So gelingt Mitsprache – damit Mitarbeitende wirklich bleiben wollen
Mitgestaltung bindet Mitarbeitende stärker ans Unternehmen. Doch ein Umfragebogen hier, ein Feedbackgespräch da, reicht nicht aus. Erst wenn HR die vorgebrachten Ideen wirklich berücksichtigt, entsteht ein beidseitiger Nutzen.
Fragt man bei Mitarbeitenden nach ihrer Meinung, haben sie oft interessante Vorschläge, die das Unternehmen verbessern könnten. (Bild: iStock)
Wie sich Situationen ändern können! Seit den 1960er Jahren geht die Angst um, die Digitalisierung zerstöre Arbeitsplätze und die Arbeitslosigkeit würde daher naturgesetzlich in die Höhe schnellen. Nach 60 Jahren fortschreitender, sich beschleunigender Digitalisierung reiben wir uns ungläubig die Augen: Mit wenigen Ausnahmen sind die Arbeitsmärkte so ausgetrocknet, dass von einer Auswahl an Arbeitskräften keine Rede mehr sein kann. Wer das Glück hat, ein vielversprechendes Talent anlocken zu können, muss vieles richtig machen, damit das Talent auch bleibt. Aus Talenten werden so Leistungsträgerinnen und Leistungsträger. Ihnen steht die ganze Arbeitswelt sperrangelweit offen. Sind sie zufrieden mit dem «Package», bleiben sie; wenn nicht, dann nicht.
Erwartungen erfüllt = zufriedene Mitarbeitende?
In der Psychologie wird unter Zufriedenheit die Übereinstimmung einer bestimmten Erwartung eines Menschen vor einer Handlung mit deren tatsächlichem Erleben danach verstanden.1 Wenn also die Erwartungen der Mitarbeitenden erfüllt werden, haben sie keine Veranlassung, das Unternehmen zu wechseln. So weit, so gut! Für dynamische Führungskräfte steckt da allerdings zu wenig Leidenschaft, zu wenig Energie drin.2 Commitment, Motivation, Teamspirit, Engagement sind für sie attraktivere Begriffe. Fehlt das Feuer, versuchen es die Verantwortlichen mit Lohnanreizen zu entfachen. Das schlägt – obwohl überall versucht – fast immer fehl.3
Wie erreichen wir Mitarbeitenden-Zufriedenheit?
«Wie zufrieden bist du mit deinem Job?» Diese Frage wird gerne und daher häufig bei Mitarbeitenden-Befragungen gestellt. Die Analyse der Antworten aus Mitarbeiterbefragungs-Tools zeigt eine riesige Fülle von konkreten, individuellen Wünschen. Und es zeigt sich eine (nicht wirklich überraschende) Gemeinsamkeit: (Fast) alle Mitarbeitenden wollen mitreden dürfen. Sie möchten sich einbringen und mitgestalten. Zu diesem Thema gibt es in der wissenschaftlichen Literatur weltweit viele Studien aus verschiedenen Branchen und Ländern. Alle überprüften Studien4 kommen zum selben Schluss: Mitsprache (Mitgestaltung, employee participation, employee involvement, employee voice) hat einen positiven Effekt auf die Mitarbeiterzufriedenheit, beziehungsweise fehlende Mitsprache hat einen erheblich negativen Einfluss und führt oft zum Wunsch, das Unternehmen zu wechseln. Mit Mitsprache ist allerdings nicht nur das Anhören der Mitarbeitenden gemeint, sondern der Miteinbezug, die Mitgestaltung des Unternehmens.
