Debatte: Mitarbeiterzufriedenheit

Sind Unternehmen für «Happiness» verantwortlich?

In Schweizer Unternehmen gibt es über 40 Chief Happiness Officers. Doch überschreiten die Firmen nicht eine rote Linie, wenn sie die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden steuern wollen? Eine Expertin und zwei Experten diskutieren darüber.

Annika ManssonAnnika Månsson

Gründerin und Direktorin von Happy at Work

 

«Die Debatte um die Rolle von Unternehmen in Bezug auf die Zufriedenheit ihrer Angestellten ist vielschichtig. Aus meiner Erfahrung, die auf der Arbeit mit Hunderten von Menschen basiert, die seit 2008 unter einem Burnout gelitten haben, ergibt sich eine klare These: Arbeit sollte nicht krank machen. Es ist die Verantwortung der Unternehmen, sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu schützen.

Wenn wir uns dem Thema Glück zuwenden, das eine subjektive, individuelle Emotion des Wohlbefindens ist und grundsätzlich auf Selbstverantwortung basiert, wird deutlich, dass im Arbeitskontext Glück eine gemeinschaftliche Verantwortung aller Beteiligten – der Führungskräfte, des Managements und der Angestellten – ist. Dies erfordert eine klare Definition der Rollen jeder einzelnen Person. Die Aufgabe des Unternehmens, sowohl auf Management- als auch auf Mitarbeiterebene, ist es nicht nur, die Gesundheit zu gewährleisten, sondern auch, Arbeitsbedingungen zu schaffen, welche die Entwicklung und die Erfüllung fördern. Dies geschieht durch die Förderung eines menschlichen und ethischen Ansatzes in Arbeitsbeziehungen.

Das Wohlbefinden der Mitarbeitenden sehe ich als Teil der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Viele Studien belegen, dass zufriedene Mitarbeitende engagierter, kreativer, produktiver, loyaler und generell bessere Kolleginnen und Kollegen sind. Darüber hinaus ist auch der positive Einfluss von Glückshormonen wie Dopamin, Oxytocin, Serotonin und Endorphinen auf unsere Gesundheit interessant. Investitionen in das Glück innerhalb von Organisationen können somit echte Vorteile bringen, sowohl für die Organisationen selbst als auch für ihre Mitarbeitenden.

In meiner täglichen Arbeit erlebe ich aus erster Hand den direkten Zusammenhang zwischen Wohlbefinden, Mitarbeiterengagement und Leistungsniveau. Wenn alle Unternehmen diese Dimension übernehmen, wird die Anzahl der Burnoutfälle sinken und die Lebensqualität am Arbeitsplatz wird steigen. Das kommt allen zugute, insbesondere der Gesellschaft. Meiner Meinung nach ist ein vorbildliches Unternehmen eines, das für seine Mitarbeitenden sorgt und Bedingungen schafft, unter denen sich diese in ihrer Arbeit entfalten können.»


Jean-Yves Mercier

Jean-Yves Mercier

Jean-Yves Mercier Exekutivdirektor EMBA an der Geneva School of Economics and Management

 

«Sind Unternehmen und unser persönliches Glück miteinander verbunden? Glück ist eine intime, subjektive Erfahrung, die sich entsprechend unserer physiologischen und mentalen Bedürfnisse entwickelt. Die Vorstellung, eine ‹Blase des Glücks› am Arbeitsplatz zu schaffen, ist problematisch und kann persönliches Unwohlsein nicht kompensieren. Die Rolle eines Unternehmens in Bezug auf das Glück sollte in erster Linie darin bestehen, keinen Schaden zu verursachen.

Wie jedes kollektive System hat auch jedes Unternehmen seine eigene Kultur und seine eigenen Ziele, die oft die individuelle Freiheit einschränken. Selbst wenn es sich um das Glück seiner Mitarbeitenden bemüht, bleibt dieses Glück relativ, bedingt durch die Einhaltung der Grundsätze des Arbeitgebers. Ein vertragliches Glück, das nur funktioniert, wenn es explizit ist und allen zugutekommt, und wenn das Unternehmen langfristigen Schutz bieten kann. Diese fast mütterliche Haltung hat ihre Grenzen; sie kann Individuen entmachten oder ihnen ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie sich nicht zugehörig fühlen.

