Risikofaktor Personal

Wenn der Mitarbeitende zum teuren 
Risiko für das Unternehmen wird

Mitarbeitende tragen nicht nur zum Erfolg eines Unternehmens bei, sie können auch einen Risikofaktor darstellen. Einen, der die Firmen viel Geld kosten kann. Wer die vier Hauptpersonalrisiken kennt, kann sie als Fundament seiner HR-Strategie erfassen, messen und steuern. So werden die Personalrisiken zu Chancen, die es erfolgreich zu nutzen gilt.

Das Personal ein Risikofaktor? Und dann noch einer der grössten für ein Unternehmen? Diese Gedanken waren bis vor wenigen Jahren in den Köpfen der Schweizer HR-Fachleute nicht existent. Erst seit kurzem – wohl auch als Folge der Finanzkrise – scheint das Thema auf der Agenda der Personalverantwortlichen langsam mehr Platz einzunehmen.

Einer, der sich mit dem Personal als Risikofaktor schon auseinandersetzte, als noch niemand auf die Idee kam, dass es denn einer sein könnte, ist Jean-Marcel Kobi. Der Zürcher Managementberater entwarf vor zehn Jahren ein Personalrisikomodell mit dem Anliegen, überhaupt einmal bewusst zu machen, dass es Personalrisiken gibt und mit ihnen hohe Kosten für die Unternehmen verbunden sind. Das meiste, was seither zu diesem Thema entwickelt wurde, basiert auf Kobis Modell. «Ich suchte einen systematischen Ansatz, mit dem das Thema Personalrisikomanagement ganzheitlich angegangen werden kann und dabei doch einfach bleibt.» Und so entstand ein Grundmodell mit vier Risikofeldern und vier Risikozyklen (siehe Grafik 1). Die vier Felder, welche somit die wichtigsten Personalrisiken darstellen, sind:

  • Engpassrisiko: In diesem Feld geht es um die fehlenden Leistungsträger respektive um die Frage, ob das Unternehmen künftig die Leistungsträger haben wird, die es auch braucht. Angesprochen werden die Themen strategische Personalplanung, Demographie, Personalgewinnung, War of Talents und somit auch das Employer Branding.
  • 
Austrittsrisiko: Welche Leistungsträger sind gefährdet und daran, das Unternehmen zu verlassen? «Ich denke», so Kobi «in diesem Feld nicht nur an Einzelne. Denn in jüngster Vergangenheit hat sich gezeigt, dass vermehrt auch ganze Teams abgeworben wurden. Und das tut noch mehr weh als der 
Verlust eines einzelnen Leistungsträgers.» In diesem Feld ist auch das Retentionsmanagement anzusiedeln.
  • 
Anpassungsrisiko: Hier geht es darum, ob die vorhandenen Mitarbeitenden auch richtig qualifiziert sind. Und zwar für die aktuellen wie auch für die zukünftigen Aufgaben. Dies setzt natürlich voraus, dass sich das Unternehmen darüber im Klaren ist, welche Kompetenzen in Zukunft gebraucht werden und ob sie im Unternehmen schon vorhanden sind. Weiter fallen in dieses Feld auch die Themen Flexibilität und Change Management.
  • 
Motivationsrisiko: Da wird das Thema der zurückgehaltenen Leistungen angesprochen. Also Mitarbeitende, die weniger bieten, als sie eigentlich könnten. Oder vielleicht im Extremfall schon innerlich gekündigt haben. Dieses Feld ist stark mit den Themen Führung, Arbeitszufriedenheit und Commitment verbunden.

Bei der Anwendung des Personalrisiko-Modells ist für Jean-Marcel Kobi zentral, dass die Risiken systematisch und ganzheitlich 
erhoben werden und nicht nur punktuell. Das heisst, die Personalrisiken sind, zusammen mit der Früherkennung, der strategischen Personalplanung und dem Personalcontrolling, die Grundlagen der HR-Strategie. «Eine HR-Strategie, die nicht auf den Personalrisiken basiert, ist ungenügend fundiert», sagt Kobi. Denn nur wer die Risiken kenne, könne in seiner Personalstrategie auch konkrete Ziele und somit die richtigen Schwerpunkte setzen.

Werden HR-Risiken nicht gemessen, nützt die ganze Erfassung nicht viel

Diese sind bei jedem Unternehmen wieder anders. So kann grundsätzlich keinem der vier Risikofelder ein besonderes Gewicht zugesprochen werden, es braucht eine unternehmensspezifische Definition. Dies kann auch zur Folge haben, dass für gewisse Unternehmen weitere Risikofelder hinzugefügt werden. «Für die Banken ist beispielsweise das Integritätsrisiko ein wichtiges Thema. Ebenso kann man sich jeweils grundsätzlich überlegen, ob nicht noch ein Feld HRM-Risiko 
hinzugefügt werden soll», erklärt Kobi.

