HR Today Nr. 3/2021: Praxis – Teamwork II

Weg vom Kontrollwahn

Coach, Keynote-Speakerin und Buchautorin Iris van Baarsen erklärt, wie Teamwork in Covid-19-Zeiten funktioniert und warum Mitarbeitende im Homeoffice nicht überwacht werden sollten.

Was vor Ort schwierig ist, wird virtuell noch heraus­fordernder. Was sind die grössten Probleme beim Teamwork auf Distanz?

Iris van Baarsen: Dass sich viele Führungskräfte mit virtueller Führung schwertun, weil es etwas Neues ist und somit bei ihnen grosse Unsicherheiten auslöst. Daneben müssen sich Vorgesetzte mit unterschiedlichen Charakteren, Interessensgruppen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Persönlich habe ich festgestellt, dass Teamwork virtuell gut funktioniert, wenn die Führungskraft in die Rolle des Moderators hineinwächst.

Wie entsteht in virtuellen Teams ein Zugehörigkeitsgefühl?

Indem  Führungskräfte nicht von einem virtuellen Meeting zum nächsten hetzen und sich nur auf Fachliches konzentrieren. Häufig tendieren sie in Zoom- oder Teams-Sessions ­aber genau zu einem solchen Verhalten. Gespräche in der Kaffeeküche, das gemeinsame Mittagessen und der kurze Austausch auf dem Gang ent­fallen ersatzlos. Dadurch geht auch das Wir-Gefühl verloren. Dagegen können Führungskräfte etwas tun, beispielsweise, indem sie den zwischenmenschlichen Austausch virtuell pflegen und institutionalisieren. Damit sind sie sofort auf einer persön­licheren Ebene.

Was tragen Rituale dazu bei?

Erinnern wir uns an Rituale aus der Kindheit, verbinden wir damit meist positive Gefühle. Tatsächlich können Rituale denselben Effekt in Teams und Organisationen auslösen. Deshalb beginne ich jedes meiner Teamcoachings mit persönlichen Fragen: Was ist dir heute wichtig? Was war in dieser Woche schwierig für dich? Was hast du dir für heute vorgenommen? Mein Ritual besteht aber nicht nur aus diesen Fragen. Jedes Teammitglied erhält von den anderen anschliessend ein ausschliesslich positives Feedback. Auf Dauer macht das die Teammitglieder mutiger. Das gegenseitige Vertrauen wächst. Das wiederum führt zu neuen Ideen und mehr Freude. Der Haken an der Sache liegt in der Natur des Rituals: Es muss wiederholt werden. Dazu gehört eine gewisse Disziplin.

Auch in der digitalisierten Welt hat man das Gefühl, dass Extrovertierte häufiger zum Zug kommen als Introvertierte …

Das bezweifle ich. Wenn es Introvertierten schwerfällt, sich in einem Team-Meeting zu Wort zu melden, können sie in der digitalen Welt vermehrt Chat-Funktionen nutzen. Manche Menschen fühlen sich im Homeoffice deshalb sogar wohler und sind mutiger. Aus einem introvertierten Menschen mache ich aber auch in der digitalen Welt kein extrovertiertes Teammitglied. Das ist auch nicht nötig. Wichtiger ist, die Stärken unterschiedlicher Menschen anzuerkennen und sie transparent zu machen, damit Mitarbeitende im Unternehmen gemäss ihren Stärken eingesetzt werden.

Wie lassen sich Konflikte in der digitalen Welt erkennen und bewältigen?

Wir sehen lediglich einen kleinen Ausschnitt unseres Gegenübers, wenn wir uns digital bewegen. Deshalb kann man jemanden kaum an seiner Körpersprache einschätzen. Was uns bleibt, sind ausgesprochene Worte und die Art, wie sie betont werden. Wir können Konflikte sogar anhand von E-Mails erkennen, ohne die Personen jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Eines steht aber fest: In der digitalen Welt, in der alles schneller funktionieren soll, ist Entschleunigung angesagt, wenn es um menschliche Beziehungen und die zwischenmenschliche Kommunikation geht. Sich für ein Einzelgespräch Zeit zu nehmen und Interesse am Gegenüber zu zeigen, zeugt von Fingerspitzengefühl und Empathie.

Teams im Homeoffice zu überwachen, ist kontraproduktiv. Was sagen Sie dazu?

Wir müssen dringend von diesem Kontrollwahn wegkommen. Weshalb sollen wir einen Mitarbeitenden überhaupt kontrollieren? Arbeitet er wirklich besser, wenn er im Büro sitzt? Dieser Kontrollmechanismus funktioniert vielleicht in kleineren Teams, doch bei grösseren regionalen oder gar internationalen Gruppen ist Kontrolle ein Energiefresser. Viel Aufwand, wenig Ergebnis. Wer glaubt, kontrollieren zu müssen, hat ein ganz anderes Problem. Entweder hat diese Führungskraft eine falsche Grundhaltung oder ist die falsche Person in der falschen Position.

Hat virtuelles Teamwork eine Zukunft?

Viele Teams, die sich im vergangenen Jahr nicht mehr treffen konnten, werden sich darauf freuen, sich wieder zu sehen. Wir brauchen einander über den Bildschirm hinaus. Es tut gut, sich gegenüberzusitzen. Das werden wir in diesem Jahr sicher wieder erleben. Dennoch wird Teamwork künftig eine Mischform aus Präsenz und digitalem Arbeiten sein.

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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