Schweizer Berufsbildungstitel als Karrierekiller?
Höhere Berufsbildungsabschlüsse werden im internationalen Umfeld kaum verstanden. Der Bund hat das erkannt und per 1.1.2016 eine Verordnung in Kraft gesetzt, welche die Übersetzung der Schweizer Titel regelt. Die Lösung stösst nicht überall auf Begeisterung.
Matthias Aebischer, Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung (SVEB). (Foto: zVg)
Wer in der Schweiz über einen höheren Berufsbildungsabschluss verfügt, hat es im internationalen Umfeld nicht leicht, denn Schweizerische Berufsbildungstitel sind mit ausländischen Titeln kaum vergleichbar und ausländischen HR-Verantwortlichen wenig bekannt. Das kann den Karriereweg negativ beeinflussen. Der Bund schafft nun Abhilfe und hat per 1.1.2016 eine Verordnung in Kraft gesetzt, welche die englische Übersetzung dieser Titel regeln soll.
«Neben der Schweiz kennen nur wenige Länder wie Deutschland, Österreich sowie einige skandinavische Länder eine Berufsbildung und eine höhere Berufsbildung», sagt Urs Hofmann, ehemaliger Global Head HR und Chief Learning Officer der Credit Suisse und Präsident von Dual Stark, dem Dachverband für Berufs- und höhere Fachprüfungen. HR-Verantwortliche, die über das schweizerische Berufsbildungssystem nicht im Bild seien, könnten die hiesigen Abschlüsse deshalb nur schwer einstufen. «Das führt oft zu einer Fehleinschätzung von Mitarbeiterkompetenzen», weiss Hofmann. In der Berufspraxis habe er erlebt, «dass Mitarbeitende mit Berufsbildungsabschlüssen bei Beförderungen oder Auslandeinsätzen beinahe übergangen wurden», weil die HR-Verantwortlichen als Akademiker nur mit Bachelor- und Masterabschlüssen vertraut gewesen seien. «Berufsbildungsabsolventen schienen ihnen zu gering qualifiziert, weshalb sie solche Bewerbungen aussortierten.» Dieses Ausleseverfahren treffe besonders Berufseinsteiger und junge Berufsleute, weil diese «noch keine grosse Berufserfahrung haben». Dementsprechend sei der Bildungstitel am Karrierebeginn wichtiger.
Einheitliche Bundeslösung zur Titelübersetzung
Auch Urs Gassmann, Geschäftsführer des ODEC, des Verbands für diplomierte Absolventen Höherer Fachschulen, ist mit dieser Problematik vertraut: «Wer mit ausländischen Geschäftspartnern zusammenarbeitet, braucht eine verständliche Titelübersetzung.» Wer keinen gängigen Titel vorweisen könne, gerate in Konkurrenz mit Bachelor- und Masterabsolventen bei Bewerbungen in inländischen Konzernen oder im Ausland oft in einen «Erklärungsnotstand».
Urs Hofmann sieht einen Hoffnungsschimmer in der Übersetzungslösung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI): «Mit der Übersetzung der Berufstitel sowie der Diplom- und Zeugniszusätze haben wir nun etwas in der Hand, um ausländischen Führungskräften und HR-Mitarbeitenden die schweizerischen Bildungsabschlüsse und -titel besser zu erklären.»
Matthias Aebischer, Nationalrat und Präsident des Verbands für Weiterbildung SVEB, gibt sich weitaus skeptischer: «Die Titelübersetzung ‹Advanced Federal Diploma of Higher Education› überzeugt mich nur bedingt.» So seien in den Ländern «um die Schweiz herum» hauptsächlich Begriffe wie Bachelor und Master Usanz. «Da nützen auch diese Zusätze kaum etwas, um die Anstellungschancen unserer bestqualifizierten Berufsbildungsleute im Ausland und in internationalen Konzernen in der Schweiz zu erhöhen.» Auch für Urs Gassmann bleiben es «rein schweizerische Übersetzungen von Berufsbildungstiteln, die es im Ausland nicht gibt und die somit schwer verständlich bleiben». Zudem befände sich die Erklärung zum Bildungsabschluss im Diplomzusatz und «wer nimmt sich heute noch die Zeit, etwas zu lesen, das auf den ersten Blick nicht verständlich ist»?
«Professional Bachelor» vorläufig vom Tisch
Für alle drei Experten wäre der «Professional Bachelor» die adäquatere Übersetzungslösung gewesen, die mit der in Kraft getretenen Verordnung nun aber vorerst vom Tisch ist. Die Enttäuschung über die «zweitbeste Lösung» ist bei Matthias Aebischer deutlich spürbar: «Es gilt, demokratische Entscheide zu akzeptieren.» Er habe jedoch Verständnis für jene Schulen, denen «der Kragen ob der langsam mahlenden Mühlen geplatzt» sei und die eine eigene Titelübersetzung «Professional Bachelor» vergeben. Der Verband ODEC hält jedenfalls vorläufig an der im Jahr 2006 eingeführten verbandseigenen Titelübersetzung «Professional Bachelor ODEC» für seine Mitglieder fest: «Wir möchten zuerst wissen, wie die vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation vorgegebenen Übersetzungen umgesetzt werden und inwiefern diese tatsächlich berufstauglich sind.»
Verordnungsumsetzung wirft Fragen auf
Bis wann dürfen die Absolventen der höheren Berufsbildung mit der offiziellen Übersetzung ihrer Berufsbildungstitel, den Diplom- und Zeugniszusätzen rechnen? «In der Verordnung des SBFI ist nicht definiert, bis wann alle Titel sowie Zeugnis- und Diplomzusätze zu übersetzen sind», erläutert Urs Gassmann den aktuellen Stand. «Wir stehen erst am Anfang.» Auch sei noch nicht geklärt, welche altrechtlichen Bildungstitel – wenn überhaupt – nach den neuen Vorgaben übersetzt würden: So etwa jene der Vorgängerschulen der heutigen Höheren Fachschule für Wirtschaft (HFW). Die Umsetzung der Verordnung wirft viele Fragen auf. Ob sich die Bundeslösung bewährt, wird die Zeit zeigen, sind sich die Experten einig.
Diplom- und Zeugniszusätze
Die Verordnung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ist am 1.1.2016 in Kraft getreten und regelt die englische Übersetzung aller Zeugnisse und Diplome der höheren Berufsbildung. Für jedes Zeugnis und Diplom der höheren Berufsbildung ist eine personalisierte Beilage vorgesehen, die neben Namen, Vornamen und Geburtsdatum die Matrikelnummer sowie weitere Angaben zur Einstufung des Abschlusses enthält. Die Zusätze geben zudem Auskunft darüber, welche Kompetenzen die Absolventen im jeweiligen Berufsbildungsgang erworben haben und für welche beruflichen Tätigkeiten sie befähigt sind. www.sbfi.admin.ch