HR Today Nr. 6/2021: Compensation & Benefits – Leistungsbeiträge

«CEOs sind Sekretärinnen»

Löhne geben zu reden. Vor allem, wenn sie ungleich verteilt sind oder wenn Mitarbeitergruppen benachteiligt werden. Ein Gespräch über Lohnsysteme der Zukunft mit Wirtschaftsvordenker Gebhard Borck.

Lohnungleichheiten zwischen Frau und Mann halten sich so hartnäckig, dass wir uns mittlerweile fast schon daran gewöhnt haben ...

Gebhard Borck: Lohnunterschiede zeigen vor allem die blinden Flecken unserer Gesellschaft wie das überkommene Bild der (Haus-)Frau, die kein eigenes Einkommen braucht. Man kann schwerlich von fairen Löhnen sprechen, wenn Frauen und Männer aufgrund ihres Geschlechts unterschiedliche Löhne erhalten.

Seit 1. Juli 2020 sind Unternehmen in der Schweiz mit über hundert Mitarbeitenden dazu verpflichtet, eine Lohnanalyse durchzuführen und die Ergebnisse offenzulegen. Dazu haben sie bis Juni 2021 Zeit. Was nützt das?

Wenn ich etwas aus rechtlichen Gründen tue, daraus Erkenntnisse erlange, aber keine Konsequenzen ableiten muss, kann ich es auch bleiben lassen. Auf Freiwilligkeit zu setzen, bringt selten etwas. Deshalb ist auch in diesem Fall unmittelbar keine Veränderung zu erwarten. Das Gesetz kann aber zu mehr Verständnis der Entscheidungsträger führen. Nur sollten diese in einem weiteren Schritt mit den gewonnenen Erkenntnissen etwas tun. Auch wenn sie sich dazu nur öffentlich erklären müssen.

Viele Compensation & Benefits-Modelle orientieren sich stark an traditionellen Hierarchien und beruhen auf Zielvorgaben. Hat das noch Zukunft?

Wer als Vorgesetzter Leistung mit einem zu erreichenden Ziel verknüpft und seine Mitarbeitenden davon teilweise finanziell abhängig macht, will Gehorsam. Führungskräfte versuchen zudem damit, sich selbst abzusichern, und bestrafen Mitarbeitende für das Nichteinhalten eines vorgegebenen Ziels. Spätestens wenn die Boni-Zeit anbricht, beginnt das Feilschen über Zielerreichungsgrade.

Geht es hauptsächlich um Geld, verhalten sich Menschen grundsätzlich egoistischer: Ist ihre Mitgestaltung nicht ernsthaft gewollt, optimieren sie eben ihr Einkommen. Wer an solchen Mechanismen festhält, fördert die Unzufriedenheit der Mitarbeitenden und macht Firmen gleichzeitig weniger anpassungsfähig. Stattdessen könnten Unternehmen Mitarbeitenden zutrauen, Unternehmensprobleme selbständig zu lösen, und Boni nicht im Voraus bestimmen, sondern den effektiv erwirtschafteten Gewinn anteilsgerecht verteilen. Damit fördern sie ein Gemeinschaftsdenken. Sich egoistisch auf die eigene Zielerreichung zu konzentrieren, lohnt sich dann immer weniger.

Zuckerbrot und Peitsche haben also ausgedient?

Die britische Ökonomin Kate Raworth hat das Modell der Donut-Ökonomie entwickelt, das den Wohlstand in drei Arten unterteilt: Eigentum, Lohn und Urheberschaft (Intellectual Property). Zuckerbrot und Peitsche ist eine Praktik, um davon abzulenken, dass Eigentümer den Unternehmensgewinn verteilen, bevor Angestellte um ihr Gehalt verhandeln können. Das war nicht immer so: Henry Ford wollte den Gewinn zuerst unter der Belegschaft aufteilen. Seine Investoren/Miteigentümer zogen aber vor Gericht und Ford verlor den Prozess. Seither entscheiden Unternehmenseigentümer bei der Gewinnverteilung, welcher Anteil davon als Einkommen zur Verfügung steht.

Damit wären wir bei Marx...

Die Ungleichverteilung hat sich in den letzten zweihundert Jahren sicherlich verstärkt. Clever an diesem Systemerhalt ist, dass viele von uns auch Eigentümer sind. Wird das Eigentum infrage gestellt, fühlt sich der Häuslebauer genauso angegriffen wie der Nestlé-Grossaktionär.

Zurück zum Geld: Inwiefern dient dieses noch als Leistungsanreiz?

Ein sinnvollerer Leistungsanreiz als ein Geldbetrag ist die Unsicherheit der Zukunft. Das heisst für Mitarbeitende, einen Beitrag zu leisten, damit es ihre Firma morgen noch gibt. Das Problem in vielen Unternehmen ist, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden vor vermeintlich schlechten Nachrichten abschirmen wollen. So sagen Führungskräfte selten, wie lange das Geld noch reicht. Sind Mitarbeitende über die Finanzlage des Unternehmens dagegen informiert, passiert gemeinhin etwas anderes als angenommen: Die Besten laufen keineswegs scharenweise davon. Vielmehr fangen sie an, intelligent zu handeln, miteinander zu reden und nach Aufträgen zu suchen, um das Geschäft in den Griff zu bekommen. Vorgesetzte sollten sie dabei unterstützen. Sie selbst würden auch entlastet, weil sie keine heile Welt vorzuspielen brauchen und so die ganze mentale Last allein tragen.

