Ansprüche von Arbeitnehmenden mit Behinderung
Es gibt eine Reihe von Bestimmungen, die für Menschen mit Behinderung in einem Arbeitsverhältnis von Bedeutung sein können. Besondere Rechtsansprüche gegenüber Arbeitgebenden bestehen indes nur vereinzelt.
Illustration: Jonas Raeber.
Rechtsnormen, die für Arbeitnehmende mit Behinderung oder deren Arbeitgebende relevant sein können, sind im schweizerischen Recht in unterschiedlichen Erlassen zu suchen. Enthalten sind solche Normen etwa im Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen («BehiG») und der dazugehörigen Verordnung («BehiV»). (1) Darin wird der Bund als Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, um das berufliche Umfeld entsprechend den Bedürfnissen von Bundesangestellten mit Behinderung zu gestalten (Artikel 12 BehiV). Vergleichbare Vorgaben sind zum Teil auch im Recht der Kantone und der Gemeinden zu finden. Ebenfalls existieren Regelungen, die Finanzhilfen für Programme und Projekte im Bereich der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung vorsehen (Artikel 16 Buchstabe b und 17 BehiG, Artikel 17 und 18 BehiV). Wichtig sind ferner die Bestimmungen zu den individuellen Massnahmen nach dem Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, welche den Erhalt des Arbeitsplatzes und die Wiedereingliederung von Arbeitnehmenden bezwecken, die aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls ausgefallen sind.
Ein anderes Bild präsentiert sich, wenn es um besondere Rechtsansprüche von behinderten Menschen gegenüber Arbeitgebenden geht. Solchen begegnet man im schweizerischen Recht nur selten und in sehr beschränktem Umfang. Ein Beispiel findet sich in der erwähnten BehiV. Dort wird behinderten Personen ein besonderer Anspruch eingeräumt, falls ihre Bewerbung für eine bestimmte Stelle erfolglos war. So können diese von einem potenziellen Arbeitgebenden verlangen, dass er seine Gründe für die Nichtanstellung schriftlich bekannt gibt (Artikel 14 BehiV). Das allerdings nur, wenn der Verdacht besteht, dass die Person wegen ihrer Behinderung nicht angestellt wurde. Die Bestimmung ist aber auch aus weiteren Gründen zahnlos: So ist die betroffene Person nach herrschender Auffassung trotzdem nicht berechtigt, ein Gericht gegen eine Rechtsverletzung bei ihrer Nichtanstellung anzurufen. Zudem ist der Anwendungsbereich der Begründungspflicht nach Artikel 14 BehiV begrenzt. Die Pflicht gilt aber nur für Arbeitsverhältnisse, die dem Bundespersonalgesetz unterstehen.
Fürsorgepflicht des Arbeitgebenden
In der Mehrzahl aller Arbeitsverhältnisse in der Schweiz existieren für Arbeitnehmende mit Behinderungen keine besonderen Rechtsansprüche gegenüber Arbeitgebenden, die in einer Rechtsnorm ausdrücklich vorgesehen wären. Immerhin lassen sich gewisse Ansprüche in solchen Fällen aus allgemeinen Bestimmungen herleiten.
Im Vordergrund steht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebenden. Diese ist für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse in Artikel 328 OR festgehalten. Dieser enthält die Pflicht des Arbeitgebers, die notwendigen Massnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit seiner Mitarbeitenden zu treffen, die nach seiner Erfahrung notwendig, nach dem technischen Stand anwendbar und den Betriebsverhältnissen angemessen sind. Zudem müssen die Massnahmen dem Arbeitgebenden mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung zugemutet werden können. Bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen ist ebenfalls von einer entsprechenden Fürsorgepflicht auszugehen.
Aus der Fürsorgepflicht lässt sich zum Beispiel die Pflicht des Arbeitgebenden ableiten, Verhaltensweisen zu verhindern, die Menschen mit Behinderungen verletzen, abwerten oder ausgrenzen. Als weiteres Beispiel wird in der Literatur die Pflicht des Arbeitgebenden genannt, im Fall eines an Epilepsie leidenden Arbeitnehmenden je nach Umständen die Anwesenheit eines Hundes am Arbeitsplatz zu erlauben, der vor einem Epilepsieanfall warnt und so die rechtzeitige Medikamenteneinnahme ermöglicht.
Ebenfalls aus der Fürsorgepflicht ableitbar ist das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot. Dieses gebietet allerdings nur, dass ein Arbeitgebender einzelne Arbeitnehmende nicht ohne jeden sachlichen Grund benachteiligen darf. Zudem ist die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebots nur für gewisse Teilbereiche anerkannt, wie bei der Ausübung des Weisungsrechts, bei freiwilligen Sozialleistungen und bei Gratifikationen. Es ist daher ungeklärt, ob sich ein Arbeitnehmender mit Behinderung auf das Gebot zur Gleichbehandlung berufen könnte, wenn er eine Benachteiligung ausserhalb dieser Teilbereiche erleidet, wie beispielsweise in Bezug auf seine Entlöhnung.
Missbräuchliche Kündigungen
Auch beim Kündigungsschutz sind in der Regel die allgemeinen Bestimmungen massgebend. Vor allem bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen können einen Arbeitgebenden im Vorfeld einer möglichen Kündigung gewisse Pflichten treffen. Etwa, eine Frist zur Verbesserung anzusetzen oder eine andere zumutbare Arbeit anzubieten. Solche Vorgaben können gerade bei Arbeitnehmenden mit Behinderung von Bedeutung sein. Je nach anwendbarem Personalrecht kann dem zu Unrecht Gekündigten ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zustehen.
Bei privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen sind in jeden Fall zumindest die Bestimmungen zur Missbräuchlichkeit einer Kündigung zu beachten. Hervorzuheben ist Artikel 336 Absatz 1 Buchstabe a OR. Demnach ist eine Kündigung missbräuchlich, wenn sie aufgrund einer Eigenschaft ausgesprochen wird, die dem Arbeitnehmenden aufgrund seiner Persönlichkeit zusteht. Es sei denn, die Eigenschaft stehe in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich. Auch eine Behinderung ist eine solche persönliche Eigenschaft. Daher kann eine Kündigung, die wegen einer Behinderung des Arbeitnehmenden ausgesprochen wird, unter Umständen missbräuchlich sein. Ein Recht auf Weiterbeschäftigung im Fall einer missbräuchlichen Kündigung sieht das Gesetz im Fall von privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen hingegen nicht vor. Vielmehr ist hier als Rechtsfolge ausschliesslich eine Strafzahlung im Betrag von bis zu sechs Monatslöhnen vorgesehen (Artikel 336a OR).
Quelle:
(1) Behindertengleichstellungsgesetz, SR 151.3; Behindertengleichstellungsverordnung, SR 151.31.