Bienvenue?
Wenn Mitarbeitende in ein Unternehmen eintreten, sollen sie sich erwünscht fühlen. Doch wie schafft man im Unternehmen eine «Willkommenskultur»? Wir haben vier Unternehmen aus der Versicherungs- und Gesundheitsbranche, Gastronomie und Industrie befragt.
Andri Bodmer, HR-Leiter, Dolder Hotel AG; Jan Baumann, HR-Bereichsverantwortlicher, Schulthess Klinik (rechts).
«Wenn ein neuer Mitarbeitender mit Begriffen wie OKZ, MAU, Allegra oder Gardino selbstverständlich umgeht, ist er bei Helsana angekommen», sagt der stellvertretende Leiter HR Beratung Joël Kabeya. Bei Kistler, einem Messtechnikunternehmen, wird die bestandene Probezeit gar mit der Übergabe des «Kistler Kompass» zelebriert, einem vierzigseitigen Buch in Grösse eines Schweizerpasses mit den wichtigsten Eckpunkten des Unternehmens. Das Buch auf dem Tisch des Mitarbeitenden signalisiert: «Du gehörst jetzt zu uns.» Bis es soweit ist, ist jedoch viel Vorarbeit zu leisten.
Für Jan Baumann, HR-Bereichsverantwortlicher der Schulthess Klinik, beginnt der Onboardingprozess bereits bei der Gestaltung des Stelleninserats. Transparenz zur Unternehmenskultur zu schaffen, sei dabei sehr wichtig, denn «Interessierte sollen sich schon beim Lesen des Stelleninserats Gedanken machen, ob sie in unser Unternehmen passen». Dass die Grundsteine für einen erfolgreichen Onboardingprozess schon in einem frühen Stadium durch Offenheit seitens der Unternehmen gelegt werden, ist auch Yves Birchmeier, HR-Leiter bei Kistler, überzeugt: «Im Interview sind wir, wer wir sind. Wir leben unsere Führungsprinzipien und halten uns an unsere Versprechen.» Eine Haltung, die auch Andri Bodmer, HR-Leiter der Dolder Hotel AG, unterstützt: «Wir wollen ein möglichst realistisches Bild von uns vermitteln und machen bereits im Interview klar, dass wir viel erwarten und verlangen.» Um diesen realitätsnahen Einblick zu erhalten, absolvieren alle Dolder-Kandidaten vom Service bis zur Administration einen Schnuppertag. Spätere Enttäuschungen und vorzeitige Austritte liessen sich nur vermeiden, wenn Unternehmen den Mut haben, sich transparent zu zeigen, sind Baumann, Bodmer und Birchmeier überzeugt.
Preboarding ja oder nein?
«Liegt eine längere Zeit zwischen Vertragsabschluss und Stellenantritt, halten wir den Kontakt zum Kandidaten aufrecht», sagt Joël Kabeya. «Etwa indem wir ihm die Helsana-Mitarbeiterzeitschrift sowie den Helsana-Newsletter zustellen und ihn an Mitarbeiter-events oder wichtige Meetings einladen.» Es mache sich auch gut, «eine Geburtstagskarte zu versenden, falls der Geburtstag vor Stellenantritt liegt». Ziel dieser Massnahmen sei immer, den künftigen Mitarbeitern aufzuzeigen, wie sehr man sich auf die Verstärkung freue.
Eine Willkommenskultur, die auch vom HR der Kistler Gruppe gepflegt wird. Exemplarisch reiche das «von der Geburtstagsgratulation über die Einladung an die Weihnachtsfeier bis hin zum punktuellen Einbezug bei wichtigen Meetings und dem Weiterleiten von Informationen», so Yves Birchmeier. Einem definierten Preboardingprozess kann er hingegen nicht viel abgewinnen: «Seien wir ehrlich, einen neuen Mitarbeitenden vor dem Stellenantritt durch ein Preboarding einzubinden, nützt nicht viel. Wenn dieser am ersten Tag ‹hungrig› daherkommt, ist er doch ebenso schnell auf Touren.»
