Von Rundstedt und HR Today präsentieren Studie

Widersprüche im Arbeitsmarkt analysiert und diskutiert

Die Outplace-Beratungsfirma Von Rundstedt & Partner AG hat heuer gemeinsam mit HR Today zum sechsten Mal eine Arbeitsmarktstudie durchgeführt. Das Ziel war diesmal, acht kontroverse Arbeitsmarktphänomene zu durchleuchten und zu analysieren. Als Datenbasis diente eine Umfrage, an der insgesamt 1907 HR-Managerinnen und HR-Manager sowie Führungskräfte aus der ganzen Schweiz teilnahmen. Die Analyse floss in ein Whitepaper, das hier heruntergeladen werden kann.

Acht Phänomene unter die Lupe genommen

Präsentiert wurden die Studienergebnisse kürzlich an einem Event bei Von Rundstedt in Zürich, der auf breites Interesse stiess – rund 200 Personen nahmen teil und dies auch aktiv: Bei der anschliessenden Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern brachten sie spannende Publikumsfragen mit ein.

Wie Von-Rundstedt-CEO Pascal Scheiwiller einleitend ausführte, wurden in der Studie folgende Hypothesen respektive «Widersprüche auf dem Schweizer Arbeitsmarkt» geprüft:

  1. Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern: Die einen sind gefragt, die andern werden abgewiesen. Die Parallelität von Fachkräftemangel und struktureller Arbeitslosigkeit spitzt sich zu.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 63 Prozent
     
  2. Keine Lust auf Arbeit und trotzdem Burn-out: Mehr Menschen arbeiten weniger, und wenige Menschen arbeiten mehr. Der Selbstverwirklichung der einen findet somit auf Kosten der anderen statt.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 67 Prozent
     
  3. Wachstumsspirale ohne Ende: Wachstum provoziert Fachkräftemangel und weitere Arbeitsimmigration, welche das quantitative Wachstum weiter antreibt. Diese Spirale bringt die Schweiz qualitativ nicht weiter.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 67 Prozent
     
  4. Produktivitätsdilemma des Fachkräftemangels: Mehr Ansprüche d er Arbeitnehmer, aber weniger Leistungsbereitschaft. So gehtdie Arbeitsproduktivität in der Schweiz flöten.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 61 Prozent
     
  5. Branchenkult: Die digitale Transformation erfordert ein hohes Mass an Flexibilität und Mobilität zwischen Berufsprofilen und Branchen. Quereinsteiger haben es aber nach wie vor schwer. Die Arbeitgeber zeigen einen starken Branchenglaube.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 70 Prozent
     
  6. Purpose und Individualität: Alle suchen Purpose. Es geht den meisten Menschen dabei aber nicht um Nachhaltigkeit, sondern um Selbstzweck und Selbstverwirklichung.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 73 Prozent
     
  7. Möchtegern-Unternehmer: Die Hypothese war, dass viele Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer heute keine langfristige Strategie verfolgen und es ihnen primär nicht um den gesellschaftlichen Beitrag, sondern um Selbstverwirklichung und finanzielle Interessen geht.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 46 Prozent – diese Hypothese bestätigte sich entsprechend als einzige nicht.
     
  8. Altersdilemma: Ältere Menschen sollen über das Pensionsalter hinaus arbeiten, um den demografischen Engpass und den Fachkräftemangel zu lindern. Nur will sie keiner einstellen.
    ➤ Zustimmung in der Umfrage 71 Prozent

Überraschende Erkenntnisse

Die Studie hat, so Pascal Scheiwiller, überraschende Erkenntnisse hervorgebracht:

  • Risikogruppen und Schwächere werden von Arbeitgebern kaum gefördert: 82 Prozent der Firmen verfügen über keinerlei Rekrutierungs- oder Integrationsprogramme für Risikogruppen wie ältere Arbeitskräfte 60+, IV-Teilbezügerinnen und IV-Teilbezüger oder Frauen nach längerer Mutterschaft. Auch in der Personalentwicklung wird der Fokus auf Leistungs- und Potenzialträger gelegt. Scheiwiller schliesst daraus: «Firmen investieren lieber in Leistungs- und Hoffnungsträger.»
     
  • Das Gesundheitswesen und die öffentliche Verwaltung sind Teilzeit-Champions: Bei der Teilzeitarbeit gibt es grosse Unterschiede zwischen den Branchen. Am meisten Teilzeitbeschäftigungen gibt es im Gesundheitswesen (38,7 Prozent Teilzeitarbeitende) und in der öffentlichen Verwaltung (38,4 Prozent). Das Schlusslicht bildet die industrielle Produktion mit nur 12,9 Prozent Teilzeitarbeitenden. Laut Scheiwiller zeige dies auf, dass die öffentliche Hand mittlerweile «definitiv zu den attraktiven Arbeitgebern» aufgeschlossen habe.
     
