Selbständiges Lernen: eine Win-win-Situation
Selbstverantwortung und Initiative sind nicht nur bei der Arbeit, sondern auch in der Weiterbildung gefragt. Wenn Unternehmen die Mitarbeitenden bei der Wahl der Weiterbildung mitbestimmen lassen, profitieren alle Beteiligten davon.
Geht es um Weiterbildung, setzen immer mehr Firmen auf die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Das Internet und die Möglichkeiten des Web 2.0 haben viel zu diesem neuen Trend beigetragen: Es wird immer einfacher, sein Wissen auf eigene Faust laufend zu erweitern und sich mit anderen auszutauschen. Schon 2006 stellte der amerikanische Experte für Lerntechnologie Jay Cross fest, dass Lernen zu 80 Prozent auf informellem und zu 20 Prozent auf formellem Weg erfolgt, aber der grösste Teil der Aus- und Weiterbildungsbudgets in formelle Massnahmen fliesst.
Nach vier Tagen beim Kunden wird einen Tag lang gelernt
Der Nutzen der Selbständigkeit im Lernen liegt für Armin Trost, Professor für Personalmanagement der Hochschule Furtwangen, klar auf der Hand: «Je mehr ich einen Mitarbeiter einbinde, desto mehr wird er auch Gas geben.» Trost kennt das Phänomen von seinen Studierenden: Wenn er sie selbst entscheiden lässt, welches Thema sie bearbeiten sollen und mit wem, steigt ihre Motivation beträchtlich. Das gilt insbesondere für die jüngste Generation, die oft ihren eigenen Lebensentwurf und eigene Vorstellungen hat, wie sie ihre Ziele erreichen will.
Das informelle Lernen hat in den letzten Jahren auch bei Hewlett-Packard Schweiz zugenommen. Der Personalverantwortliche Stefan Conzelmann erklärt, dass bei HP Schweiz 70 Prozent der Weiterbildung auf das Lernen on the Job entfalle, 20 Prozent auf Lernnetzwerke und 10 Prozent auf das kursbasierte Lernen. Der Ausgangspunkt der Weiterbildung eines Mitarbeitenden ist das Gespräch mit dem Vorgesetzten: Gemeinsam werden periodisch die Leistungen gegenüber den Anforderungen des Jobs diskutiert. Danach vereinbart man die passende Weiterbildungsmassnahme.
«Dabei wird vorausgesetzt, dass der Mitarbeiter das interne Angebot für Weiterbildung kennt, um gemeinsam mit dem Vorgesetzten Ideen und Vorschläge für die geeigneten Massnahmen zu liefern», sagt Stefan Conzelmann. Selbstverantwortung sei deshalb wichtig, weil sie die Motivation, das Engagement und die Lerneffizienz der Mitarbeitenden fördere und die Unternehmung letztlich von einer höheren Produktivität profitiere. «Andererseits», so Conzelmann, «liegt es klar in der Verantwortung des Vorgesetzten, Schwerpunkte zu setzen und passende Weiterbildungsaktivitäten einzubringen.» Denn es sei die Aufgabe der Führungskraft, sicherzustellen, dass die wichtigsten Ausbildungslücken angegangen werden und nicht die Weiterbildung gewählt wird, die am meisten Spass macht.
Einen viel extremeren Weg beschreitet die deutsche Beratungsfirma itemis AG mit dem Projekt «4+1»: Die Mitarbeiter arbeiten vier Tage in der Woche für Kundenprojekte, und ein Tag in der Woche ist für das Lernen reserviert. Das Arbeitszeitmodell 4+1 gibt es seit der Firmengründung von itemis AG vor fünf Jahren. Seither ist es mit dem jungen Unternehmen mitgewachsen und laufend weiterentwickelt worden. «Unsere Kunden erwarten, dass die Berater sie ständig mit hochaktuellem Methodenwissen versorgen und die neusten Technologien in den Projekten einsetzen und vermitteln», erklärt Anja Kiefer-Kaufmann, Personalmanagerin bei itemis AG. Es sei für ein IT-Beratungsunternehmen existenziell wichtig, seinen Softwareentwicklern und IT-Beratern die notwen-digen Freiräume für eine kontinuierliche Weiterbildung einzuräumen.
Doch ist es nicht ein Risiko, den Mitarbeitern die Freiheit zu gewähren, ihre Weiterbildung selbst zu wählen? Anja Kiefer-Kaufmann räumt ein, dass die Firmenkultur für dieses Lernkonzept von gegenseitigem Vertrauen geprägt sein muss. «Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen gleichermassen an Weiterbildung, Weiterentwicklung und innovativen Themen interessiert sein.» Und auch bei itemis AG haben die Vorgesetzten ein Wörtchen mitzureden: «Die Mitarbeiter schlagen den Teamleitern vor, mit welchen Themen sie sich zu welcher Zeit und in welcher Form befassen möchten, und bekommen dann das Einverständnis.» Zur Auswahl stehen neben dem Erwerben von Technologiewissen auch fachübergreifende Themen wie Englisch, Schwimmen, Golf, Rückenturnen oder Präsentationstechniken.
Der Mitarbeitende wählt die Art des Lernens selbst
Auch in der Art des Lernens gibt es für die itemis-Mitarbeitenden verschiedene Möglichkeiten: Selbststudium, das interne Einarbeitungsprogramm für neue Mit-arbeiter, den Besuch von Workshops mit interner oder externer Beteiligung, den Besuch von Fachtagungen und Konferenzen, Beteiligung an der Entwicklung von Open-Source-Produkten oder auch das Verfassen von eigenen Fachartikeln, Fachbüchern oder Blogs. Auch Study Groups spielen bei itemis AG eine grosse Rolle. Sie werden von Mitarbeitern freiwillig und in eigener Regie gegründet, um eine Technologie darauf zu testen, ob sie ein Thema für die ganze Firma sein könnte.
Natürlich sei es in heissen Phasen nicht möglich, dass Mitarbeiter ihre aktuellen Projekte in jeder Woche für einen Arbeitstag verlassen. «Manche Kunden bestehen darauf, dass die externen Berater für die Gesamtdauer des Projektes immer vor Ort verfügbar sind. Oft wird die Zeit für die persönliche Weiterentwicklung dann blockweise realisiert, beispielsweise zwischen zwei Projekten», erklärt Anja Kiefer-Kaufmann. Umso erfreulicher sei es, dass es immer häufiger gelinge, ihre Kunden zu überzeugen, dass auch ihre Projekte davon profitieren, wenn die Berater Freiräume für die Weiterbildung erhalten. Die Überzeugung geht sogar so weit, dass einige Auftraggeber das 4+1-Arbeitszeitmodell finanziell mittragen.