HR Today Nr. 9/2020: Debatte

Bewertungen vergeben?

Wir vergeben Punkte für den schönsten Hotelaufenthalt oder das beste Essen. Doch ist das auch im Unternehmen angebracht? Was bringt es, wenn sich Arbeitnehmende und Arbeitgebende ­gegenseitig bewerten? Ein Personalmarketer, ein HR-Berater und ein Anwalt über Sinn und Unsinn der Punktvergabe.

Florian Schrodt, Personalmarketing, Verkehrsbetriebe Zürich: «Wer das Stöckchen holt, bekommt ein Lob oder gar ein Leckerli.»

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Ich war nie Hunde-, sondern eher immer Katzenfreund. Vielleicht erklärt das auch meine Aversion gegenüber unternehmensüblichen Bewertungssystemen. Wer das Stöckchen holt, bekommt ein Lob oder gar ein Leckerli. Dieses Bild stammt nicht von mir, es ist vom wunderbaren Gunter Dueck. Er führt den Gedanken weiter aus: Da sitzen nun die Hunde und wedeln vor Freude mit dem Schwanz, während die Katzen vor Ärger fast platzen. Was machen unsere Bewertungsmetriken daraus? Alles gut, alle wedeln doch mit dem Schwanz. Wer Leistung und Menschen pauschal in ein System presst, bekommt pauschale Ergebnisse. Wir nennen das Effizienz. Aber so kommen wir nicht weiter. Denn eines bleibt dabei auf der Strecke: der Mehrwert. Oder auch der Sinn. Mitarbeitende erkennen so weder den Wert ihres Tuns, noch erwirtschaften sie einen Mehrwert. Das widerspricht dem, was der Urvater des Management by Objectives, Peter Drucker, einmal im Sinn hatte. Drucker ging es darum, Menschen aller Hierarchiestufen an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Wichtig war ihm dabei deren Selbstbestimmtheit. Nur so können wissensbasierte Unternehmen gedeihen. Effizienz wird abgelöst durch stetes Innovieren und die skalierbare Förderung von Wissen. Dafür dürfen sich keine Hamsterräder drehen, Mitarbeitende müssen «frei drehen» können. Die Unternehmensziele müssen den Mitarbeitenden bekannt sein, aber Wege dorthin finden sie selbst. Damit machen sie nicht nur ihre Vorgesetzte, sondern auch ihre Kundinnen und Kunden glücklich. Es geht dabei darum, Dinge auch mal anders zu machen, auszuprobieren, Erkenntnisse zu gewinnen und kontinuierlich besser zu werden. Lebenslanges Lernen eben. Wie können wir das bewerten? Klassische Bewertungssystem fördern lediglich fortlaufenden Durchschnitt. Und am Ende wird die Extrameile ausgerufen, damit man irgendwie doch noch irgendwo ankommt. Nicht mal für ein Bewertungsgespräch bleibt dann Zeit. Wie könnte man dazu sagen? Da beisst sich die Katze in den Schwanz. Während der Hund Schwanz wedelnd die Karriereleiter nimmt.

Marc Prinz, Head of Labour and employment, Vischer AG: «Wurde eine negative Bewertung von einem aktuellen Arbeitnehmenden verfasst, kann der Arbeitgeber arbeitsrechtliche Disziplinar­massnahmen ergreifen.»