  • Stressbelastung und Druck ist «Courant normal»: Trotz Teilzeittrend wächst die Stressbelastung an. Im Durchschnitt sind 28 Prozent der Mitarbeitenden dauerhaft überbelastet. Bei 34 Prozent der Firmen befinden sich über einen Drittel der Mitarbeiter im «roten Bereich» und unter Stress. Aber nur 37 Prozent der Arbeitgeber kümmern sich gezielt darum. «Die Firmen wissen über die zunehmende Stresssituation, machen aber nichts dagegen», so der Von-Rundstedt-CEO.
     
  • Quantitatives Wachstum macht nicht besser und glücklicher: Für 67 Prozent der Befragten wirkt sich quantitatives Wachstum wie Mitarbeiter-, Absatz- und Gewinnwachstum nicht positiv auf die Arbeitsumstände und die Zufriedenheit der Mitarbeiter aus. Es gebe deshalb vermehrt Firmen – 37 Prozent – die sich «bewusst für eine Strategie des qualitativen Wachstums entscheiden» würden.
     
  • Branchenkult in der Schweiz ist eines Innovationsstandorts unwürdig: Eine Mehrheit der Befragten glaubt, dass brancheninterne Bewerber kurzfristig (74 Prozent) und sogar langfristig (61 Prozent) mehr Wert für das Unternehmen generieren als Quereinsteigende. 67 Prozent der Arbeitgeber verlangen bei der Rekrutierung zwingend Branchenerfahrung. Nur 32 Prozent der Firmen verfügen über gezielte Massnahmen zur Rekrutierung und Branchenausbildung von Quereinsteigenden. «Trotz Fachkräftemangel und Mobilitätsbedürfnis haben es Quereinsteiger in der Schweiz schwer», kommentierte Scheiwiller.
     
  • Länger arbeiten stösst auf wenig Anklang: Trotz Forderungen von Wissenschaft, Politik und Arbeitgebervertreter finden nur 44 Prozent der Befragten gut und richtig, dass über das Pensionsalter hinaus gearbeitet werden soll. Nur 25 Prozent der Firmen bieten dazu konkrete Programme an. «Länger arbeitet im Grundsatz nur, wer aus finanziellen Gründen muss», sagte der Gastgeber. «Die gesellschaftliche Notwendigkeit ist für den Einzelnen nicht relevant.»
     
  • Altersnachteile auf dem Arbeitsmarkt sind Realität: Eine Mehrheit von 56 Prozent sieht die Schwierigkeiten bereits ab 50 Jahren, weitere 27 Prozent erst ab 60 Jahren. Das zeigt klar auf, dass Arbeitgeber trotz des Drucks auf den Arbeitsmarkt sich schwer damit tun, auf ältere Arbeitskräfte zu setzen. Scheiwiller: «Alle reden vom länger arbeiten, aber für die Ü55 ist es in der Realität oftmals schwer, eine neue Stelle zu finden. Das ist für die Betroffenen nur schwer zu ertragen.»

Angeregte Podiumsdiskussion

Bei der anschliessenden Podiumsdiskussion sprachen Anna Gracia Herbst, Co-Founder von Buy Food with Plastic, Jan Jacob, Country Manager bei der Manpower Group Schweiz, Michèle Mégroz, CEO bei der CSP AG, Marco Salvi, Senior Fellow und Forschungsleiter bei Avenir Suisse, sowie Michael Siegenthaler, Leiter Sektion Schweizer Arbeitsmarkt bei der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. «Wir haben bewusst nicht nur Experten eingeladen, sondern verschiedene Perspektiven zusammengenommen, damit die Debatte möglichst vielseitig und breit geführt wird», erklärte Pascal Scheiwiller die Zusammensetzung. Moderiert wurde rund einstündige Gespräch vom ehemaligen FIFA-Sprecher und heutigem Lehrer Alex Koch. Diskutiert wurde unter anderem über das sogenannte Altersdilemma: «Wie kann es angehen, dass wir einen Arbeitskräftemangel haben und demografisch immer älter werden, und die Leute trotzdem anscheinend nicht bereit sind, länger zu arbeiten, und auch die Unternehmen dies nicht als eine gute Option sehen?», fragte Koch die Gesprächsrunde.

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Michael Sigenthaler, KOF ETH Zürich, Marco Salvi, Avenir Suisse, und Anna Gracia Herbst, Buy Food with Plastic (von links) auf der Bühne, lehnen sich auf einen Tisch.

