ergänzt Gudela Grote.
Felix Merkli hat oft beobachtet, dass den Firmen nicht bewusst ist, dass auch die Survivors einen Trennungsprozess durchlaufen und dass sie neue Ausrichtung, neue Teambildungsprozesse und Motivation brauchen.
Ein weiterer Punkt, den die Firmen bedenken sollten, ist, wie sie die Zeit während der Kündigungsfrist der Mitarbeitenden gestalten: «Solange die Gekündigten im Unternehmen sind, können sich die Survivors nicht neu organisieren», so Merkli. Dies ist nur einer der Gründe, warum die Freistellung von Gekündigten sinnvoll ist. Merkli: «Jobsuche ist ein Fulltimejob. Und für viele Menschen ist es leidvoll, in gekündigtem Zustand arbeiten gehen zu müssen. Manche verbreiten zudem miese Stimmung.» Arbeiten die Gekündigten dennoch weiter, ist es sowohl für sie selbst als auch für die Wahrnehmung der Survivors wichtig, dass sie respektvoll behandelt werden und ihr Gesicht wahren können.
Einiges im Trennungsprozess kann ausgelagert werden. Wo liegen die Grenzen? Bruno Staffelbach fasst es kurz und klar: «Alles, was persönliche und moralische Verantwortung beinhaltet, kann nicht ausgelagert werden.»
Vorbereitung aufs Kündigungsgespräch für Vorgesetzte
- Rollen von Vorgesetzten und HR klären: Wer lädt zum Kündigungsgespräch ein, wer hat welche Funktion?
- Sich mit sich selbst auseinandersetzen: Habe ich selbst Mühe mit dieser Kündigung, halte ich sie für unangemessen? Habe ich ein schlechtes Gewissen?
- Den Grund für die Kündigung klar nennen können
- Sich im Vorfeld mit dem Menschen befassen: Wie könnte diese Person auf die Kündigung reagieren? Klassisch sind folgende vier Typen: der Selbstbeherrschte (der Indianer, der keinen Schmerz zeigt), die Geschockte (bleich, Tränen, abwesend), der Aufbrausende (aufstehen, schimpfen, Wutanfall), die Verhandlerin (gut vorbereitet, schaut, was sie aus der Situation machen kann). Erfahrungsgemäss am schwierigsten sind die Selbstbeherrschten, da man nicht weiss, was hinter ihrer Fassade passiert. Hier können Fragen helfen. Man muss jedoch aushalten können, wenn jemand nicht reden will.
- Anlaufstellen klären
- Weiteres Vorgehen klären: Welches sind die nächsten Schritte? Wann kommt es zum nächsten Gespräch? Wird die Person freigestellt?
- Das Kündigungsgespräch üben: Kein Drumrumreden. Die Botschaft «Wir müssen uns von Ihnen trennen» muss in den ersten Sätzen ausgesprochen werden. Respekt ja, Dankeschön ja, Zuhören ja; gute Ratschläge dagegen sind nicht angebracht.
Informationen: Felix Merkli
Facts zum Outplacement – Statistik 2010 des ACF Switzerland
Der ACF (Schweizer Verband von Outplacement-Unternehmen) hat im Jahr 2010 unter seinen Mitgliedern Daten erhoben, um die Entwicklung der Outplacement-Beratung in der Schweiz zu dokumentieren. Die Hauptaussagen lauten wie folgt:
- Das Beratungsvolumen der angeschlossenen Firmen hat letztes Jahr zugenommen. Früher war Outplacement primär für die älteren und hierarchisch höher gestellten Mitarbeitenden reserviert. Heute profitieren davon auch jüngere und hierarchisch tieferstehende Mitarbeitende.
- Die durchschnittliche Suchdauer hat sich im letzten Jahr kaum verändert. Eine qualifizierte Neuorientierung dauert weiterhin etwa ein halbes Jahr. Daraus ergibt sich, dass die wirtschaftliche Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht die einzige relevante Grösse ist.
- Es gibt eine lineare Korrelation zwischen Alter und Suchdauer. Je älter die Stellensuchenden, umso länger dauert die Stellensuche. Ab 45 kann man sehen, dass pro fünf Jahre Lebensalter sich die Stellensuche um einen weiteren Monat verlängert. Ab 60 werden immer mehr Personen vorzeitig pensioniert, arbeiten aber weiter in Projekten oder Teilzeitstellen.
- Der strukturelle Wandel auf dem Arbeitsmarkt beschleunigt sich zunehmend. Laut einer Studie (Guido Schilling) werden jedes Jahr etwa 25 Prozent der oberen Führungskräfte ausgetauscht. Niemand kann davon ausgehen, dass er mit seinen aktuellen Fähigkeiten und Kompetenzen bis zur Pensionierung «sicher» ist. Andererseits geben viele Unternehmen in Umfragen an, Mühe zu haben, qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Verschiedene Branchen können ohne ausländische Mitarbeitende nicht mehr funktionieren (zum Beispiel Gesundheitsbereich, Ingenieurwesen, Informatik).
- Im letzten Jahr gingen die Entlassungen und Umstrukturierungen in der metallverarbeitenden Industrie zurück, haben aber im Finanzbereich zugenommen. Diese Anpassungen werden voraussichtlich weitergehen.
- Für 2011 erwartet der Verband weiteren Strukturwandel, auch weitere Entlassungen, primär aus strukturellen oder zwischenmenschlichen Gründen.
- Alle kantonalen Verwaltungen haben sich jetzt auf eine gemeinsame Steuerlösung einigen können, bei welcher die Outplacement-Kosten deklariert, aber nicht versteuert werden.
(Mark Richter)