Mitsprache bindet und entlastet
Wie bei jeder Massnahme gibt es auch bei der Mitarbeitenden-Partizipation einige Dinge, die es zu beachten gilt und einige Tipps, die die Erfolgswahrscheinlichkeit enorm vergrössern. Mitarbeitenden-Partizipation einzuführen ist eine Veränderung. Veränderungen erzeugen fast immer Widerstände. Für das Change-Management sind Widerstände wie Detektoren. Sie zeigen an, was bearbeitet werden muss, um ans Ziel zu gelangen. Dabei steht ausser Frage, dass Mitarbeitenden-Partizipation «das Richtige», also eine zielführende, wertvolle und wirkmächtige Massnahme ist. Sie bringt Mitarbeitenden-Zufriedenheit und verringert damit den Wechselwunsch. Sie sorgt dafür, dass alle mitdenken können und nutzt damit die ganze Intelligenz des Systems. Sie motiviert. Sie entlastet die Entscheidungsträger von erdrückender Verantwortung und sie ist der erste Schritt auf dem Weg zu mehr Agilität, Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit.5
12 Empfehlungen für den erfolgreichen Miteinbezug von Mitarbeitenden
Damit die positiven Effekte der Mitwirkung auch wirklich erzielt werden können und damit sich die Widerstände verflüchtigen6, sind folgende Regeln wichtig:
- Lassen Sie den Mitarbeitenden in ihrem Expertenbereich grösstmögliche Freiheiten. Es entlastet Führungskräfte und motiviert die Mitarbeitenden.
- Beziehen Sie die Mitarbeitenden immer dann ein, wenn diese über mehr oder andere Expertise zu einem Thema verfügen oder wenn die Mitarbeitenden die Haupt-Leidtragenden/Nutzniesser des Entscheides sind.
- Schauen Sie nicht in die Kristallkugel, mutmassen Sie nicht, was Mitarbeitende wohl denken, sondern fragen Sie sie lieber.
- Wählen Sie Fragen gut aus, damit Sie Antworten erhalten, die auch wirklich zu Verbesserungen führen.
- Stellen Sie wenig Fragen, sonst überfordern die Umsetzungen die Kapazitäten der Organisation. Stellen Sie dafür häufiger Fragen, die den Umsetzungsfortschritt und den Umsetzungserfolg betreffen.
- Wenn Sie in einem bestimmten Ort keine Veränderung vorsehen – fragen Sie nicht!
- Lassen Sie die Mitarbeitenden nicht einfach beurteilen, sondern laden Sie sie dazu ein, Ideen, Verbesserungsvorschläge etc. gleich mitzuliefern. Das ist Gratis-Beratung und befriedigt das Mitgestaltungsbedürfnis.
- Setzen Sie alles daran, dass Ideen und Lösungen auch wirklich umgesetzt werden. (siehe Punkt 6).
- Kleine Verbesserungen, die schnell realisiert werden und gelingen, sind besser als die «grossen Würfe». Pflücken Sie die tiefhängenden Früchte.
- Achten Sie darauf, dass möglichst wenig Schnittstellen zwischen Idee und Umsetzung da sind. Am besten ist es, wenn alles auf der direkten Ebene (meist Teamebene) umgesetzt werden kann.
- Wenn Umsetzungen länger dauern, dann informieren Sie über den Fortschritt.
- Vereinfachen Sie den Prozess und lassen Sie sich von einem digitalen Tool unterstützen, das alles weitestmöglich automatisiert und schnittstellenfrei oder -arm arbeitet.
Quellen / Bemerkungen
1 Stangl (2023)
2 Tatsächlich sind die Ergebnisse von Studien vom Verhältnis der Mitarbeitendenzufriedenheit und dem Unternehmenserfolg uneinheitlich. Bspw. Lawler, E. E., & Hall, D. T. (1970) vs. Bhatti K. and Qureshi T. (2007)
3 In der Wissenschaft ist man sich seit Herzberg (1966) hier auch weitgehend einig.
4 Eine Übersicht über die gesichteten Studien finden Sie am Schluss bei den Verweisen. 2023 beauftragte die Migros das GDI zu einer entsprechenden Studie. Die Teilaspekte «Einbezug in Entscheidungen» und «Eigene Ideen einbringen» rangieren auf Platz 6 und 7 von 26 Teilaspekten, die die Gesamtzufriedenheit beeinflussen, weit vor Weiterbildungen, Work-Life-Balance und Lohn. Die vorderen Plätze betreffen Aspekte der intrinsischen Motivation und der schwer zu verändernden Unternehmenskultur. (Samochowiec, Bauer, Neumüler (2023))
5 Und Sie ist wohl eine der wichtigsten Instrumente auf dem Weg zu wirtschaftsethisch korrektem Verhalten, zumindest auf der Perspektive der «integrativen Wirtschaftsethik» nach Ulrich 2017
6 Man könnte an dieser Stelle auch sagen, dass es sich um «psychologische Sicherheit» für das Management handelt.