HR Today Nr. 1&2/2019: Arbeitnehmerhaftung

Wer arbeitet, macht Fehler. Und dann?

Fehler eines Arbeitnehmers verursachen in der Regel Kosten bzw. Gewinnausfälle, was zu einem Schaden für den Arbeitgeber führt. Verursacht ein Arbeitnehmer einen Schaden, stellt sich sofort die Frage, wer diesen nun zu tragen hat.

Solange eine Versicherung den Schaden übernimmt, wird die Frage, wer nun den Schaden zu begleichen hat, meist weder für den Arbeitnehmer noch für den Arbeitgeber interessant bleiben. Fehlt jedoch eine Versicherungsdeckung, wird der Arbeitgeber in der Mehrzahl aller Fälle zumindest prüfen, ob nicht der Arbeitnehmer allenfalls einen Teil des Schadens zu tragen hat.

Haftungsvoraussetzungen

Auch beim Arbeitsvertrag haftet grundsätzlich jede Partei der anderen für Schäden, die sie durch Vertragsverletzung verursacht. Das Prinzip ist das gleiche wie im übrigen Vertragsrecht. Als Vertragsverletzungen kommen insbesondere die Verletzung der Arbeitspflicht, der Treuepflicht und der Sorgfaltspflicht in Frage – wobei die Verletzung in Ausführung oder bei Gelegenheit der Arbeit erfolgen kann. Unbeachtlich ist, ob der Arbeitnehmer den Arbeitgeber oder einen Dritten schädigt.

Gemäss Art. 321e Abs. 1 OR ist ein Arbeitnehmer für Schäden verantwortlich, die er dem Arbeitgeber absichtlich oder fahrlässig zufügt. Allerdings hat der Arbeitnehmer nur für das in Art. 321e Abs. 2 OR vorgegebene Sorgfaltsmass einzustehen.

Das Mass der Sorgfalt, für die der Arbeitnehmer einzustehen hat, bestimmt sich nach dem einzelnen Arbeitsverhältnis, unter Berücksichtigung des Berufsrisikos, des Bildungsgrades oder der Fachkenntnisse, die zu der Arbeit verlangt werden, sowie der Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen. Es wird also auf einen sog. individuellen Sorgfaltsmassstab abgestellt.

Individuelle Beurteilung

Für die Beurteilung des Verschuldens sowie der konkreten Schadenersatzbemessung ist jeder Fall anders. Berücksichtigt werden müssen stets das tatsächliche, einzelne Arbeitsverhältnis, das entsprechende Berufsrisiko, der notwendige Bildungsgrad respektive die nötigen Fachkenntnisse sowie die persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, soweit sie der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen.

Daraus folgt etwa, dass der nicht-ausgebildete Hilfsarbeiter für den gleichen Fehler nicht im gleichen Mass haftbar ist wie der langjährige, bestens qualifizierte Mitarbeiter. Auf der anderen Seite ist die Überwachungspflicht des Arbeitgebers entsprechend grösser, wenn er mit unqualifizierten Arbeitnehmern zu tun hat.

Schadenersatzbemessung und Reduktionsgründe

Gemäss OR gibt es keine Obergrenze der Haftpflicht. Die Schadenersatzhöhe wird allerdings einerseits ebenfalls nach Absicht, grober, mittlerer und leichter Fahrlässigkeit abgestuft (zur Bedeutung der Begriffe siehe Kasten). Andererseits können weitere Reduktionsgründe die effektive Ersatzpflicht verringern. Reduktionsgründe sind regelmässig (aber nicht abschliessend):

  • Fahrlässigkeit: Je geringer die Fahrlässigkeit, desto geringer ist das Verschulden. Ebenso führt dies in der Regel zu einer Reduktion der Schadenersatzpflicht.
  • Berufsrisiko: Wird eine Tätigkeit ausgeübt, bei der ein erhöhtes Risiko für Schäden besteht (sogenannte gefahren- oder schadensgeneigte Arbeit) – in Frage kommen etwa Berufschauffeure, Ärzte, Automechaniker, Berufe mit Umgang mit sehr teuren Geräten oder mit einer hohen Komplexität der Arbeit –, haftet der Arbeitnehmer in der Regel nicht für geringfügige Schäden oder für leichte Fahrlässigkeit beziehungsweise das Berufsrisiko.
  • Selbst- oder Mitverschulden des Arbeitgebers: Ein Selbst- oder Mitverschulden des Arbeitgebers geht zu Lasten des Arbeitgebers. Erlässt er etwa missverständliche oder falsche Weisungen oder instruiert er die Arbeitnehmer ungenügend, wird die Haftung der fehlbaren Arbeitnehmer reduziert.
  • Lohnhöhe oder Notlage: Würde die Schadenersatzpflicht des Arbeitnehmers diesen in eine Notlage führen (etwa weil er wenig verdient), kann dies zu einer Reduktion der Schadenersatzpflicht führen. Dies gilt allerdings nur für den Fall, wo der Arbeitnehmer mit leichter oder mittlerer Fahrlässigkeit handelt.