Darin könnte dann gefragt werden, ob die Kunden mit den Leistungen und Instrumenten, die ihnen vom HR zur Verfügung gestellt werden, zufrieden sind und ob die Prozesse des HRM richtig funktionierten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für Kobi der Einbezug der Linie. «Die Identifikation und Beurteilung der Personalrisiken ist nichts, was das HR im stillen 
Kämmerlein erarbeiten kann, sondern etwas, das mit der Linie zusammen entwickelt werden muss.» Denn das konkrete, alltagsbezogene Wissen liege bei der Linie. So zeigt sich Kobi auch überzeugt, dass das Management bei dieser Arbeit schnell mit an Bord ist, sofern das HR 
erklärt, worum es 
da geht. «Nehmen Sie eine Bank oder Versicherung. Da sind Risiken von morgens bis abends das Thema. Somit kann der Linie meist schnell klargemacht werden, dass es auch Personalrisiken gibt.»

Haben Identifikation und Beurteilung 
(siehe Grafik 2) der vorhandenen Risiken stattgefunden, werden sie gemessen. So kann aufgezeigt werden, wo das Unternehmen steht und wie die Entwicklung aussehen muss. Dies liefert die Basis, um konkrete Massnahmen zu ergreifen und diese dann auch zu steuern.

Was so einfach klingt, birgt – wie so oft – doch noch einige Herausforderungen. So braucht es für die HR-Strategie verbindliche Standards. Und zwar solche, die auch überprüft werden können. «Wenn in einer Personalstrategie beispielsweise steht: Wir wollen möglichst vielen Internen ermöglichen, in Führungspositionen nachzurücken, dann ist das für mich viel zu weich», meint Jean-Marcel Kobi bestimmt. Vielmehr müsse ein solches Ziel in einen messbaren Standard münden, der lauten könnte: Wir wollen 70 Prozent 
unserer Kaderleute intern rekrutieren.

Mit dem Messen tut sich HR allerdings oft schwer. Auch mit jenem von Personalrisiken. «Aber», so Kobi, «es ist aus meiner Erfahrung mehr messbar, als die HR-Fachleute oft meinen.» Die Vernetzung mit dem Personal-controlling liegt da seiner Ansicht nach auf der Hand. Und ganzheitliches Messen beinhaltet für ihn nicht nur Kennzahlen, sondern auch Indikatoren aus Befragungen und die Beurteilung von Standards. «Das Commitment kann man in einer Mitarbeiterbefragung durch gezielte Fragen durchaus erheben und so daraus beispielsweise einen Gesamtindikator entwickeln.»

Auch Personalrisiken sind nur eine Kehrseite der Medaille

Trotz diesen Berührungsängsten und einem nach wie vor kleinen Bewusstsein für die Personalrisiken stellt Kobi eine wachsende Sensibilität für diese Thematik fest. «Und bei allem Fokus auf die Risiken darf nicht vergessen werden, dass es immer auch eine Kehrseite der Medaille gibt.» In diesem Fall seien dies Stärken, die ein Unternehmen in diesen vier Feldern ebenso haben kann wie Risiken. «Diese Stärken gilt es zu erkennen und auszubauen. Und dann werden sie zu Chancen.»

Stolpersteine in der Praxis

Die Implementierung eines HR-Riskmanagements ist in der Praxis mit einigen Stolpersteinen verbunden:

  • 
Fehlende Praxisbeispiele: Die meisten Ansätze eines systematischen und prozessorientierten HR-Riskmanagements sind in der Praxis selten zu finden, entsprechende Literatur ist kaum vorhanden. Damit ist eine Realisierung eines HR-Riskmanagements mit hoher eigener Entwicklungsarbeit verbunden, da «Best Practice»-Ansätze fehlen.
  • 
Fehlende verbindliche Definitionen: Für HR-Kennzahlen bestehen keine verbindlichen Definitionen oder Standards. Dies führt einerseits dazu, dass immer wieder neue Kennzahlen definiert werden, andererseits fehlen eine Transparenz und die Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmungen.
  • 
Fehlende Akzeptanz: Die Einbindung des HR-Riskmanagements auf der Unternehmensebene, entweder über ein entsprechendes Riskmanagement auf Unternehmensebene oder über die Unternehmensstrategie, ist wichtig. Damit ist die nötige Akzeptanz vorhanden.
  • 
Zu hohe Erwartungen: HR-Riskmanagement zeigt mögliche Risiken und Massnahmen auf, kann die Risiken aber in der Regel nicht vermeiden.
  • 
Zu viele Kennzahlen: Nicht die Quantität der Messgrössen, sondern die Qualität ist entscheidend. Oft ist es sinnvoller, mit wenigen Messgrössen zu beginnen und diese mit der Zeit 
gezielt auszubauen.
  • 
Fehlende Sensibilität im Umgang mit Risiken: Der Umgang mit Risiken bedingt insbesondere auch eine Unternehmenskultur, welche entsprechende Diskussionen zulässt. Ziel ist es nicht, möglichst wenige Risiken auszuweisen, sondern die Risiken realistisch und bewusst aufzuzeigen.

 

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