Betriebliches Gesundheitsmanagement – Massnahmen

Arbeiten bis der Arzt kommt

Trotz zunehmender Fallzahlen sind psychische Erkrankungen in der Geschäftswelt immer noch ein Tabu. Das macht es Betroffenen und Arbeitgebern schwer, Probleme rechtzeitig anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu finden.

«Bis zu meinem Zusammenbruch habe ich bei der Einführung einer neuen Verwaltungssoftware immer mehr Aufgaben übernommen. Irgendwie ging es ja immer. Ich habe einfach länger gearbeitet und kaum mehr Pausen gemacht. Am Ende war mir jedoch alles zu viel. Es brauchte nur noch einen kleinen Auslöser», erzählt die 60-jährige Verwaltungsangestellte, die vor ihrem Zusammenbruch über 14 Jahre bei der Universität Zürich gearbeitet hatte. «Meine Psychologin hat mich ermuntert, ein Case Management in Anspruch zu nehmen, auch meine Vorgesetzte hat das sehr unterstützt.

Der Job Coach der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) hat mit mir den Wiedereinstieg geplant und regelmässig Standortgespräche mit mir und meiner Chefin geführt. Dadurch fühlte ich mich nie unter Druck, sofort wieder voll arbeiten zu müssen.» Die begleitende Rückkehr an den Arbeitsplatz habe sie als entlastend empfunden, denn es sei immer jemand da gewesen, der ihre Interessen vertreten habe. Der Job Coach habe zudem Wege gezeigt, keine Lösungen. «Ich habe gelernt, besser auf meinen Körper zu achten und meine Bedürfnisse wichtiger zu nehmen. Seit meiner Rückkehr wurde die Arbeitsquantität angepasst und eine weitere Person angestellt.»

Mit Jobbegleitung Arbeitsstellen sichern

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall: Etwa 25 Prozent aller Arbeitnehmenden erkranken im Verlauf ihres Berufslebens psychisch und beinahe die Hälfte aller neu gesprochenen IV-Renten wird aufgrund psychischer Krankheiten ausgesprochen. Wer jedoch aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden ist und IV-Leistungen bezogen hat, findet den Weg in die «Normalität» nur schwer zurück und wird bei der Stellensuche auch oft diskriminiert. «Nicht sichtbare Krankheiten sind für Arbeitgeber nicht fassbar und psychische Krankheiten verunsichern», so die Einschätzung von Daniela Aloisi, Mediensprecherin der IV-Stelle bei der SVA Zürich. Wolfram Kawohl, Leiter des Zentrums für Soziale Psychiatrie der PUK ergänzt: «Das Bild, das von psychischen Erkrankungen und deren Behandlung verbreitet ist, stammt aus dem 19. Jahrhundert – der Zeit der psychiatrischen Anstalten. Oft wird bei einer psychischen Erkrankung unterstellt, dass man diese für immer und ewig habe. Dabei sind psychische Erkrankungen in den allermeisten Fällen vorübergehende Episoden. Während rund ein Drittel der Bevölkerung irgendwann in ihrem Leben einmal psychisch erkrankt, entwickeln nur fünf Prozent eine schwere psychische Störung.»

Dass die Wiedereingliederung in der grossen Mehrheit erfolgreich ist, belegt die Erfolgsquote der Abteilung «Supported Employment» der PUK. So lassen sich mit der Jobbegleitung rund 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse aufrechterhalten. Damit eine Wiedereingliederung zur Erfolgsstory wird, sollten Arbeitgeber jedoch nicht zu lange zuwarten: «Arbeitgeber sollten spätestens dann, wenn Mitarbeitende länger als 30 Tage krank sind oder auffällig viele Kurzabsenzen vorweisen, eine Früherfassungsmeldung bei der IV-Stelle in Erwägung ziehen. Es geht darum, im Gespräch zu klären, ob eine IV-Anmeldung nötig ist und das weitere Vorgehen wie zum Beispiel ein Job Coaching durch ‹Supported Employment› zu definieren», so Aloisi.

