Von der leidenden Mutter zur leitenden Angestellten
Frauen sind auf dem Vormarsch. Zwar sind sie in Führungspositionen noch immer deutlich untervertreten, erhalten noch immer weniger Lohn für die gleiche Arbeit und tragen noch immer hauptsächlich die Last der Familienarbeit, doch auf dem Weg zur Gleichstellung macht die Schweiz immerhin weitere Schritte in die richtige Richtung.
1971 wurde das Frauenstimm- und Wahlrecht eingeführt. (Foto: Keystone)
Diverse Studien belegen klar, dass sich der Unternehmenserfolg verbessert, wenn Führungspositionen mit beiden Geschlechtern besetzt werden. Doch in den Teppichetagen vieler Schweizer Unternehmen ist noch weit und breit keine Frau in Sicht: Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen liegt gemäss Schillingreport gerade mal bei sechs Prozent. Nur etwas besser sieht es in den Verwaltungsräten der hundert grössten Schweizer Unternehmen aus: Dort liegt der Frauenanteil immerhin bei 15 Prozent; 73 Prozent der Firmen haben mindestens eine Frau im Verwaltungsrat. Und es besteht Hoffnung: Im letzten Jahr wurde jeder dritte vakante Verwaltungsratssitz an eine Frau vergeben. Für 2020 rechnet Guido Schilling, Herausgeber des Schillingreports, deshalb mit einem Frauenanteil von 30 Prozent.
Ob eine Frauenquote helfen würde, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, ist umstritten. Fakt ist, dass immer mehr Länder in Europa eine Frauenquote einführen beziehungsweise bereits eingeführt haben: Norwegen, Dänemark, Island, Spanien, die Niederlande, Frankreich, Belgien und Italien kennen sie bereits, in Deutschland kommt sie 2016. Auch der Schweizer Bundesrat strebt eine Frauenquote an: Mit der Aktienrechtsrevision will er eine Geschlechterquote von 30 Prozent im Verwaltungsrat von börsenkotierten Gesellschaften ins Gesetz schreiben.
Wie schafft es frau an die Spitze?
Mirjam Bamberger, Leiterin Human Resources, Axa Winterthur
«Ein Patentrezept gibt es nicht. Neugierde und Willenskraft sind jedoch für mich zwei wichtige Voraussetzungen meines beruflichen Engagements. Und eines ist gewiss: Auf meinem Karriereweg hatte ich das grosse Glück, hervorragende Vorgesetzte zu haben. Sie schätzten meine Perspektive als Unternehmerin und Frau, meine weibliche Herangehensweise. Das schafft Raum für Vielfalt. Denn schliesslich geht es um Vielfalt, weniger um Frau oder Mann.»
Mehr Frauen – der Wille ist da
Doch der Widerstand ist gross. Unter anderem auch, weil die Erfahrungen mit der Frauenquote in Norwegen ernüchternd sind, wie eine Studie der University of Chicago zeigt: 2003 wurde eine Quote von 40 Prozent Frauen im Verwaltungsrat von börsenkotierten Firmen ins Gesetz geschrieben und ab 2008 mit Zwang durchgesetzt. Doch die Unternehmen widersetzten sich: Von 563 börsenkotierten Unternehmen 2003 blieben bis 2008 nur 179 übrig, wie die Sonntagszeitung vor Kurzem berichtete. Die anderen flohen von der Börse, um der Quote zu entgehen. Wie die Studie zeigt, sorgt die Quote auch nicht dafür, dass der weibliche Führungsnachwuchs in den Unternehmen gezielt gefördert wird. Auch ändert die Quote nichts an den Karrierenachteilen durch Studienwahl und Mutterschaft.
Die Wirtschaft sträubt sich also gegen eine Frauenquote. Statt mit Zwang sollen die Führungsgremien freiwillig ermuntert werden, mehr Frauen in die Chefetagen zu hieven. Immer mehr Unternehmen setzen auf Diversity und sind gewillt, den Frauenanteil in den Führungsgremien zu erhöhen. Immer wieder wird aber angezweifelt, ob es genügend Frauen mit den entsprechenden Kompetenzen gibt. Das widerlegt der Schweizerische Arbeitgeberverband: Gemeinsam mit fünf Projektpartnern hat er im April 2015 eine eindrückliche Liste mit 400 Frauen präsentiert, die sich für ein Verwaltungsratsmandat eignen. Die Hälfte sitzt bereits heute in Verwaltungsräten grösserer Unternehmen. Die anderen 200 eignen sich nach Meinung des Arbeitgeberverbands aufgrund ihres Leistungsausweises als Verwaltungsrätinnen für eine Gesellschaft mit mehr als 100 Mio. Franken Umsatz oder über 400 Mitarbeitenden und sind offen für eine Anfrage. Mit dieser Liste will der Arbeitgeberverband auch den Forderungen nach einer Frauenquote den Wind aus den Segeln nehmen.