Die Zufriedenheit mit der Arbeit hängt hauptsächlich von der Qualität der Entscheidung ab, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben für ein Unternehmen und eine Mission zu engagieren. Es geht also eher um die Frage des Sinns, des Beitrags zum möglichen Glücksgefühl, das ein Mensch im Hinblick auf sein gesamtes Leben empfindet. Hier trägt das Unternehmen eine Verantwortung. Es liegt an jeder Führungskraft, dem kollektiven Handeln einen Sinn zu verleihen und allen zu ermöglichen, einen Platz darin zu finden. Das ist bereits eine ehrgeizige Aufgabe. Die aktuelle Diskussion über das Glück am Arbeitsplatz spiegelt das Bedürfnis nach individuellem Sinn inmitten kollektiver Anstrengungen wider. In Zeiten chronischer Krisen verliert die übliche unausgesprochene Bedeutung an Gewicht.

Was ein Unternehmen tun kann, ist, allen Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, zu erklären, welchen Sinn sie in ihrem Engagement für das Kollektiv sehen oder nicht. Es liegt an ihnen, zu akzeptieren, dass das Ergebnis nicht ihnen gehört. Es liegt an den Mitarbeitenden, zu akzeptieren, dass es keine ideale Wahl gibt. Unser Glücksgefühl entsteht oft aus Momenten der Erfüllung in einem Meer von Zwängen, die wir akzeptieren müssen.»


Christophe GenoudChristophe Genoud

Autor des Buches «Leadership, agilité, bonheur au travail...bullshit!» (Vuibert 2023)

 

«Es ist keinesfalls die Aufgabe von Unternehmen, sich um die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden zu kümmern. Glück, als eine persönliche, schwer greifbare und undefinierbare Vorstellung, kann nicht definiert oder gar von unseren Firmen ‹verwaltet› werden.

Die Ideologie des Glücks oder des ‹Wohlbefindens› erfüllt nicht das Versprechen von Motivation und Befreiung. Unter dem Vorwand eines emanzipatorischen und kritischen Diskurses über das als zu ‹materialistisch› bewertete Produktionssystem perpetuiert sie einen Zustand, der eigentlich hinterfragt werden sollte. Warum? Weil sie die Arbeit selbst nicht infrage stellt. Es geht darum, bei der Arbeit glücklich zu sein, nicht durch die Arbeit. Zudem stellen glückliche Menschen das System nicht in Frage; sie sind lediglich nützliche Werkzeuge eines Systems, das Kritik aufnimmt und verdaut. Letztlich liegt es an den Mitarbeitenden, sich anzupassen und ihr Glück und ihre Motivation zu finden, indem sie sich dem Diktat des Wohlbefindens durch Selbstdisziplin und Selbstcoaching im Namen des Guten unterwerfen und an das Narrativ des kohärenten, vermeintlich guten Unternehmens glauben. Das ähnelt einer Sekte. Diese diskursive und symbolische Machtdemons­tration erzeugt Angleichung, Unterwerfung und starke Identifikation mit der Organisation. Von Emanzipation sind wir hier weit entfernt.

Denn seien Sie sich sicher, Glück am Arbeitsplatz forciert eine zutiefst konservative Sichtweise, die die ambivalente Natur des Lebens in einer Organisation verschleiert und ein allumfassendes, moralisierendes Narrativ fördert. Das Management psychosozialer Risiken verdient mehr als Unternehmensclowns, die mit infantilisierenden Aktivitäten, einer Erwachseneninfrastruktur und inspirierenden Pointen, die von Positive-Psychologie-Chatbots generiert werden, unser Bestes im Sinn haben.»

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