Buchtipp

«Teilzeitarbeit ist eine Burnout-Prävention»

Jürg Wiler und Claudio Zemp vom Projekt «Der Teilzeitmann» haben ein Buch mit gleichnamigem Titel herausgegeben. Ein Gespräch mit den Autoren über Teilzeitarbeit von Männern.

Herr Wiler, Herr Zemp, ist Teilzeit nur etwas für Väter?

Claudio Zemp: Es sind vor allem junge Väter, die sich Teilzeit wünschen. Und Männer müssen sich eher rechtfertigen als Frauen, wenn sie ihr Pensum reduzieren wollen. Die Vaterschaft liefert ihnen einen guten Grund.

Jürg Wiler: Teilzeit lässt sich verschieden nutzen. Bei Vätern stellen wir ein grosses Bedürfnis danach fest. Sie wollen sich bewusst Zeit für ihre Kinder nehmen. Am häufigsten ist aber eine Weiterbildung der Grund, warum Männer nicht 100 Prozent arbeiten. Manchen dient ein reduziertes Pensum einfach der Erholung. Ein drängendes Thema ist auch die Altersteilzeit: Ältere Arbeitnehmer reduzieren nach und nach ihr Pensum und steigen so langsam aus dem Erwerbsleben aus. Stark zunehmen dürfte meiner Meinung nach auch Teilzeitarbeit, um Angehörige zu pflegen.

Zemp: Teilzeitler sind keine Exoten mehr, das Modell verbreitet sich langsam. Heute arbeiten bereits 16,5 Prozent aller Männer in der Schweiz Teilzeit. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nicht mehr nur ein Frauenthema, auch immer mehr Männer interessieren sich dafür. Unser Buch trifft deshalb den Zeitgeist. Gerade bei Grossunternehmen haben wir mit dem Projekt Teilzeitmann offene Türen eingerannt.

Warum ist das so?

Wiler: Grossunternehmen stehen verstärkt unter dem Druck des Arbeitsmarktes. Sie haben zunehmend Mühe, sehr gut qualifizierte Spezialisten in genügender Anzahl zu bekommen. Sie spüren den Fachkräftemangel ganz konkret. Vor allem junge Väter fragen gezielt nach flexiblen Arbeitsmodellen. Bietet das die Firma an, dann kommen auch die besten Leute – wenn nicht, suchen sie sich ein anderes Unternehmen.

Wie sieht es bei mittleren und kleinen Unternehmen aus?

Wiler: Mittelgrosse Unternehmen verspüren weniger Druck, sie sehen noch genug Potenzial auf dem Arbeitsmarkt. Bei kleinen Unternehmen regeln das die Angestellten mit ihrem Vorgesetzten meist bilateral. Mit ca. 40 Prozent haben die kleinen Unternehmen auch den grössten Anteil an Teilzeitlern. Bei mittelgrossen und Grossunternehmen sind es etwa 25 Prozent.

Zur Person

Jürg Wiler (53, links), Vater von zwei Kindern (14 und 17), ist seit Juli 2012 mit einem 80-Prozent-Pensum Leiter der Kampagne «Der Teilzeitmann» Schweiz.

Claudio Zemp (39) Vater von drei Kindern (7,5 und 2), arbeitete zwei Jahre lang zu 20 Prozent im Projekt und ist freischaffender Journalist und Autor.

Wiler, Jürg; Zemp, Claudio: Der Teilzeitmann - Flexibel zwischen Beruf und Familie. Zytglogge Verlag 2014.

In einem Interview auf SRF1 haben Sie gesagt, dass Teilzeitarbeit von Männern den Fachkräftemangel entschärft. Wie das?

Wiler: Je mehr Männer Teilzeit arbeiten, umso mehr Möglichkeiten haben Frauen, ihr Pensum aufzustocken oder überhaupt arbeiten zu gehen. 50’000 Hausfrauen in der Schweiz haben eine Hochschule oder eine höhere Berufsbildung absolviert.

Was sind die Gründe?

Wiler: Zum einen gibt es zu wenig Krippenplätze, zum anderen zu wenig und zu schlecht bezahlte Teilzeitstellen. Finden Frauen keine qualifizierte Stelle, bleiben sie lieber zu Hause. Da muss auch die Wirtschaft noch umdenken: Ab einem 50-Prozent-Pensum ist es möglich, Fach- und Führungsverantwortung zu übernehmen, aber es gibt noch viel zu wenige solche Teilzeitstellen. Bei den Frauen liegt viel Potenzial brach.

Oft heisst es: Je höher die Hierarchiestufe, umso weniger ist Teilzeit möglich. Was ist Ihre Meinung dazu?