Wie schafft es frau an die Spitze?
Barbara Bourouba, Head Human Resources Central Europe, Holcim
«Mein Rezept: Man nehme eine grosse Portion Freude an der Tätigkeit, die entsprechenden Fähigkeiten und eine hohe Leistungsbereitschaft, etwas Glück ‹zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein›, Flexibilität des Umfeldes sowie Interesse an Neuem! Ich hatte weniger ein Karriereziel als vielmehr meine Zufriedenheit im Fokus sowie die Vereinbarkeit mit der Rolle als Mutter. Wichtig war mir auch, eine Aufgabe zu haben, wo viel läuft, ich gefordert bin und ‹managen› kann. Mein Berufseinstieg, Weiterbildungen und alle Funktionen waren stark dadurch geprägt. Ich hatte das Glück, dass sich zum gewünschten Zeitpunkt immer eine neue Karrieremöglichkeit bot. Ich bin dem HR treu geblieben, habe aber immer wieder neue Branchen kennengelernt und mich so weiterentwickeln und in den Firmen auch andere Erfahrungen einbringen können.»
HR-Kompetenzen sind gefragt
Für Verwaltungsräte sind Mitglieder mit den unterschiedlichsten Kompetenzen gefragt, unter anderem auch im Bereich Human Resources. Dementsprechend finden sich auf der Liste des Arbeitgeberverbands auch einige Frauen aus dem Personalwesen. Vier von ihnen haben wir gefragt, was es braucht, um es als Frau an die Spitze zu schaffen (vgl. Kästen). HR-Kompetenzen im Verwaltungsrat sind dabei durchaus gefragt: «HR-Fachleute haben Erfahrung in der Rekrutierung von Fachkräften, im Bereich Entwicklung sowie Vergütung», erklärt Barbara Rigassi von Getdiversity, die sich für ausgeglichene Verwaltungsräte einsetzt und an der Liste mitgearbeitet hat. Zudem kennen sich Personaler mit arbeitsrechtlichen Fragen aus. «Es ist gut, wenn jemand im Gremium diese Kompetenzen einbringt.» Sie warnt aber auch, dass HR-Kompetenzen alleine selten gefragt seien, sondern nur in Kombination mit anderen Fähigkeiten. «Es braucht Kompetenz im Kerngeschäft des Unternehmens.» HR-Themen seien in einem Verwaltungsrat ein Thema unter vielen. Doch Verwaltungsrätinnen müssen überall mitreden können.
Projektpartner Martin Hilb vom Female Board Pool an der Universität St. Gallen gibt Frauen, die in einen Verwaltungsrat wollen, mehrere Ratschläge: Sie sollen ihre Kernkompetenzen ermitteln, ihre Unabhängigkeit wahren und Interessenskonflikte meiden, auf den eigenen Stärken aufbauen und nicht die Schwächen in den Vordergrund stellen, wie das Frauen im Gegensatz zu Männern gerne machen. Zudem empfiehlt er ihnen, eine fundierte VR-Ausbildung zu absolvieren und einem VR-Netzwerk beizutreten. Denn für neue Verwaltungsratsmitglieder suchen die bisherigen oft in ihren eigenen, meist von Männern dominierten Netzwerken. «Männer kennen vor allem Männer, und Frauen bewegen sich nicht in den Netzwerken von Männern», sagt auch Doris Aebi, Mitinhaberin der Executive Search-Firma Aebi+Kuehni AG. Nur wenige VR-Mitglieder würden von professionellen Headhuntern rekrutiert.
Manche Firmen haben allerdings die Zeichen der Zeit erkannt und den Frauenanteil in Führungspositionen bereits erhöht. So beträgt etwa der Frauenanteil im Kader von McDonald’s Schweiz 48 Prozent, bei Easyjet sind rund 30 Prozent der Stellen in mittleren und höheren Führungspositionen mit Frauen besetzt und der Versicherungskonzern Axa hat 2008 extra eine Stelle für Diversity und Family Care geschaffen: Heute sind 15 Prozent Frauen im obersten Kader, im mittleren Kader liegt der Frauenanteil bei 30 Prozent.
Wie schafft es frau an die Spitze?
