Arbeit und Recht

Wer plant und koordiniert das alles?

Flexibilität ist schön – aber auch ganz schön stressig. Im Dschungel neuer Arbeitszeitmodelle tun sich zunehmend Abgründe auf, in denen auch juristisch viele Fragen neu zu klären sind. Das ist nicht verwunderlich, weil Arbeitszeit und Freizeit sich zunehmend vermischen. Die Frage sei allerdings erlaubt, ob wir dies auch so wollen. Wir ­leben im Zeitalter des Jobhoppings und Familyhoppings. Jeder arbeitet jederzeit, irgendwo und irgendwas in Teams, die mit Diversitymanagement auf die globale Arbeitswelt ausgerichtet sind. Der Arbeitsweg wird länger. Die Menschen wollen auch unterwegs im Zug arbeiten, auch wenn die «Zwangsstehplätze» in Zeiten der Rushhour Alltag geworden sind.

Symptomatisch für die hier geschilderte Situation ist der Umstand, dass wir auch in der Schweiz den Begriff «Arbeitsplatz» durch «Jobs» ersetzt haben. Die heutige Auffassung von Job hat nichts mehr gemein mit der ursprünglichen Idee des Arbeitsplatzes – also einem Ort, an dem man organisatorisch verortet und mit seinem Arbeitsumfeld verbunden war. Der Mensch wird zum Zubehör des Internets der Dinge und des Marktes. Private Telefon­gespräche finden nicht mehr in der Telefonkabine statt – sie werden am Arbeitsplatz geführt. Die heutigen Möglichkeiten der Kommunikation bieten hierfür enorme Erleichterung. Aber auch neue Probleme. Heute erreichen uns private und geschäftliche Nachrichten rund um die Uhr im Sekundentakt auf verschiedenen Kommunika­tionskanälen. Sie fordern unsere unmittelbare Aufmerksamkeit und Konzentration. Wie soll man unter diesen Umständen juris­tisch noch einwandfrei definieren, was Arbeit und was Freizeit ist? Wie kann man erreichen, dass die Zersplitterung in der Konzentration nicht zu einem Burnout führt? Wie soll man in einer derartigen Arbeitswelt zusammen­arbeiten, Arbeitsschritte planen und koordinieren, Arbeitsergebnisse messen und Ziele so vereinbaren, dass eine leistungsgerechte Entlohnung möglich ist?

Weil es eilt, sollten wir innehalten, nachdenken und neu denken. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten, auf die zunehmende Überforderung im Privaten und am Arbeitsplatz zu reagieren. Variante 1: Wir tun so, als wären diese neuen Anforderungen an unsere Arbeitswelt naturgegeben und versuchen, der Situation mit neuen Gesetzen und Vereinbarungen zu begegnen. Variante 2: Wir erkennen, dass die Bedürfnisse des Kollektivs und des Individuums an eine sinnvolle Unternehmens- und Familienkultur mehr Planbarkeit und damit weniger individuelle Freiheit erfordern. Entscheiden wir uns also für ein friedvolles und vertrauensvolles Zusammenleben in Arbeitswelt und Freizeit, dann könnten wir aus der Zeitforschung gute Erkenntnisse ableiten, die ein stressfreieres Zusammenleben ermöglichen. Als Zeitoptimist plädiere ich für mehr Strukturen und dadurch weniger Zwang zum Planen – im Interesse von uns allen. Nicht alles, was möglich ist, ist auch sinnvoll.

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Text: Ivo Muri

Ivo Muri ist Zeitforscher im luzernischen Sursee und beschäftigt sich mit Gesellschaftsfragen. Er gibt sein Wissen in Seminaren und Referaten weiter. www.ivomuri.ch

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