Vom Profit zum Purpose: HR als Drehmoment der Gemeinwohlökonomie
Wenn HR nur KPI verwaltet, bleibt die Organisation stehen. Common Good HRM macht HR zum Hebel für gesellschaftlichen Nutzen – und bettet Performance in Sinn, Gesundheit und Selbstführung.

Gemeinwohl statt Zahlenfetisch: HR soll sich am Common Good orientieren. (Bild: ChatGPT / Canva)
Michael Müller-Camen, wissenschaftlicher Leiter des Kurzprogramms People & Culture Management der WU Executive Academy und Vorstand des Instituts für Personalmanagement an der WU Wien, sowie Bodo Janssen, Leiter der deutschen Hotelgruppe Upstalsboom, zeigen, wie HR in Praxis und Führung gemeinwohlorientiert weiterentwickelt werden kann.
Im 21. Jahrhundert reicht Profitabilität allein nicht mehr; Unternehmen stehen auch in Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt. ESG-Kriterien, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung und Kundenerwartungen forcieren ein Umdenken – mit zentraler Rolle für HR.
Common Good HRM – Personalmanagement neu denken
Müller-Camen untersucht in einem aktuellen Forschungsprojekt, wie HR sich konsequent an der Gemeinwohlökonomie ausrichten kann. «Common Good HRM» versteht HR als Hebel für die Transformation der gesamten Organisation. Leitfragen sind: Wie stiftet HR konkret gesellschaftlichen Nutzen? Wie werden diese Werte glaubwürdig in der Kultur verankert? «Common Good HRM folgt einem Outside-Inside-Ansatz: Gesellschaftliche Herausforderungen wie soziale Ungleichheit oder Umweltzerstörung regen Unternehmen an, intern Lösungen zu entwickeln», erklärt Müller-Camen.
Mindful Leadership als Basis
Die friesische Hotelgruppe Upstalsboom verfolgt diesen Weg gemäss Unternehmensangaben seit rund 15 Jahren. Nach der Firmenübernahme stellte Bodo Janssen zunächst auf Effizienz und Profitorientierung um – mit grossem wirtschaftlichem Erfolg, aber kritischer interner Rückmeldung. Eine Mitarbeitendenbefragung führte zur Neuorientierung. Janssen reflektierte im Kloster unter Anleitung von Pater Anselm Grün «Mindful Leadership» als Führungsprinzip – Auftakt einer umfassenden Neuausrichtung.
Heute stehen Sinnorientierung, Selbstverantwortung sowie eine offene Kommunikations- und Lernkultur im Zentrum. Die Transformation geht weiter: Geschäftsmodell und Hotelkonzepte werden radikal an Prinzipien der Gemeinwohlökonomie ausgerichtet. Künftig sollen neue Hotels am jeweiligen Purpose ausgerichtet sein: «Ein Luxushotel mit Infinity-Pool direkt an der Nordsee passt nicht mehr zu unserem zukünftigen Ansatz», so Janssen. Ein erstes «Hotel für Zeit in Stille» entstand aus dem Umbau eines Luxushotels; weitere Häuser werden angepasst oder in neue Verantwortung übergeben. Für das künftige Portfolio «Upstalsboom 2.0 – Andersorte» werden Objekte gesucht, die auf Schlichtheit, Achtsamkeit und Innenschau setzen.
«Nicht-Authentizität kostet Energie. Deshalb ist unser neuer Weg radikal werteorientiert zugunsten unserer Authentizität», betont Janssen. Das bedeute «Selbstwerdung». Die DNA eines Unternehmens lasse sich nicht vollständig ändern, doch Rahmenbedingungen («Epigenetik») können vieles beeinflussen. Historisch wurde Upstalsboom als Immobilieninvestment-Gruppe mit Fokus auf Rendite aufgebaut.
So funktioniert Common Good HRM (Eckpfeiler aus Forschung und Praxis)
Der Ansatz ist nicht nur HR-Aufgabe, sondern strategische Management- und Führungsaufgabe. Drei Faktoren dienen als Eckpfeiler:
1. Sinnorientiertes Personalmanagement
Rückt der gesellschaftliche Beitrag ins Zentrum, verändert sich die HR-Rolle. «Arbeit wird als Ort persönlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Wirksamkeit verstanden», so Müller-Camen. HR orientiert sich nicht nur an Kennzahlen, sondern ebenso an Bedürfnissen von Mitarbeitenden, Lieferanten und Kundinnen und Kunden. Upstalsboom verzichtet beispielsweise auf klassische Quartalsziele und fokussiert sich auf gemeinschaftlichen Sinn. Individuelle Sinnentwicklung wird mit dem Unternehmenszweck verknüpft: «Wir sehen nicht den Menschen als Mittel zum Zweck, sondern den Zweck als Mittel für den Menschen», sagt Janssen. Werte werden regelmässig überprüft und gemeinsam in konkrete Massnahmen und Ziele überführt. Der Purpose-Claim lautet «Menschen stärken» – und der ist wörtlich gemeint. Bodo Janssen nimmt seine Auszubildenden mit auf Expeditionen zum Kilimandscharo oder Südpol, um persönliche Entwicklung zu fördern. «Die Kunst der Menschwerdung besteht darin, aus Wunden Perlen zu machen», zitiert er Hildegard von Bingen – und kritisiert verkürzte Interpretationen von New Work.