Faustregeln

Jeder Fall der Schadenersatzpflicht ist individuell zu beurteilen. Dennoch haben sich in der Praxis verschiedene Faustregeln herausgebildet, gemäss denen sich die Höhe der Schadenersatzpflicht grob einschätzen lässt:

  • Leichte Fahrlässigkeit: Bei gefahren- oder schadensgeneigter Arbeit entfällt in der Regel die Schadenersatzpflicht, ansons­ten erfolgt bei leichter Fahrlässigkeit eine Reduktion der Haftung. Als Faustregel für die Haftung gilt: bis zur Hälfte des effektiven Schadens, maximal ein Monatslohn.
  • Mittlere Fahrlässigkeit: Auch die mittlere Fahrlässigkeit führt zu einer Reduktion der Schadenersatzpflicht. Als Faustregel für die Haftung gilt: die Hälfte bis zwei Drittel des Schadens, maximal zwei Monatslöhne.
  • Grobe Fahrlässigkeit: In der Regel erfolgt keine Reduktion der Schadenersatzpflicht. Als Faustregel für die Haftung gilt: voller Schaden, maximal drei Monatslöhne (bei hohem Schaden und hoher Leistungsfähigkeit auch höher).
  • Absicht: Bei absichtlicher Schädigung durch den Arbeitnehmer erfolgt keine Reduktion der Schadenersatzpflicht. Als Faustregel für die Haftung gilt: voller Schaden.
  • Berufsrisiko (gefahren- oder schadensgeneigte Arbeit): Bei leichter Fahrlässigkeit entfällt in der Regel die Schadenersatzpflicht oder wird zumindest reduziert.
  • Selbst- oder Mitverschulden des Arbeitgebers: Ein grobes Selbstverschulden des Arbeitgebers führt zum gänzlichen Entfallen der Schadenersatzpflicht. Ein Mitverschulden des Arbeitgebers führt zu einer Reduktion der Schadenersatzpflicht.

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Spezialfälle

Die nachfolgenden Spezialfälle werden wegen ihrer besonderen praktischen Bedeutung erwähnt:

  • Wegbedingung für leichte Fahrlässigkeit: Gemäss Art. 101 OR kann durch den Arbeitsvertrag (auch in Normal- oder Gesamtarbeitsverträgen) die Haftung des Arbeitnehmers für leichte Fahrlässigkeit wegbedungen werden, sodass dieser für Schäden, die er aufgrund leichter Fahrlässigkeit verursacht, nicht schadenersatzpflichtig wird. Da in der Regel der Arbeitsvertrag aber durch den Arbeitgeber entworfen wird, finden sich solche Klauseln selten in den Arbeitsverträgen.
  • Mankohaftung: Unter einer Mankohaftung wird die Haftung für Kassen-, Waren- oder Materialfehlbestände verstanden. Oft wird versucht, dem Arbeitnehmer die Verantwortung für Fehlbestände aufzuerlegen. Solche Klauseln sind aber nicht bindend. Art. 321e OR ist teilzwingendes Recht und darf somit nur zugunsten des Arbeitnehmers vertraglich angepasst werden. Gemäss Art. 321e OR wird der Arbeitnehmer nur für Schäden, die er in Verletzung einer vertraglichen Pflicht selber verursacht hat, schadenersatzpflichtig. Somit ist es nicht zulässig, den Arbeitnehmer ohne dessen Verschulden schadenersatzpflichtig werden zu lassen.

Versicherungsdeckung

Bei Schäden, die durch eine Versicherung gedeckt sind, beträgt der Schaden des Arbeitgebers, für den der Arbeitnehmer haftbar ist, nur noch den Selbstbehalt, einen allfälligen Malus und gegebenenfalls ungedeckt gebliebene Schäden oder allenfalls Regressforderungen. Die Schadenersatzpflicht des Arbeitnehmers umfasst also nicht den von der Versicherung gedeckten Schaden.

Zum Teil wird sogar argumentiert, der Arbeitgeber müsse Schadensrisiken, wenn möglich und zumutbar, immer versichern (das sei seine Pflicht). Stimmt man dem zu, so wird der Arbeitnehmer maximal in dem Umfang schadenersatzpflichtig, wie sich ein Schaden bei entsprechender Versicherung verwirklicht hätte. Eine hohe praktische Relevanz haben dabei Fahrzeugschäden, bei denen einige Gerichte generell davon ausgehen, der Arbeitgeber müsse eine Vollkaskoversicherung abschliessen.

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Nicolas Facincani, lic. iur., LL.M., ist Partner der Anwaltskanzlei Voillat Facincani Sutter + Partner. Er ist als Rechtsanwalt tätig und berät Unternehmen und Private vorwiegend in wirtschafts- und arbeitsrechtlichen Belangen. Er doziert zudem regelmässig zum Arbeitsrecht. www.vfs-partner.ch

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