Willkommenskultur erlebbar machen
Der neue Mitarbeitende ist hier, doch wie heisst man ihn willkommen? Für Jan Baumann, HR-Bereichsleiter der Schulthess Klinik, wird die Willkommenskultur schon vor dem Erstinterview spürbar, wenn «die Mitarbeitenden am Hauptempfang den Kandidaten namentlich herzlich begrüssen». Das Ziel sei, ein positives Grundgefühl zu schaffen, das sich für den neuen Mitarbeitenden durch den ganzen Onboardingprozess hindurchziehe. Sei der neue Mitarbeiter einmal da, setze das Unternehmen mit einem strukturierten Onboardingprozess ein Zeichen, dass es den neuen Mitarbeiter erwartet habe, und signalisiere damit sein Interesse am neuen Unternehmensmitglied, sind sich die Vertreter von Helsana, Dolder, Kistler und der Schulthess Klinik einig. Zum professionellen Onboarding gehören für sie ausgearbeitete Einführungspläne, klar definierte Ansprechpartner sowie regelmässig stattfindende Gespräche mit dem Vorgesetzten ebenso wie ein gut ausgerüsteter Arbeitsplatz, der obligate Willkommensstrauss, die persönliche Begrüssung durch den Vorgesetzten, das gemeinsame Teammittagessen oder funktionsfähige Badges am ersten Arbeitstag.
«Götti» als Navigationshilfe
Damit sich die Neuankömmlinge in den Wirren des Unternehmensalltags baldmöglichst zurechtfinden, kennen viele Unternehmen ein «Göttiprogramm», in dem sie neuen Mitarbeitenden einen festen Ansprechpartner zur Seite stellen. Wie beim Hotel Dolder: «Mit unserem Göttisystem lernt der neue Mitarbeitende die wichtigsten Gepflogenheiten des Unternehmens rasch kennen», sagt Andri Bodmer. Götti können erfahrene Mitarbeitende werden, die vier bis fünf Jahre im Unternehmen gearbeitet haben und ihre Fachkenntnisse weitergeben möchten. Ein Job-Enrichment, das den Mitarbeitenden ebenso viel nützt wie den Neulingen: «Viele Mitarbeitende sind stolz, ihr Wissen an die Neuankömmlinge weiterzugeben.» Um die Götti auf ihre Aufgaben vorzubereiten, werden diese speziell geschult und erhalten für ihre Arbeit eine funktionsabhängige Checkliste, die sie zusammen mit den ihnen anvertrauten «Schützlingen» innert sechs Wochen abarbeiten und alle zwei Wochen mit dem Vorgesetzten abgleichen. Nach vier Wochen legen sie ein sogenanntes «Götti-Audit» ab. Dort werden die Stärken und Potenziale des neuen Mitarbeitenden festgehalten und das weitere Vorgehen wird besprochen.
Bei Helsana verfolgt man beim Einarbeitungsprozess ein ähnliches Konzept: «Neben den Linienvorgesetzten sind es in der Anfangsphase die Götti, die als Ansprechperson helfen, Alltagsfragen zu beantworten.» Angehende Götti werden an einem eintägigen Kurs ausgebildet, wo sie Ausbildungstechniken erlernen. Zum Beispiel, wie man einen Ausbildungsplan erstellt oder Lernziele anpasst.
Während das «Göttiprogramm» beim Hotel Dolder und bei der Helsana zum Onboarding-Pflichtprogramm gehört, basiert es bei der Schult-hess Klinik auf Freiwilligkeit: «Ein Götti ist bei uns nicht Pflicht», sagt Jan Baumann. Dennoch werde dieses System von den meisten Berufsgruppen im Spital angewandt. «Wir befürworten das, denn damit wird für den Mitarbeitenden eine weitere Identifikationsmöglichkeit geschaffen.»