Diskutierten angeregt: Michael Sigenthaler, KOF ETH Zürich, Marco Salvi, Avenir Suisse, und Anna Gracia Herbst, Buy Food with Plastic (von links). (Bild: zVg)

Michael Sigenthaler antwortete, dass die Leistungsfähigkeit von älteren Arbeitskräften in der Schweiz wohl systematisch falsch eingeschätzt werde. Er habe aber eine gute Nachricht: «Die Altersguillotine, wie wir sie messen, hat in Hinblick auf den Fachkräftemangel abgenommen.» Das habe sie insbesondere in den letzten zwei bis drei Jahren, wohl weil händeringend nach neuen Fachkräften gesucht werde.
Marco Salvi ergänzte, dass in den vergangenen zehn Jahren ein recht starker Anstieg der Erwerbsquote der 50- bis 65-Jährigen festgestellt werden konnte, gerade bei Frauen. «Es gibt das halbvolle und das halbleere Glas, und ich neige eher dazu, das halbvolle zu sehen.» Die Altersguillotine existiere und er halte sie persönlich für das bedeutendste Problem, das in der Studie beleuchtet wurde.
Jan Jacob stellte wiederum fest: «Wir sehen vielfach eine mangelnde Flexibilität, sowohl auf der Arbeitnehmer- als auch auf der Arbeitgeberseite.» Wenn eine Person 30 Jahre lang einen Job mache, wisse sie ziemlich genau, was sie will und was nicht. Entsprechend sei die Flexibilität, etwas Neues in Angriff zu nehmen, oft nicht mehr vorhanden. Das gelte für den Willen der Arbeitgeber, ihnen diese Flexibilität zuzustehen. «Wir sehen in unseren Vermittlungen jedoch, dass das Bedürfnis nach Flexibilität sowohl auf Arbeitnehmer- wie auch auf Arbeitgeberseite wächst», erklärte er. «Wie die Zahlen zur Altersguillotine widerspiegeln, wird die Flexibilität zum Teil auch gewährleistet.»

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Michèle Mégroz, CSP AG, und Jan Jacob, Manpower Group Schweiz, mit Moderator Alex Koch stehen auf der Bühne und gestikulieren.

Lieferten spannende Inputs: Michèle Mégroz, CSP AG, und Jan Jacob, Manpower Group Schweiz, mit Moderator Alex Koch (von links). (Bild: zVg)

Michèle Mégroz erwähnte, dass in der Beratung oft davon ausgegangen werde, dass Erfahrung von Arbeitnehmenden von enormem Vorteil sei, beispielsweise im technischen Bereich. «Wir stellen dann aber immer wieder fest, dass die Firmen nicht bereit sind, ältere Menschen hinzuzunehmen», erklärte sie. «Wir haben deshalb oft Mühe, diese einzusetzen.» Sie habe schon Aussagen gehört wie «Greise brauchst du uns keine mehr zu schicken». Oft fehle es den Firmen schlicht am Bewusstsein, wie gut diese Leute eigentlich wären. Doch wenn sie nicht mal geprüft oder situativ engagiert würden, kriegten die Unternehmen das gar nicht mit.
Anna Gracia Herbst stellte einen Zusammenhang zwischen den Werten einer Organisation und dem Willen, über die Pensionierung hinaus zu arbeiten, her: «Obwohl wir eine sehr junge Organisation sind, melden sich viele Pensionierte, die sich bei uns ehrenamtlich engagieren wollen.» Es sei auch eine ältere Person mit einem Pensum von 60 Prozent im Büro von Buy Food with Plastic im Einsatz, die dort mit dem Team in Indien zusammenarbeite. Wie Herbst festgestellt habe, würden Leute, die nicht mehr in der Unternehmenswelt tätig sind, oft gezielt nach Aufgaben «mit einem Purpose» suchen. Sei ein solcher vorhanden oder könne ein solcher geschaffen werden, dürfte dies die Bereitschaft auf Arbeitnehmerseite erhöhen, länger zu arbeiten und auch Neues in Angriff zu nehmen.

Netzwerken beim Apéro

Im Anschluss an die lebhafte und anregende Diskussionsrunde eröffnete sich mit dem Apéro eine willkommene Gelegenheit zum persönlichen Austausch. Die Teilnehmenden nutzten entspannte Atmosphäre nicht nur, um mit den Diskutanten ins Gespräch zu kommen, sondern auch, um untereinander Kontakte zu knüpfen und bestehende Netzwerke zu erweitern.

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Daniel Thüler

Daniel Thüler, Chefredaktor HR Today, daniel.thueler@hrtoday.ch

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