Dr. Karin Bertschinger, Senior Vice President Group Human Resources, Kaba Gruppe
«Beste Zutaten für jede Karriere sind emotionales und fachliches Interesse, Neugierde, Können und hohe Einsatzbereitschaft. Ich interessiere mich wirklich für Menschen und für das, was sie treibt. Mit meiner Arbeit möchte ich sie wirksam machen und zu ihrer Entwicklung im Beruf beitragen. Das schafft Qualität, auch in der Führung. Ich konnte schon Menschen in verschiedensten Branchen führen und empfinde das als Privileg. Ich arbeite ausschliesslich für Unternehmen, mit denen ich mich iden tifizieren kann; nützliche Produkte und Erfolge machen mich stolz. Eigentliche ‹Spitze› im Leben ist, der zu werden, der man ist … nicht nur im Beruf und unabhängig vom Geschlecht.»
Frauen sind weniger wert
Die Ungleichheit der Geschlechter zeigt sich nicht nur in Führungspositionen, sondern auch beim Lohn. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist seit 1981 in der schweizerischen Verfassung verankert. Darin ist auch der Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit enthalten. Doch Frauen verdienen in der Schweiz fast einen Fünftel weniger als Männer. Etwa zwei Drittel der Lohnunterschiede lassen sich durch objektive Faktoren wie unterschiedliche Ausbildung, Alter, Dienstjahre und Anforderungsniveau erklären, die restlichen 37,6 Prozent sind als Lohndiskriminierung zu werten, wie das Bundesamt für Statistik schreibt.
Je höher die Bildung, das Anforderungsniveau der Stelle oder die Kaderfunktion ist, desto grösser ist die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen. Zudem sind vor allem Frauen, nämlich sieben von zehn, von Tieflöhnen mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von unter 3986 Franken betroffen.
Gerade Bildung ist eines der wichtigsten Mittel, um Gleichstellung zu erreichen. Es gibt deutlich mehr Frauen als Männer zwischen 25 und 64 Jahren ohne nachobligatorische Bildung. Besonders gross ist der Unterschied auf der Tertiärstufe. Ebenfalls ein zentrales Element ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gemäss Bundesamt für Statistik tragen die Frauen die Hauptverantwortung für die Kinder und die Hausarbeit. Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, arbeiten Mütter meist Teilzeit. Wer Teilzeit arbeitet, hat aber weniger Karrieremöglichkeiten. Zudem haben Frauen wegen ihrer Familienrolle oft auch eine niedrigere berufliche Stellung als Männern und sind öfter Angestellte ohne leitende Funktion.
Von den Männern arbeiten knapp 16 Prozent Teilzeit (unter 89 Stellenprozent), bei den Frauen sind es sechs von zehn. Das ist hoch: Im EU-Durchschnitt arbeiten nur 32 Prozent der Frauen Teilzeit. Allerdings ist die Erwerbstätigenquote von Frauen in der Schweiz mit rund 75 Prozent (2014) im internationalen Vergleich sehr hoch. Das traditionelle Ernährermodell – der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter schaut zu Kindern und Haushalt und arbeitet nicht – wird immer seltener: in Haushalten mit Kindern unter sieben Jahren noch zu 29 Prozent; 1992 waren es noch 61 Prozent.
Wie schafft es frau an die Spitze?
Sarah Kreienbühl, GVP Corporate HRM & Communications, Sonova
«Es ist wie im Sport: Erfolg kommt nicht über Nacht, sondern muss erarbeitet werden. Wichtig ist, konsequent auf seine Stärken zu bauen, in ein gutes Team zu investieren, nur Rollen anzunehmen, mit denen man sich identifizieren kann und in diesen zielorientiert Wert zu schaffen. Dabei agil bleiben, etappenweise die eigene Leistung reflektieren, so nie die Bodenhaftung verlieren, zur Wahrung von Unabhängigkeit weitere Standbeine pflegen, wie in meinem Fall Bergsport, und vor allem auch: Humor!»
Gleichstellung wurde auch in der Politik noch nicht erreicht: Mit 53 Prozent ist eine Mehrheit der Wahlberechtigten hierzulande weiblich, unter den Kandidierenden macht das aber noch 33 und unter den Gewählten nur noch 29 Prozent aus (2011). Mit Elisabeth Kopp wurde 1984 die erste Frau in den Bundesrat gewählt. 2010 waren erstmals vier von sieben Bundesräten Frauen, seit 2011 sind es wieder drei. Ende 2012 betrug der Frauenanteil in den Kantonsregierungen 23,7 Prozent.
Auf dem Weg zur Gleichstellung ist die Schweiz schon viele Schritte in die richtige Richtung gegangen, doch der Weg ist noch lang.