Während sich viele Arbeitgeber im Umgang mit psychisch Erkrankten immer noch etwas schwer tun, hat die Post 2012 mit der Präventionskampagne «I feel good» das Thema psychische Gesundheit breit aufgegriffen und die BGM-Massnahmen zur Prävention von psychischen Erkrankungen sowie die Reintegration Betroffener angepasst und weiter ausgebaut. Heute steht allen Mitarbeitenden bei psychischen Problemen eine 24-Stunden-Hotline als Anlaufstelle zur Verfügung. Führungskräfte absolvieren zudem ein webbasiertes Training, das mit weiteren Massnahmen kombiniert ist, um psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Mit «ProPräsenz» steht ihnen eine weitere Methode zur Verfügung, mit der Mitarbeitende systematisch im Unternehmen reintegriert werden.

Wiedereingliederung lohnt sich auch für Arbeitgeber

Trotz dieser Kampagne ist auch die Post vor Erkrankungen nicht gefeit, wie Guido Häusler, HR-Berater der Post, erläutert: «Gesundheitliche Probleme sind vielschichtig und die Ursachen nicht auf einen einzelnen Faktor zurückzuführen.» So auch bei einer Mitarbeiterin, die seit 1989 bei der Post arbeitet und in der Briefsortierung beschäftigt ist. Sie litt an zunehmenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sich durch persönliche Probleme im Team verschärften und schliesslich zur Arbeitsunfähigkeit führten. Nach der IV-Anmeldung wurde der begleitende Wiedereinstieg in Zusammenarbeit mit der PUK aufgegleist.

Die Wiedereingliederung erfolgte schrittweise innert sieben Monaten in enger Zusammenarbeit mit der PUK, der IV und dem direkten Vorgesetzten. Zuerst mit einem Arbeitsversuch, dann mit zunehmendem Arbeitspensum. Heute ist die Mitarbeitende wieder in ihrer angestammten Funktion und ihrem Team tätig. «Für Unternehmen lohnt sich die Wiedereingliederung in vielerlei Hinsicht. So steigt die Loyalität der Mitarbeitenden, der Verlust von Know-how wird vermieden und schlussendlich ist es auch eine Frage des Images, wie ein Unternehmen mit Mitarbeitenden umgeht», meint Häusler. Damit die Wiedereingliederung funktioniere, müsse der Mitarbeitende aber auch «mitmachen». Der Betrieb hingegen müsse wenigstens vorübergehend bereit sein, auch angepasste Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und den Wiedereinstieg mit Teilzeitpensen zu ermöglichen.

Gesucht: Administrative Entlastung und externe Ansprechpartner

Im Emilienheim, einem idyllisch gelegenen Wohnheim in Kilchberg, das ältere Blinde und Sehbehinderte beherbergt, hat die Heimleiterin Heidi Jucker sogar bereits mehrere Personen mit psychischen Behinderungen angestellt. Die Betroffenen haben sich gleich selbst bei ihr gemeldet und sich um eine Stelle beworben oder sind ihr durch das Supported Employment der PUK vorgeschlagen worden. «Ihr Mut und Wille zu arbeiten haben mich beeindruckt.» Eine Mitarbeiterin ist inzwischen seit beinahe neun Jahren in der Wäscherei tätig. Eine andere in der Küche. Und das zur Zufriedenheit aller.

Dass die Integration der Mitarbeitenden so gut geklappt hat, ist sicherlich auch der engmaschigen Betreuung der Heimleitung zu verdanken. «Es geht vor allem darum, nachzufragen, wie es der Mitarbeiterin geht, Verständnis und Empathie aufzubringen und Hilfe zu leisten, wenn sie nicht mehr weiter weiss.» Was muss unternommen werden, damit sich noch mehr Betriebe derart engagieren? «Arbeitgeber müssen vor allem in der Anfangsphase eines solchen Projekts von administrativen Aufgaben entlastet werden. Die Begleitung durch eine externe Fachperson, der Austausch mit anderen Organisationen und die Teilfinanzierung solcher Stellen sind deshalb vor allem für Kleinbetriebe
enorm hilfreich.»

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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