Interview mit Heike Mayer

«Wir müssen lernen, uns selbst gut zu führen»

Was wir wollen, und was wir tun stimmt häufig nicht überein. Wir stehen uns selbst im Weg. Wie wir mit uns ­besser klar kommen und damit auch mit unseren ­Mitmenschen, erläutert Buchautorin Heike Mayer.

Eigentlich bin ich eine WG, ist Ihrer Buchbeschreibung zu entnehmen. Was bedeutet das genau?

Heike Mayer: Niemand von uns ist eine einheitliche, kohärente Persönlichkeit, die immer eins mit sich ist. Wären wir das, würden unsere Absichten und unser Verhalten stets übereinstimmen. Sieht man genauer hin, wird jedoch klar: Jeder von uns hat verschiedene Persönlichkeitsanteile, die in bestimmten Situationen zum Vorschein kommen. Beispielsweise: Sie ­möchten in einem Meeting etwas sagen, ringen sich aber nicht durch, das Wort zu ergreifen. Sie sind auf jemand wütend, haben deswegen aber auch ein schlechtes Gewissen. Sie wollen eine verständnisvolle Mutter oder eine verständnisvolle Chefin sein, verlieren in der nächsten Stress-Situation aber die Nerven und blaffen Ihr Gegenüber an. Willkommen im Club! Als Menschen können wir sich gegenseitig widersprechend erscheinende Dinge gleichzeitig fühlen, denken, wollen und tun. Das ist so lange verwirrend, bis man versteht, dass die menschliche Psyche gleichzeitig aktive unterschiedliche Persön­lichkeitsanteile in sich birgt. Der persische Dichter Rumi beschrieb im 13. Jahrhundert das menschliche Dasein als ein Gasthaus, in dem sich die unterschiedlichsten Besucher die Klinke in die Hand geben. Deshalb trägt jeder von uns eine ganze WG in seinem Inneren.

Wenn man innerliche Widersprüche spürt, wie kommt man den Ursachen auf den Grund?

Der beste Ansatz aus meiner Sicht ist das Modell Internal Family Systems (IFS), oder die Arbeit mit inneren Persönlichkeitsanteilen. Beim IFS geht man davon aus, dass alle inneren Anteile eines Menschen eine positive Absicht haben. Selbst jene, die uns so schwer zu schaffen machen, wie etwa unser harscher innerer Kritiker. Diese Anteile glauben oft, dass es besser ist, uns klein zu halten, damit wir nicht von aussen kritisiert werden oder uns ­blamieren. Sie wollen uns vor Ablehnung schützen. Ironischerweise tun sie das, indem sie uns innerlich Schmerz zufügen. Das ist aber nicht ihre Intention. Wir brauchen also eine neue Form der Kommunikation mit uns selbst.

Wie tut man das?

Indem wir uns klar machen, dass wir unterschiedliche Anteile mit unterschiedlichen Perspektiven, Gefühlen und Verhaltensweisen besitzen. Deshalb fühlen wir uns manchmal innerhalb von Sekunden wie ein anderer Mensch. In manchen Situationen sind wir gelassen, in anderen wiederum wütend, oder souverän agierend. Triggert uns etwas, tauchen auf einmal ganz andere Persönlichkeitsanteile auf und übernehmen das Steuer. Gut ist, wenn wir beginnen mit mehr Offenheit und Interesse nach innen zu schauen und in einen Dialog einzutreten. Wir alle haben diese innere WG. Deren Mitglieder arbeiten in der Regel nicht besonders gut zusammen. Sie sind eher zer­stritten und sabotieren oder bekämpfen sich gegenseitig. So wie in der Arbeitswelt. Beispielsweise in einer zerstrittenen Abteilung, in der jeder sein eigenes Ding macht. Da braucht es eine Führungskraft. Wir müssen lernen, uns selbst gut zu führen. Jemand, der zuhört, die Perspektiven aller Teammitglieder, also der inneren Persönlichkeitsanteile, ernst nimmt und Entscheidungen trifft, die für alle gut sind.

Kann man von jedem Menschen verlangen, diese Art der Selbstreflexion zu üben?

Selbstreflexion ist eine Kompetenz, die manche Menschen aufgrund ihrer Erziehung, ihrer Ausbildung, ihrer persönlichen Entwicklung oder inneren Reife stärker, andere weniger stark mitbringen. Wie jede Kompetenz, kann man auch diese entwickeln und vertiefen.

Sollten Vorgesetzte besser in der Lage dazu sein als Mitarbeitende?

Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist auf jeden Fall mitentscheidend, um vor allem Leitungspositionen gut ausfüllen zu können. Wer entsprechende Bewerbende aussucht, sollte darauf achten, ob sie diese Kompetenz in ausreichendem Mass mitbringen. Hat eine Führungsperson sie nicht, sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sich die Führungskraft entwickeln kann.

Buchtipp: Ich steh mir selbst nicht mehr im Weg

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Innere Konflikte besser verstehen und leichter lösen – einen innovativen und wirksamen Ansatz dazu zeigt die erfahrene Therapeutin Heike Mayer in ihrem psychologischen Praxisbuch zur IFS-Therapie.

Die von Richard Schwartz begründete Therapiemethode ermöglicht ein grundlegend neues Verständnis davon, wie unsere Psyche funktioniert. Denn jeder von uns trägt eigentlich eine ganze WG in sich. Daher lädt IFS-Therapeutin und Achtsamkeitslehrerin Heike Mayer Sie auf eine spannende Reise ein: Mithilfe anschaulicher Fallbeispiele, Anleitungen zur Selbsterforschung und einfacher Übungen können auch Sie die WG Ihrer Persönlichkeitsanteile kennenlernen.

Heike Mayer, Ich steh mir selbst nicht mehr im Weg, Droemer Knaur, 2022, 352 Seiten.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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