Wann ist eine Entschädigung steuerbefreit, wann sozialversicherungsbefreit?
Wegen missbräuchlicher Kündigung erhielt eine Arbeitnehmerin eine Entschädigung, die von Steuern befreit wurde. Die kantonale Steuerverwaltung erhob Beschwerde am Bundesgericht. Wann eine solche Entschädigung steuerbefreit ist und warum sie neu sozialversicherungsbefreit ist, zeigt dieses Urteil.
Illustration: Jonas Raeber.
BGE 2C_546/2021, Urteil vom 31. Oktober 2022
Das Urteil
Einer Arbeitnehmerin eines Waadtländer Verkehrsbetriebsunternehmens wurde 2016 ordentlich gekündigt. Die Arbeitnehmerin klagte in der Folge gegen die Arbeitgeberin auf Zahlung einer Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung.
An der Schlichtungsverhandlung verpflichtete sich die Arbeitgeberin in einer Vergleichsvereinbarung zur Zahlung von 25 000 Franken an die Arbeitnehmerin. Das örtliche Steueramt und die kantonale Steuerverwaltung entschieden, dass die Arbeitnehmerin diese Zahlung als Einkommen zu versteuern habe. Das Kantonsgericht des Kantons Waadt befand aufgrund des Rekurses der Arbeitnehmerin hingegen, dass die 25 000 Franken kein steuerpflichtiges Einkommen darstellten. Gegen diesen Entscheid erhob die kantonale Steuerverwaltung Beschwerde ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht wies die Beschwerde der kantonalen Steuerverwaltung ab:
Es hielt vorab fest, dass das Kantonsgericht aufgrund der Umstände zu Recht davon ausgegangen sei, dass die Zahlung der Arbeitgeberin in Anerkennung der Missbräuchlichkeit der Kündigung und damit gemäss Art. 336a OR geleistet worden sei.
Gemäss Art. 24 lit. g des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sind Zahlungen von Genugtuungssummen steuerfrei. Genugtuungszahlungen haben das Ziel, den immateriellen Schaden zu ersetzen, der durch die Verletzung von Persönlichkeitsrechten entstanden ist. Die Entschädigung gemäss Art. 336a OR hat laut Bundesgericht einen doppelten Zweck: Sie dient zum einen der Wiedergutmachung des immateriellen Schadens, den der Arbeitnehmende aufgrund der missbräuchlichen Kündigung erlitten hat, was eine Persönlichkeitsverletzung impliziert. Zum anderen verfolgt sie einen Strafzweck, indem sie ein Fehlverhalten des ehemaligen Arbeitgebenden bestrafen will.
Der Strafzweck ändert jedoch gemäss Bundesgericht nichts daran, dass die Entschädigung gemäss Art. 336a OR gesamthaft als Genugtuungszahlung im Sinne von Art. 24 lit. g DBG zu qualifizieren ist. In der Praxis sei es nämlich unmöglich, die Entschädigung je nach Zweckverfolgung aufzuteilen. Daher habe das Kantonsgericht die Entschädigung zu Recht vom steuerpflichtigen Einkommen der Arbeitnehmerin abgezogen.
Konsequenz für die Praxis
Das bundesgerichtliche Urteil ist aus Arbeitgebersicht insofern relevant, als das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) deswegen eine Praxisänderung vollzogen hat: Bislang stellten Entschädigungen gemäss Art. 336a OR zwar keinen massgebenden Lohn gemäss AHVG dar, wenn sie vom Richter zugesprochen wurden. Sie waren hingegen sozialversicherungspflichtig, wenn sie in einem gerichtlichen oder aussergerichtlichen Vergleich festgesetzt wurden. Diese Praxis zog viel Kritik auf sich. Seit dem 1. Januar 2023 sind nun auch vergleichsweise vereinbarte Entschädigungen vom massgebenden Lohn gemäss AHVG ausgenommen, wenn der Arbeitgebende dokumentiert, dass (i) es sich ausschliesslich um eine Entschädigung gemäss Art. 336a OR handelt und keine anderen Forderungspositionen (z.B. Überstundenentschädigung) miteingeschlossen sind und (ii) das Ausmass der Entschädigung klar ausgewiesen ist.
Mit Blick auf diese Dokumentationspflicht empfiehlt es sich aus Arbeitgebersicht, Entschädigungen gemäss Art. 336a OR in Vergleichsvereinbarungen deutlich als solche auszuweisen. Insbesondere sollten Entschädigungen wegen missbräuchlicher Kündigung nicht in Pauschalzahlungen eingeschlossen werden, die weitere Forderungspositionen abdecken. a