Väter und Männer
Väter haben Töchter. Häufig sogar. Und erlangen auf dem Weg, auf dem sie ihr Kind begleiten, ebenso häufig die ernüchternde Erkenntnis, dass für sie in vielen Situationen andere Regeln zu gelten scheinen als für Knaben.
Adventsserie 2021: Gender Diversity. (Bild: iStock/HR Today)
Wer seine Kinder in ihrer Entwicklung zu persönlicher Freiheit begleiten möchte, ist sensibilisiert darauf, welche Rahmenbedingungen unterstützend und welche hindernd sein könnten – und wird ernüchtert feststellen, dass die einschränkenden Bedingungen noch immer überwiegen. Auch Reto Kessler, Vater dreier Töchter, ist um dieses Erlebnis nicht herumgekommen und sah sich damit konfrontiert, dass Jungen bei der Berufswahl nach Interesse und Verdienstmöglichkeiten vorgingen, während bei Mädchen häufiger die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hereinspielte.
Auch daraus resultiert sein Engagement als Leiter für betriebliche Väterarbeit beim Väternetzwerk, einem Angebot von männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Dieses baut darauf auf, dass viele Männer nach einer besseren Balance zwischen Beruf und Familie suchen, sich jedoch dazu an ihrem Arbeitsplatz nicht offen orientieren können, aus Angst vor Ablehnung durch ihre Kollegen, sowie schlechtere Karrierechancen.
Selbstorganisation
Hier wirkt also einmal mehr die Kraft der Vernetzung, denn Kessler und seine Kollegen initiieren und moderieren selbstorganisierte Netzwerke von Vätern in den Organisationen, die verstanden haben, dass eine grössere Diversität nicht zuletzt für ihr Geschäft richtig und wichtig ist. Und in den daraus wachsenden Communities, die sogar die Organisationsgrenzen überschreiten, herrschen nicht die üblichen Männerthemen. Hier wird sich über Vereinbarkeit von Arbeit und Familie ausgetauscht, über Kinder und Haushalt, hier finden sich Gleichgesinnte, die sich gegenseitig unterstützen und Diversity Newbies können viel lernen.
Das Wertvolle an diesem Vorgehen ist, dass die notwendigen Reflexionen und Veränderungen als selbstorganisierter Prozess von «unten» – also gleichsam im Grassroot-Modus – vor sich gehen können, die Beauftragung der Initialisierung und Moderation aber vom Management erfolgt. So werden die Ergebnisse zum einen als von den Teilnehmenden selbst erarbeitet betrachtet – und damit als verbindlicher wahrgenommen – als aus einem von «oben» organisierten Prozess. Zum anderen laufen sie nicht Gefahr, an der Ignoranz der Geschäftsleitung zu verpuffen, sondern können dort sogar auf die Bereitstellung neuer, für den Wandel benötigter organisationaler Rahmenbedingungen Einfluss nehmen.
Rollenverständnis neu gedacht
Das Väternetzwerk leistet noch einen weiteren Beitrag, der sich genauer mit den sozialen Rollen von Männern und Frauen in Familie und Beruf beschäftigt. Insbesondere ein Kurs, der junge Männer bei der Vorbereitung auf ihre Vaterrolle unterstützen will, räumt mit vielen Mythen auf, die das gegenseitige Verständnis der Rollen in Familien stören. Beispielsweise die hartnäckige Legende vom Mann, der zuhause ein bisschen hilft, anstatt Verantwortung zu übernehmen und den Mental Load von Familie und Privatleben mitträgt. Damit wird auch der Weg freigemacht für die Erkenntnis, dass Väter ihre Rolle anders gestalten dürfen als Mütter und dennoch ihren Anteil beitragen können.
Ihr Männer da draussen seht also, dass es bei Gender Diversity nicht darum geht, Euch zu unterdrücken (und die Jahrhunderte Patriarchat zu rächen), sondern dass die Auseinandersetzung damit Euch auch neuen Gestaltungsspielraum schenkt. Das klingt doch grossartig, nicht wahr?