Umbruch mit Sinn: Warum uns die Digitalisierung zurück zum Menschen führt
Digitalisierung ist eine Herausforderung. Keine Frage. Aber ist sie wirklich die derzeit grösste, die es zu meistern gibt? Richtet sich der Blick indes auf das Grosse und Ganze, verschieben sich Proportionen und Prioritäten. Erhält die Digitalisierung den ihr zustehenden Platz, zeigt sie sich gleich weniger bedrohlich und recht gut zu handhaben. Schwieriger zu bewältigen allerdings sind die damit einhergehenden Nebenwirkungen.
Schon der Management-Vordenker Reinhard K. Sprenger sagte: «Menschen kommen zu Unternehmen – aber sie verlassen Vorgesetzte». (Bild: 123RF)
Manche Themen sind gerade voll im Trend, entsprechend hoch werden sie in den Unternehmen gehandelt. Andererseits gibt es aber auch Angelegenheiten, über die man gar nicht mehr sprechen möchte – obwohl sie wichtiger und entscheidender sind als jeder coole Trend. Um was geht es also wirklich? Warum misslingen Projekte? Warum wird ein CRM-System, das für viel Geld angeschafft und mit grossem finanziellem und personellem Aufwand initiiert wurde, von so vielen Mitarbeitern nicht richtig und effizient eingesetzt? Was genau ist das Problem, wenn Mitarbeiter ihre gewohnten Einzelbüros verlassen und ab sofort in Grossraumbüros arbeiten müssen? Und wo sind die Stolperfallen, wenn in einem Projekt mit modernstem und hochagilen SCRUM-Projektmanagement die Projektzeiten massiv überschritten werden?
Digitale kontra mentale Transformation
Die wenigsten Projekte scheitern an den technischen Herausforderungen, sondern an der fehlenden Akzeptanz der Mitarbeiter, an Kommunikationsschwierigkeiten, an unklaren Aufträgen, an der Zusammenarbeitskultur, an Machtkämpfen und fehlendem Vertrauen. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, ist die «digitale Transformation» gar keine digitale, sondern eher eine mentale Transformation. Wie kann das sein? Denn eigentlich sollten wir im Zeitalter der Agilität und des Change-Managements bestens gerüstet für solche Veränderungen sein. Natürlich gibt es Unternehmen, die auf einem sehr guten Weg sind. Aus meiner Sicht macht sich allerdings ein Grossteil in diesem Bereich etwas vor.
Technik versus Mensch
Es braucht Menschen, die wirklich wollen, die mitdenken, die engagiert und interessiert sind. Dann entstehen viele Probleme gar nicht erst. Digitalisierungsprojekte wurden in solchen Unternehmen schon vor Jahren initiiert und problemlos durchgezogen. Warum? Weil man es da schon für nötig befand. Weil es einfach an der Zeit dafür war. Und weil alle Beteiligten das erkannten.
Mancher Unternehmer wird sich jetzt fragen, wie und wo man diese tollen Mitarbeiter findet und an sich bindet. Genau das ist die zentrale Frage. Ich bin der festen Überzeugung, dass fähige Mitarbeiter künftig nur noch in Unternehmen arbeiten werden, die Vertrauen und Wertschätzung ausstrahlen, die Sinn stiften.
Fortschritt versus Sinn
Der Management-Vordenker Reinhard K. Sprenger prägte schon vor langer Zeit den Satz: «Menschen kommen zu Unternehmen – aber sie verlassen Vorgesetzte». Genau deshalb müssen wir im Hinblick auf die Digitalisierung und alle weiteren Herausforderungen, die auf uns zukommen, ehrlich zu uns selber sein. Wir müssen verstehen, dass es nicht helfen wird, noch ein cooles, zukunftsträchtiges Projekt zu lancieren, ohne dass wir uns vorher grundlegend Gedanken über Sinn, Vertrauen, Arbeit und Erfolg gemacht haben. Technik 4.0 und Prozesse 10.0 sind eben manchmal einfacher zu managen als der Mensch 1.0. Aber mit diesen Menschen steht oder fällt die Digitalisierung als sinnvoller Fortschritt.
Digitalisierung mit Sinn ist anziehend
Wer eine Transformation des Unternehmens im Bereich Digitalisierung plant und meint, dass es sich dabei um eine technische Veränderung handelt, die man mit Prozessen und Workflows umsetzt, wird brutal scheitern. Denn das wirklich Beeindruckende an der Digitalisierung ist, dass sie uns wieder zum Menschen zurückführt, zu Authentizität. Eine schlanke Organisation lässt sich nur dann aufbauen, wenn gleichzeitig über Vertrauen und Sinn gesprochen, erkannt und akzeptiert wird.
Allerdings kann Sinn nicht übergestülpt oder verordnet werden, sondern er muss in der ganzen Kommunikation und im ganzen Sein des Unternehmens und Unternehmers immer und überall spürbar sein. Das wird die entsprechenden Mitarbeiter anziehen.
Das disruptive Digitalisierungs-Schwein
Wer immer noch meint, diese Themen seien Wohlfühlthemen, der irrt gewaltig. Eine Alternative gibt es nicht. Man kann natürlich Abwarten und Tee trinken – das soll ja beruhigen. Wobei Forscher im Tee sogenannte Pyrrolizidinalkaloide nachgewiesen haben. Sie stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Daraus lernen wir: auch Abwarten kann tödlich sein.
Also doch lieber eine Strategie ausarbeiten, wie die Transformation im Bereich Digitalisierung zu bewältigen ist. Unternehmern, die mich danach fragen, empfehle ich augenzwinkernd das «disruptive Digitalisierungs-Schwein». Natürlich ist das provokativ gemeint und soll zunächst einmal irritieren. Doch etwas salopp ausgedrückt geht es dabei um «die arme Sau, die gerade durch Management-Dörfer und Wirtschaftsliteratur getrieben wird». Digitalisierung und die damit verbundene Transformation mag im Moment eines der wichtigsten Themen in Unternehmen sein. Dass es allerdings wirklich das brennendste Problem ist, glaube ich nicht. Zu einseitig ist die Ansicht, dass wir einfach digitaler werden müssen, um «in» zu sein. Weil «man» das so verlangt und weil es auch noch unglaublich cool wirkt.
Also: Ohne Sinn, hat alles keinen Sinn. Mitarbeiter schalten auf Durchzug, Innovationen verpuffen. Stehen hinter der Digitalisierung, hinter den verbesserten Prozessen und der Transformation allerdings Menschen, die in ihrem Tun einen Sinn erkennen, müssen sich Unternehmen über das Gelingen keine Sorgen machen und können getrost den nächsten (technischen) Schritt in die Zukunft planen.