HR Today Nr. 11/2020: Debatte

Umkleidezeit bezahlen?

Zählt es bereits zur Arbeitszeit, wenn ich mich am Arbeitsort umziehe, oder nicht? Obschon rechtlich geregelt, bietet die Umkleidezeit immer wieder Grund für ­Diskussionen – vor allem aufseiten der Arbeitnehmenden.

Anja Buser, HR Strategies, HR Campus: «Macht es Mitarbeitende wirklich glücklicher, wenn Umkleidezeit als Arbeitszeit gilt?»

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Kürzlich war ich mit Freunden beim Italiener essen. Einer kam etwas zu spät, jedoch sehr leger gekleidet und meinte: «Sorry, ich musste noch nach Hause, um mich umzuziehen. So ohne Anzug fühle ich mich einfach wohler.» Und schon entbrannte die Diskussion: Ist Umkleidezeit nicht Arbeitszeit?! Rechtlich ist die Situation in diesem Fall klar: nein. In der Wegleitung des Seco steht sinngemäss: Umkleiden gilt als Arbeitszeit, wenn es zwingend zum Arbeitsprozess gehört und am Arbeitsort durchgeführt werden muss. Das ist bei meinem Kollegen aber nicht der Fall. Er kann die eleganten Kleider, die vermutlich keine Schutzfunktion ausüben, auch zu Hause an- oder ausziehen. Genau gleich geht es vielen in anderen Branchen wie der Gastronomie, dem Einzelhandel oder dem Flugsektor. Für mich eröffnet die vor allem im Gesundheitssektor andauernde Diskussion bezüglich Umkleidezeit eine völlig neue Fragestellung: Was ist Arbeitszeit? Wenn ich morgens unter der Dusche über ein arbeitstechnisches Problem nachdenke, ist das Arbeitszeit? Wenn ich abends mit meinem Partner, meiner Partnerin oder Freunden über die Arbeit diskutiere, ist das Arbeitszeit? Und was ist mit der Raucherpause meiner Kollegen? Oder neulich habe ich während der Arbeit kurz über ein privates Problem nachgedacht. Muss ich jetzt ausstempeln? Meine Quintessenz: Wir sollten uns fragen, ob wir bei diesen Diskussionen den Mitarbeitenden mit seinen Bedürfnissen wirklich ins Zentrum rücken und welches Menschenbild wir haben. Macht es Mitarbeitende wirklich glücklicher, wenn Umkleidezeit als Arbeitszeit gilt? Welches Bedürfnis steckt hinter diesen Forderungen und was ist die richtige Antwort darauf? Geht es eventuell um Wertschätzung, faire Entlohnung, oder will man gehört werden? Statt uns vor Gerichten darüber zu streiten, ob Umkleidezeit Arbeitszeit ist oder nicht, lasst uns lieber unsere Ressourcen nutzen, um das Warum zu verstehen.

Marc Prinz, Rechtsanwalt, Vischer AG: «Als Arbeitszeit gilt diejenige Zeit, in der sich die Mitarbeitenden zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten haben.»