Neben Ansprechpersonen wie den «Götti» sind es soziale Veranstaltungen, welche die Mitarbeiterintegration erleichtern und den «Neuen» ermöglichen, erste Kontakte zu knüpfen. Bei Helsana ist es der «Welcome Day», an dem neue Mitarbeitende bereichsübergreifend andere «Neulinge» kennenlernen und sich miteinander an Workshops austauschen. Auch die Schulthess Klinik kennt einen solchen Einführungstag, an dem die «Neuen» Informationen zum Unternehmen, den wichtigsten Ansprechpersonen und Abläufen erhalten. Alle drei Monate führt die Klinik zudem einen Mitarbeiter-Apéro durch, an dem die jeweils neuen Mitarbeitenden begrüsst werden und dadurch die Gelegenheit erhalten, mit erfahrenen Kollegen in Verbindung zu treten. Darüber hinaus bietet die Schulthess Klinik ausländischen Mitarbeitenden bei Bedarf sogar ein spezielles «Kulturprogramm» an, das ihnen das Einleben in der Schweiz erleichtern soll, denn ausländische Mitarbeitende haben oft Mühe, sich in Zürich einzuleben und Anschluss zu finden, sagt Jan Baumann.
Lernprozesse begleiten
Mit «Fit for Helsana» hat das Versicherungsunternehmen ein Lernprogramm etabliert, das aus 13 Modulen besteht, welche die Mitarbeitenden teils im Selbststudium am Arbeitsplatz absolvieren. Dieses beinhaltet theoretische und praktische Ansätze, wie den Umgang mit Kundendaten. «Je besser die Mitarbeitenden dabei das Gelernte in die Praxis übertragen können, desto schneller werden sie flügge», erklärt Joël Kabeya. Wichtig sei, dass in der Anfangsphase häufige Gespräche mit den Vorgesetzten stattfänden, damit man erfahre, «wie wohl sich der Mitarbeitende fühlt und ob er alles hat, was er für seine Arbeit benötigt».
Für Andri Bodmer hat sich im Dolder Hotel das Göttisystem in der mehrwöchigen Einarbeitungsphase bewährt, um den Lernprozess der neuen Mitarbeitenden mitzuverfolgen und ihnen zu ermöglichen, sich mit relevanten Themen mehrfach auseinanderzusetzen. Im Dialog des Göttis mit dem Mitarbeitenden und dem Vorgesetzten könne der Einarbeitungsplan bei Bedarf angepasst werden.
Im stark regulierten Gesundheitswesen, wo viele gesetzliche Vorgaben existieren, stützt sich die Schulthess Klinik derweil zur Fortschrittskontrolle mehrheitlich auf dokumentierte Prozesse und Arbeitsanweisungen, die gemäss Jan Baumann «für fast alle Aufgaben und Berufsgruppen bestehen».
Im Gegensatz zu Kistler, denn dort sind es nicht gesetzliche Vorgaben, die den Lernprozess steuern, sondern das selbstgesteuerte Dazulernen: «Jeder Mitarbeitende muss die Fähigkeit haben, Prozesse zu überdenken und sich zu fragen: Mache ich das Richtige?» Aus einer solchen Selbstreflexion Verbesserungsvorschläge abzuleiten und eigenständige Entscheide zu treffen, hänge mit der Selbstkompetenz des Mitarbeitenden zusammen. Damit Mitarbeitende zu «Mitunternehmern» würden, müsse das Unternehmen jedoch auch andere Meinungen zulassen, mitunter auch von unten her.
Wie auch immer sich die Onboardingprozesse gestalten: Ohne durchdachte Einarbeitung sind Enttäuschungen seitens der neuen Mitarbeitenden fast vorprogrammiert, sei es, weil diese sich mit ihren Fragen alleingelassen fühlen, sei es, weil sie nicht wissen, wo sie stehen, oder im Zweifel sind, wie ihre Leis-tung beurteilt wird. Fühlt sich der neue Mitarbeitende jedoch verunsichert, steigt auch das Risiko für seinen vorzeitigen Abgang. Deshalb tun Unternehmen gut daran, während der Einarbeitung die Verbindung zum neuen Firmenmitglied auf verschiedenen Ebenen zu halten: vom Vorgesetzten zum Götti bis zu den einzelnen Teammitgliedern.