Wiler: Sechs bis acht Prozent der Führungskräfte arbeiten Teilzeit. Mit einem 80-Prozent-Pensum sollte Teilzeit-Führung überall möglich sein. Eigentlich gibt es Teilzeit-Führungskräfte schon lange, man denke nur an all die Verwaltungsräte, Stiftungsräte oder an das Parlament. Diese Beispiele zeigen, dass es geht.

Dennoch heisst es häufig, Teilzeit sei ein Karrierekiller. Stimmt das?

Zemp: Leider ist das oft noch der Fall. Das wollen wir mit unserem Projekt «Der Teilzeitmann» ändern. Flexible Arbeitsmodelle bewähren sich aber immer öfter auch in Führungspositionen.

Wiler: Aus volkswirtschaftlicher Sicht zu Buche schlagen auch die Kosten all der Burnout-Fälle von Männern, die aussteigen müssen. Teilzeit ist auch eine Burnout-Prävention. Gerade Führungskräfte laufen ja Gefahr, ihren Motor immer auf Hochtouren laufen zu lassen und sich damit zu überfordern. Wenn sie ihn zeitweise runterfahren, sind sie länger leistungsfähig. Das ist entscheidend.

Vielerorts ist es aber so, dass Mitarbeiter zwar vielleicht 80 Prozent Lohn erhalten, aber trotzdem 100 Prozent arbeiten bzw. leisten müssen.

Wiler: Wichtig ist dabei der Fairplay der Arbeitgeber. Es macht natürlich keinen Sinn, wenn jemand mit einem 80-Prozent-Pensum die gleichen Zielvorgaben erhält wie jemand, der 100 Prozent arbeitet.

Zemp: Das ist eine ungesunde Form von Teilzeit. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten regelmässig das Modell justieren und aushandeln. Das hat für beide Seiten Vorteile: Viele Teilzeitleute sind etwa auch bereit, ihr Pensum vorübergehend aufzustocken, wenn mal viel zu tun ist im Betrieb.

Gibt es Bereiche, wo Teilzeit nicht möglich ist?

Zemp: Natürlich. Schwieriger als im Büro ist es zum Beispiel auf dem Bau und in Handwerksberufen. In diesen traditionellen Männerberufen gibt es auch mehr Widerstand gegen Teilzeit bei Männern. Häufig ist es aber eine Organisationsfrage.

Was müssen Unternehmen beachten, wenn ihre Mitarbeiter Teilzeit arbeiten wollen?

Zemp: Teilzeit muss geplant werden: Es muss eine Stellvertretung organisiert werden, man muss mehr delegieren, und es braucht Vertrauen. Das Positive für die Unternehmen ist: Man kann einen Stellvertreter aufbauen. Wenn der Teilzeitmann mal in den Ferien oder krank ist, ist der Ersatz bereit. Und das Wissen ist doppelt vorhanden.

Wiler: Damit Teilzeit überhaupt funktioniert, braucht es eine offene Kommunikationskultur. Sinn macht es auch, Teilzeit-Manager in den internen Kommunikationsmitteln vorzustellen und so für das Thema zu motivieren. Auch Linienverantwortliche und Teamleiter müssen für Teilzeit sensibilisiert werden, sonst scheitert das Teilzeit-Projekt. Denn Teilzeit-Arbeit ist mit höherem Koordinationsaufwand verbunden. Es steht und fällt mit dem Chef.

Zemp: Der Vorgesetzte, der Teilzeit bewilligt, muss es auch so organisieren, dass es funktioniert. Im Verhältnis sind die Sozialabgaben pro Teilzeitler teurer. 

Was bringt es Unternehmen, wenn ihre Mitarbeiter Teilzeit arbeiten?

Zemp: Das Vorurteil ist ja verbreitet, Teilzeitangestellte würden weniger leisten. Doch Studien zeigen: Teilzeit-Mitarbeiter haben den Kopf mehr bei der Sache. Sie sind im Schnitt effizienter, loyaler und motivierter.

Wiler: Laut Erhebungen sind Teilzeitler zudem deutlich produktiver, nämlich um 17 Prozent. Zudem fehlen sie weniger wegen Krankheiten. Auch fühlen sie sich wertgeschätzt, wenn sie ihren Lebensentwurf leben können. Mit Teilzeit kann man gute Leute locken und halten.

Warum arbeiten noch nicht mehr Männer Teilzeit?

Zemp: Ich glaube, aus ganz pragmatischen Gründen. Sie erhalten weniger Lohn und es lässt sich als Teilzeitmann kein Prestige gewinnen.

Wiler: Oftmals herrschen archaische Rollenvorstellungen vor, nach denen der Mann der Ernährer ist. Viele haben auch Angst vor einem Macht- und Statusverlust oder sie identifizieren sich stark über ihren Beruf. Auch müssen sich Teilzeitler manchmal scheele Blicke und süffisante Bemerkungen gefallen lassen.

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