HR Today Nr. 11&12/2022: Ausgefallene Social Media Kampagnen

Candidate Experience: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Das Recruiting von jungen Talenten ist eine Herausforderung. Zumal sich die Unternehmen inzwischen bei den Jungen bewerben müssen – und nicht umgekehrt. Zwei Beispiele zeigen, warum die Candidate Experience so wichtig ist und wie man das Beste aus einer Social Media-Kampagne herausholt.

Junge Menschen verbringen viel Zeit online. Logisch, dass sich auch Unternehmen dort ­aufhalten, wenn sie die junge Zielgruppe als ­Kundinnen oder Kunden oder als Nachwuchsfachkräfte ansprechen möchten. Sich erfolgreich online zu vermarkten und seine Zielgruppen effektiv zu erreichen, ist leichter gesagt als getan. Die Dynamik auf Social Media ist hoch, die Trends ändern sich rasant und die Aufmerksamkeitspanne verkürzt sich zusehends– besonders auf der Kurzvideo-App Tiktok. Sind die ­ersten zwei Sekunden eines Videos nicht interessant, wird gleich zum nächsten Video gewechselt. Deshalb ist die Bewirtschaftung von Social Media-Kanälen aufwändig. Sie birgt aber Unmengen an Potenzial. Geht ein Video viral, ist es schnell ein Gesprächsthema und wird nicht so leicht vergessen.

Wiedererkennungseffekt nutzen

Einen solchen viralen Hit erzielte die SFS, ein Unternehmen für Präzisionskomponente, Befestigungs- und Logistiksysteme, mit einer Social Media-Kampagne. Um mehr Lehrstellen im Bereich Logistik zu besetzen, startet das Unternehmen eine Tiktok-Kampagne, die sowohl online wie auch in den Lokalmedien Aufmerksamkeit erhielt. Inspiriert von der Netflix-Serie «Haus des Geldes» sollte die Vielfalt der Logistik-Aufgaben in einem Video gezeigt werden. ­Während in der Original-Serie die Hauptfiguren auffällig rote Anzüge und Masken tragen, sind es in der SFS-Version die Lernenden, die über Funkgeräte eine geheime Mission austragen. Sie rennen über Dächer und seilen sich ab, kriechen mit Taschenlampen durch dunkle Schächte und robben durch enge Spalten, um letztlich in die Lagerhalle «einzubrechen». «Gratuliere, Herausforderung bestanden, ihr dürft sofort als Logistiker arbeiten», ertönt es über Funk. Die maskierten Lernenden machen sich sogleich an die Arbeit und geben einen Einblick in ihr Arbeitsumfeld.

Das Tiktok-Projekt war für die SFS Marketing-Neuland und stiess intern zunächst bei den ­Führungskräften auf Skepsis. Doch als die ­Video-Kampagne nach fünf Monaten kreativer Zusammenarbeit der Marketing- und Logistik-Abteilungen gedreht und geschnitten war, ­verflogen die Bedenken. Bald wurde eine Fortsetzung geplant, ein weiteres Mal mit den ­Lernenden in der Hauptrolle zum Thema «Haus des Geldes» Dieses Mal sollten die maskierten Lernenden Schulen überfallen – selbstverständlich nach Absprache mit den Schuldbehörden und der Polizei. Das Video zeigt, wie die Maskierten aus ihrem schwarzen Fluchtwagen springen, umgeben von roten Nebelschwaden auf die überraschten Schülerinnen und Schüler zu rennen. Nicht etwa, um sie als Geiseln zu ­nehmen, sondern um ihnen einen mit einem QR Code versehenen Pausenapfel zu übergeben. Dieser lockte die Zielgruppe an einem Gewinnspiel mitzumachen. Der Name der SFS ist nun vielen Jugendlichen ein Begriff – und somit wurde das Ziel der Kampagne erreicht.

Bewerbungsprozess neu gedacht

Einen anderen Fokus setzte die PostFinance. Sie beschäftigte sich weniger mit der Frage: Mit ­welcher Social Media-Kampagne können wir eine junge Zielgruppe ansprechen, sondern wie die Candidate Experience an die Zielgruppe ­angepasst werden konnte. Zentral war die Frage: Was nervt Bewerbende am Bewerbungsprozess am meisten? Schlecht geschriebene Stelleninserate, unnötige Motivationsschreiben, unübersichtliche Bewerbungsformulare und schwerfällige Kommunikation sowie mangelnde Wertschätzung, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das geht auch aus einer kürzlich erschienen Umfrage der Königssteiner Gruppe* hervor. Gemäss den Befragten betraf das nicht nur die Einladung zum ersten Gespräch – auch vollautomatisierte Eingangsbestätigungen werden den Erwartungen der Befragten nicht gerecht. Langsame Antworten, auch bei Absagen, verschwenden nicht nur die Zeit von Bewerbenden, sondern lassen auch mangelnde Wertschätzung für die Bemühungen der Kandidaten durchschimmern.

Schon heute optimieren viele Unternehmen einzelne Prozessstationen: Recruiting über ­LinkedIn ist vielerorts Standard, einige Firmen verlangen kein Motivationsschreiben mehr und andere verlagern die Kommunikation von E-Mail auf WhatsApp. Doch was, wenn der gesamte Bewerbungsprozess neu überdacht wird – vom Bewerbungsschreiben über den E-Mail-Verkehr bis hin zum Vorstellungsgespräch?

Alles begann mit dem Wunsch, das Recruiting der PostFinance Customer Center zu optimieren und mit einem leichten und ansprechenden Verfahren bei Bewerbenden zu punkten. Also wurden Bewerbungsschreiben, mühsame Terminsuche und lange Wartezeiten gestrichen. Stattdessen konnten sich Bewerbende mit Lebenslauf über ein Online-Formular zu einem «Casting Day» anmelden: Ein Online-Event, an dem alle Bewerbende am selben Tag in einem virtuellen Raum ein Assessment mit Video-Interview und zwei Fallbeispielen durchlaufen. Der Vorteil: Am Ende des Tages wissen die Bewerbende bereits, ob sie eingestellt werden oder nicht.

Weil Führungskräfte und HR künftig so nur noch einen halben Tag für die Bewerbungsgespräche des Customer Centers einplanen müssen, entlastet das auch die betroffenen Abteilungen. Das Tätigkeitsprofil für Customer Center-Mitarbeitende ist jung, dynamisch und flexibel, kundenorientiert und sprachaffin. Diese spezifische Zielgruppe tummelt sich hauptsächlich online – beispielsweise auf der Kurzvideo-App Tiktok. Daher war es naheliegend, den «Casting Day» mit einer starken Social Media-Kampagne zu lancieren.

Schnelle Umsetzung, langfristiger Erfolg

Von der Idee zum fertigen «Casting Day» dauerte die Umsetzung zwei Monate: die Projektkoordination begann Ende Mai, Mitte Juli wurde die dazugehörige Social-Media-Kampagne gefilmt, Mitte September startete die Kampagne. Der «Casting Day» fand erstmals Ende Oktober statt. Dank der engen Zusammenarbeit der ­Projektleitenden und der Kundenservice-­Abteilung sowie dem intern vorhandenen Know-how, konnte der eng getaktete Plan zeitgerecht umbesetzt werden. Einzig für die Filme wurde eine externe Agentur engagiert.

 

*Quelle: «Candidate Journey 2022 – Whitepaper», Königsteiner Gruppe, 2022

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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