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Arbeitgeberbewertungsplattformen wie Kununu haben mittlerweile einen gewissen Stellenwert bei der Arbeitnehmerrekrutierung oder der Kundenakquise eingenommen. Viele Bewerber dürften sich auf solchen Plattformen über ihren potenziellen Arbeitgebenden informieren. Arbeitgebende oder Dienstleister meist anonym beurteilen zu können, wird aber oft von frustrierten, ehemaligen Arbeitnehmenden oder Kunden genutzt. Das führt tendenziell zu schlechteren Bewertungen. Unternehmensbewertungen auf solchen Plattformen sind daher nur bedingt aussagekräftig. Dennoch können Unternehmen gegen (unrichtige) Bewertungen meist nur schwer vorgehen. So ist das Löschen einer Beurteilung trotz möglicher straf- oder zivilrechtlicher Rechtsbehelfe oft nur mit viel Aufwand oder gar nicht durchsetzbar. Wurde eine negative Bewertung von einem aktuellen Arbeitnehmenden verfasst, kann der Arbeitgebende arbeitsrechtliche Disziplinarmassnahmen bis zur (fristlosen) Kündigung ergreifen, denn Äusserungen, die das Unternehmen wirtschaftlich schädigen können, stellen eine (schwere) Verletzung der Treuepflicht (Art. 321a OR) dar. Aufgrund der meist anonymen Kommentare ist der Verfasser in der Regel aber kaum zu eruieren. Die Treuepflicht geht zudem nicht so weit, dass jede negative Äusserung eines Mitarbeitenden über das Unternehmen untersagt ist. Die Unternehmen sollten daher eine proaktive Vorgehensweise wählen, was Bewertungsplattformen angeht. Einerseits können zufriedene Arbeitnehmende angehalten, aber nicht verpflichtet werden, Bewertungen abzugeben. Andererseits können sich Arbeitgebende auf solchen Plattformen auch darstellen. Viele gute Bewertungen sind für Unternehmen sogar kostenlose Werbung. Aus unserer Sicht bleiben Bewertungsplattformen aber ein zweischneidiges Schwert. Eine forcierte Einführung für alle Berufsgruppen scheint uns nicht angezeigt.

Michael Frühauf, HR Strategies, HR Campus AG: «Nicht Bewertungssysteme für Berufsgruppen bringen uns weiter, sondern Bewertungssysteme für Erlebnisse.»

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Ein kurzes Gedankenexperiment: Sie sitzen frühmorgens am Bürotisch, da meldet sich Ihr Smartphone mit dem ersten «To-do» des Tages. Sie sollen nach dem gestrigen Team-Meeting Ihre Kolleginnen und Kollegen bewerten. Zur Verfügung stehen Ihnen die sich in der Online-Welt bewährten fünf Sterne. Nun, wie viele Sterne gibt es für den nervenstrapazierenden Kollegen, der alles kritisch hinterfragt und immer das letzte Wort hat? Wie schneidet dagegen der Kollege ab, der Ihnen mit Ihrem Lieblingscappuccino vom Italiener den Vormittag versüsste? Das Bewerten von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen hat sich in unserem Alltag verankert und hilft uns, Bewährtes innert Sekunden sichtbar zu machen. Vier Sterne für den neuen Bildschirm, der mein Homeoffice aufwertet. Fünf Sterne für die inspirierende Arbeitsatmosphäre bei meinem Arbeitgeber und knappe zwei Sterne für den miesen Haarschnitt beim Coiffeur. Was aber, wenn einzelne Personen bewertet werden? Ein Spiel mit dem Feuer. Das Ranking des nervenden Kollegen, der eine wichtige kritische Stimme im Team ist, sinkt nach dem Team-Meeting schlagartig auf zwei Sterne. Damit ist die interne Beförderung vorerst Geschichte. Denn dafür wären vier Sterne das Minimum. Ein System, das kritische Stimmen verstummen liesse und die Sternen-Jagd mit Gefälligkeiten und Sympathien fördern würde. Wollen wir das? Mein Appell: Lasst uns Erlebnisse und nicht Menschen bewerten. Um beim Beispiel zu bleiben: Lasst uns den Team-Event bewerten und nicht Einzelne aus den eigenen Reihen. In meinem Berufsalltag erlebe ich immer mehr HR-Organisationen, die sich auf die Suche nach entscheidenden Erlebnissen «moments that matter» aus Mitarbeitersicht machen. Sie hören genau hin und lassen Erlebnisse, wie die erste Arbeitswoche oder das Mitarbeitergespräch bewerten. Sie interpretieren die gesammelten Daten und überzeugen mit proaktiven Handlungen. Mein Fazit: Nicht Bewertungssysteme für Berufsgruppen bringen uns weiter, sondern Bewertungssysteme für Erlebnisse.

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