2. Employee Wellbeing
«Was, wenn die Mitarbeitenden zu Feierabend den Arbeitsplatz gesünder und energiegeladener verlassen als morgens?» Diese Vision ist für Bodo Janssen keine mehr. Er setzt auf gesunde Produktivität seiner Mitarbeitenden, denn: «Wenn sich Menschen sozial, mental und körperlich in der Arbeit wohl fühlen, arbeiten sie auch gern – und warum sollten Arbeitgebende das nicht wollen?» Dazu gehöre, dass sie ihre Stärken und Interessen einsetzen können und ihre Jobs sinnorientiert selbst kreieren und verändern können.
Der Koch eines Hotels war beispielsweise unglücklich, weil er Zahlen mehr liebte als Kochen – er liess sich auf Unternehmenskosten zum Buchhalter umschulen. Faktisch würden Menschen aber immer wieder an ihrem Arbeitsplatz ausbrennen oder wegen der Arbeitsbedingungen psychisch und physisch krank werden. «Der Mensch wird dann ans Gesundheitssystem abgegeben und kommt vielleicht nicht mehr zurück», so Janssen. Um Belastungen vorzubeugen, sieht er die Verantwortung der Arbeitgebenden, selbst ein internes Gesundheitssystem zu bauen und auf Gesundheitsprävention zu setzen. Upstalsboom hat (Michael Müller-Camen war beim Ideenworkshop dabei) das «Vitalogikum» ins Leben gerufen, ein Präventionskonzept auf Basis der Salutogenese. Es umfasst medizinische Checks, aber eben auch eine gesunde Unternehmenskultur mit wertschätzender Kommunikation, «damit unsere Mitarbeitenden gar nicht erst krank werden», sagt Janssen.
3. Ernstgemeinte Partizipation und Selbstführung
Der zweite Teil des Claims nach «Menschen stärken» lautet bei Upstalsboom «Verantwortung übernehmen» – nämlich für das eigene Handeln in der Arbeit, aber auch für die Schöpfung als solches, so Bodo Janssen. Das impliziere eine Führungsweise, «durch die Menschen abends aufrechter nach Hause gehen als sie morgens gekommen sind – nicht, weil ich als Führungskraft sie aufgerichtet habe, sondern weil sie gelernt haben, sich selbst aufzurichten. Die einzige Legitimation für Führung ist die Selbstführung als Ziel.»
Die Rolle der Führungskraft ist also, die Mitarbeitenden in der Selbstführung und im persönlichen Wachstum zu stärken. Vertrauen statt Kontrolle und eine Stärkung der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden statt Anweisungen von oben. Dieses Empowerment würde auch zu erhöhter Partizipation führen – gemeinsam mit dezentralen Entscheidungsprozessen.
Bei Upstalsboom werden Entscheidungen immer von der kompetentesten Person im Raum getroffen – nachdem sie Rat aus dem Team eingeholt hat. Als wichtige Voraussetzung für ehrliche Partizipation sehen beide psychologische Sicherheit: «Wir machen aus Betroffenen Beteiligte», sagt Janssen. Erst wenn die Mitarbeitenden sich sicher fühlen und offen und frei ihre Meinung oder Bedenken ausdrücken dürfen, sei echte Teilhabe möglich, um kreative Ideen für nachhaltige und soziale Innovationen einzubringen. «Vertrauen fördert hier eine offene Fehlerkultur und damit eine bessere Lern- und Innovationsfähigkeit», so Müller-Camen. Eine Vertrauenskultur sei daher das Fundament für Common Good HRM: «Unternehmen ohne Vertrauen riskieren eine Angst- oder Misstrauenskultur, in der Veränderungen aus Angst vor negativen Konsequenzen gebremst werden», gibt auch Müller-Camen zu bedenken. «Nichts kostet einem Unternehmen mehr Zeit, Geld und Energie als Angst», ergänzt Janssen. «Daher ist Vertrauen stets die beste Investition.»
Fazit: Nicht jedes Unternehmen geht den Weg so konsequent wie Upstalsboom. Inhabergeführte Betriebe bringen dafür oft gute Voraussetzungen mit. Die Forschung steht am Anfang, liefert aber bereits Grundlagen für HR-Arbeit mit gesellschaftlicher Wirkung. (zvg)