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Die Frage der Entschädigungspflicht der Umkleidezeit stellt sich erst, wenn Mitarbeitende die Berufskleidung auf Weisung des Arbeitgebenden vor Ort anziehen müssen, insbesondere aus hygienischen Gründen. Ist das der Fall, entsteht eine (zusätzliche) Entschädigungspflicht. Jedoch nur, sofern die Umkleide- als Arbeitszeit gilt und nicht bereits anderweitig vergütet oder ausgeglichen wird. Doch was ist Arbeitszeit? Gemäss Art. 13 Abs. 1 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz gilt für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse folgende Definition: Als Arbeitszeit gilt diejenige Zeit, in der sich die Mitarbeitenden zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten haben – und somit auch die Zeit für das Umziehen, das zwingend am Arbeitsplatz zu erfolgen hat. Diese Bestimmung ist auf verschiedene öffentlich-rechtliche Arbeitgebende jedoch nicht anwendbar. Bei diesen Arbeitsverhältnissen ist gestützt auf das jeweils anwendbare Personalrecht und die internen Regelungen zu bestimmen, was zur Arbeitszeit zählt. Auch die als Arbeitszeit qualifizierte Umkleidezeit führt nicht automatisch zu einem Anspruch auf eine weitergehende, monetäre Entschädigung. Einerseits kann eine Entschädigung für die entsprechend zusätzlich geleisteten Arbeitszeiten bereits im Lohn inbegriffen beziehungsweise durch eine vertragliche Regelung wegbedungen sein – soweit zulässig. Andererseits kann der Arbeitgebende den Mitarbeitenden für diese Zeiten einen anderweitigen Ausgleich gewähren, beispielsweise durch bezahlte Pausen. Die Frage, ob die zwingend im Betrieb zu leistende Umkleidezeit (zusätzlich) zu entschädigen ist, lässt sich somit nicht pauschal beantworten. Betroffene Unternehmen sollten sich dieser Thematik aber bewusst sein und entsprechende Regelungen in den Arbeitsverträgen oder ­Personalreglementen festhalten. Andernfalls laufen sie Gefahr, unerwartet mit Lohnforderungen der Mitarbeitenden für die Umkleidezeiten konfrontiert zu werden.

Florian Schrodt, Personalmarketing, Verkehrsbetriebe Zürich: «Arbeitskleidung kann ­Identität schaffen, aber auch Schutz bieten.»

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Zugegeben: Ich habe mich nie intensiv mit dem Thema Arbeitskleidung und -zeiten beschäftigt. Aber dieser Beitrag soll an dieser Stelle nicht zu Ende sein. Daher halte ich mich an den Rat meiner Mutter: «Wenn du nur durch das Schlüsselloch schaust, wirst du nie die ganze Szene sehen.» Erstmals wirklich in Berührung gekommen mit dem Thema Dienstkleidung bin ich bei den VBZ. Die Uniformen im Fahrdienst fallen auf und strahlen etwas Besonderes aus. Das hat mir auf den ersten Blick gefallen. Damit sind die Mitarbeitenden eindeutig die Visitenkarte der VBZ. Die gilt es zu zeigen, auch auf dem Dienstweg. Aber es gibt eben nicht nur repräsentative Uniformen, sondern auch Arbeitskleidung. Auch dieser Anblick in Werkstatt und Co. war für mich neu und nicht minder beeindruckend. Neben Funktionalität schafft Bekleidung für mich auch Teamspirit. Deshalb hat sie aus meiner Perspektive einen weiteren wesentlichen Aspekt: den unternehmenskulturellen. Arbeitskleidung kann Identität schaffen, aber auch Schutz bieten. Doch betonen wir das ausreichend? Schon eine schnelle Suche im Internet fördert einige Passagen der Rechtsprechung zum Thema zutage. Was jedoch auffällt ist, dass vor allem Arbeitnehmende viele Fragen zur Arbeitskleidung stellen. Wer Fragen hat, sucht Antworten. Hier sehe ich eine wichtige Rolle der Zukunft für das HR. Denn die Regeln unseres Zusammenarbeitens werden mehr denn je durch eine Frage bestimmt: «Warum?» Wir brauchen also Regeln und Antworten und Erklärungen. Um den Bogen zur Arbeitskleidung zu spannen, würde ich die Definition von Regel einwerfen: «Eine Regel ist eine aus bestimmten Regelmässigkeiten abgeleitete, aus Erfahrungen und Erkenntnissen gewonnene, in Übereinkunft festgelegte, für einen bestimmten Bereich als verbindlich geltende Richtlinie.» Zwischen den Zeilen kommt für mich hier das Wesentliche zum Ausdruck: Regeln sind nicht willkürlich. Ausserdem bringen sie Interessen in Einklang. Damit sind Regeln das Fundament, auf dem unsere Unternehmenskulturen aufbauen. Es reicht nicht mehr aus, dass HR das Regelfundament legt. Es muss die Kultur darauf gedeihen lassen. HR sollte deshalb nicht nur als Regelmacher und -hüter agieren, sondern auch als Kulturkurator. Damit ist HR ein wesentlicher Akteur und Türöffner für Transparenz, Identifikation, Partizipation und Entwicklung.

 

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