Was ist ein Arbeitnehmer?
Oder warum die neue Arbeitszeitverordnung eine Zweiklassengesellschaft schafft.
Die Sozialpartner wollten mit der Arbeitszeitverordnung neue Antworten geben auf Veränderungen in der Arbeitswelt. Woher kommt das Unbehagen des Juristen? Was würde ihm helfen, Unternehmen in Sachen Arbeitszeiterfassung mit gutem Gewissen zu beraten? Wo finden wir tatsächlich neue Antworten für gute Arbeitsbeziehungen in der Zukunft? Die neue Arbeitszeitverordnung versuchte ein Antwort zu geben, indem sie eine neue Zweiklassengesellschaft schuf: Mitarbeitende mit hohen Einkommen, denen man zutrauen kann, nach Gefühl zu arbeiten. Und Mitarbeitende mit tieferen Einkommen, denen das Arbeiten nach Gefühl nicht zuzutrauen ist.
Sie spüren es: Hier stimmt etwas nicht. Und was hier nicht stimmt, ist die Feindbildkategorie, auf der die neue Arbeitszeitverordnung basiert. Wir sind uns seit Jahrzehnten gewohnt, das Arbeitsgesetz über die Pole «Arbeitgeber – Arbeitnehmer» auszuhandeln. In der heutigen Arbeitswelt darf – oder vielmehr muss – dieses Feindbild hinterfragt werden. Ist ein Mitarbeiter mit einem hohen Einkommen in Sachen Arbeitszeit gleich zu schützen wie ein Working Poor? Was darf man von ihm in Sachen Loyalität und Arbeitsbereitschaft für dieses hohe Einkommen verlangen? Gehört zu einem hohen Salär nicht auch die Bereitschaft, auf Freizeit zu verzichten? Konkret: Darf man von einem Mitarbeiter mit mehr Einkommen auch mehr Arbeitszeit fordern? Bei der Beantwortung dieser Frage muss sich der Gesetzgeber bewusst sein, dass viele Working Poor durchaus bereit sind, in zwei oder mehr Jobs auch an sechs Tagen pro Woche zu arbeiten. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass viele selbständige Kleinunternehmer bei einer 60-Stunden-Woche keine CHF 80 000.– verdienen.
In der Managementliteratur ist heute anerkannt, dass zu einer guten und richtigen Führungsarbeit auch die richtige Kontrolle gehört. Warum also sollte ausgerechnet die Arbeitszeit nicht kontrolliert werden? Ist sie nicht integrierender Bestandteil eines Arbeitsvertrags? Warum sollte die Arbeitszeit von gut verdienenden Angestellten nicht kontrolliert werden? Sind diese im Durchschnitt weniger egoistisch? Wird der Manager nicht wie jeder andere Mensch danach streben, gleichzeitig mehr Freizeit, mehr Geld und mehr Leben für sich in Anspruch zu nehmen? Timothy Ferriss forderte im Buch «Die 4-Stunden Woche» unverblümt dazu auf, den Arbeitgeber durch den Aufbau von Homeoffice zu betrügen. Ist ein solches Ansinnen wahrhaftig? In der Primarschule werden Menschen durch Lehrer angeleitet und kontrolliert. In den Unternehmen gibt es Führungskräfte, deren Aufgabe es ist, Menschen so anzuleiten, dass sie ihre Leistungsreserven optimal mobilisieren. Sowohl Lehrer als auch Manager sind keine Übermenschen, die man unkontrolliert wirken lässt.
Fazit: Bevor wir darangehen, die Arbeitsgesetze neu zu formulieren, müssen wir heutige Feindbildkategorien einer sachlichen Analyse unterziehen. Die Zeitforschung kann hierbei sehr hilfreich sein.