Nadine Schlegel: «Statt klassische Vorgesetzte wird es verstärkt selbstbestimmte Teams geben.»
Die Forderung, Hierarchien und damit verbunden auch Chefs abzuschaffen, ist aktuell in aller Munde. Aus meiner Sicht ist das allerdings zu kurz gefasst. Zwar haben wir im April 2017 bei Unic, einer Digitalagentur mit knapp 230 Mitarbeitenden, die «Chefs» effektiv abgeschafft. Persönlich würde ich das jedoch lieber so formulieren: Wir haben unsere traditionelle Aufbauorganisation in ein selbstorganisiertes Modell überführt. Einen klassischen disziplinarischen Vorgesetzten gibt es seither bei uns nicht mehr. Vielmehr haben wir klare, transparente Regeln, nach denen wir im Betrieb alle handeln. Diesen wiederum sind Verantwortlichkeiten zugeordnet.
Fakt ist: Selbstorganisation verlangt von jedem Mitarbeitenden sehr viel mehr. Wir benötigen in unserer Organisation Personen, die Verantwortung übernehmen. Leadership ist bei Unic nichts, was nur bestimmten Personen oder Rollen vorbehalten ist. Leadership umfasst für uns Vertrauen und die Verantwortung jedes Einzelnen. Es bedeutet, das Potenzial jedes Mitarbeitenden für die Organisation zugänglich zu machen. Nur so gelingt es uns, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer Mitarbeitende Verantwortung für ihre Rolle übernehmen und somit ihre Arbeits- und Lebenswelten gestalten können. In meinen Rollen im HR, aber auch als ehemalige Head of HR, habe ich den Wandel sehr eng begleitet. Nach gut zweieinhalb Jahren kann ich mit Freude feststellen, dass sich die Mitarbeiterzufriedenheit verbessert und die Fluktuation merklich reduziert hat. Der wohl wichtigste Aspekt ist jedoch, dass sich die Mitarbeitenden stärker über Kompetenzen und Sinnorientierung definieren als über klassische Hierarchien.
Ich bin überzeugt, dass sich künftig noch weitere Unternehmen von der starren Top-down-Struktur verabschieden, um der neuen Arbeitswelt gerecht zu werden. Statt klassische Vorgesetzte wird es verstärkt selbstbestimmte Teams geben. Der Umbruch durch die Digitalisierung ist zudem ein Prozess, der die Art und Weise infrage stellt, wie wir kommunizieren, arbeiten und uns organisieren. Mitarbeitende selbst bleiben jedoch das wertvollste Gut. Wir müssen sie dazu befähigen, sich in der neuen Welt zu bewegen und nachhaltig zu entwickeln. Talente zu gewinnen und zu halten, mit gelebter Wertschätzung und nachhaltiger Feedback-Kultur, werden die Schlüsselthemen der Zukunft sein.
Diese Transformation zu gestalten, hat viel mit der Selbstverantwortung der Einzelpersonen und einem neugierigen, selbstverständlichen Umgang mit der eigenen Entwicklung zu tun. Weg von Management hin zu Leadership. Statt Self-Management brauchen wir Self-Leadership.