Müsste man auch Gehälter transparent machen?

Es gibt keinen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen transparenten Gehältern und einem höheren Grad an Selbstorganisation. Selbstorganisation gelingt besser, wenn ein Unternehmen eine Wirtschaftlichkeitsrechnung macht und transparent darlegt, wo und wie es Geld verdient. Das reicht. Daneben sollten Mitarbeitende möglichst wenig Gründe haben, über Geld zu reden. Je häufiger darüber gesprochen wird, desto eigensüchtiger verhalten sie sich. Das Verhindern Unternehmen, indem sie Gehälter zahlen, bei denen die Lohnschere zwischen Top- und Geringverdienern nicht zu gross ausfällt, Menschen von ihrem Lohn anständig leben können und Mitarbeitende ernsthaft an den Gewinnen beteiligt werden. Dafür kann das konkrete Einkommen der Einzelnen auch gerne intransparent bleiben.

Man könnte darüber diskutieren, worin der Leistungsbeitrag eines CEO besteht und ob sein Lohn gerechtfertigt ist...

Genau betrachtet, wirkt der Job eines CEO in Organisationen so ähnlich wie der von Sekretärinnen: CEOs sind in vielen Projekten dabei, leisten bei der Umsetzung aber nur einen kleinen Beitrag. Dieser ist jedoch besonders wichtig, denn sie sorgen dafür, dass möglichst wenig Reibung in der Zusammenarbeit entsteht und treiben wichtige Projekte voran. Dafür bringen sie ihre Erfahrungswerte ein, räumen Hindernisse aus dem Weg, schaffen Freiräume und bringen die richtigen Menschen zusammen. CEOs müssen sich aus meiner Sicht deshalb nicht um ihre Zukunft sorgen. Viel gefährdeter sind mittlere Kaderpositionen, etwa Bereichs- oder Teamleiter, deren Managementaufgaben an Teammitglieder delegiert werden können.

In welche Richtung sollten sich Lohnmodelle entwickeln?

Ganz radikal gedacht könnten Unternehmen von Fixlöhnen wegkommen und sich stattdessen an Überschüssen orientieren. Verteilt wird dann, was nach Abzug aller Aufwände übrigbleibt. So würden Mitarbeitende nach ihrem Beitrag individuell prozentual entlohnt. Eine Mitarbeiterin erhält beispielsweise 25 Prozent vom realen Überschuss, ein anderer Mitarbeiter nur 18 Prozent. Das bringt alle Beschäftigten automatisch dazu, unternehmerisch zu denken, und führt zu einer ernsthaften Auseinandersetzung, wer wie viel beiträgt. Dafür verschwinden Ungleichheiten. Was zählt, ist, was jemand leistet, und nicht, ob jemand eine Frau oder ein Mann ist oder besser oder schlechter verhandelt hat. Schwierig ist, ein solches System mit den bestehenden Sozialsystemen abzustimmen, da die Einkünfte von Monat zu Monat schwanken.

Eine weniger radikale Möglichkeit wäre, allen Mitarbeitenden einen ähnlichen Fixlohn zu bezahlen und die Überschüsse am Ende des Jahres prozentual nach dem individuellen Beitrag aufzuteilen. So erhalten alle, deren Engagement eine grosse Wirkung entfaltet hat, mehr Gewinnbeteiligung als andere.

Mit einem schwankenden Gehalt umzugehen, ist nicht jedermanns Sache...

Wer sich in einem prekären Anstellungsverhältnissen befindet, hat im Gegensatz zum Modell des eigenverantwortlichen Umgangs mit Unsicherheit keinerlei Einfluss auf seine Organisation oder seinen Lohn. Diese Mitarbeitenden können ihr Einkommen nicht verbessern und haben kein Mitbestimmungsrecht im Betrieb. Eine wahrgenommene Unsicherheit sinkt umso mehr, je mehr Menschen etwas dagegen unternehmen können. Zudem spielt es auch eine Rolle, wie stark ein Einkommen schwankt. Erziele ich in einem Monat 2000 Franken und im nächsten 3500, ist mir unwohl. Schwankt mein Gehalt dagegen zwischen 20'000 und 30'000 Franken, ist mir das egal.

Man könnte Mitarbeitende auch zu Miteigentümern machen. Was spricht dafür?

Haben Mitarbeitende ein echtes Mitspracherecht, kann das zu gut funktionierenden Modellen führen. Wie jenes der schwedischen Bank Handelsbanken, deren Hauptaktionär eine Stiftung ist, die sich praktisch im Besitz der Mitarbeitenden befindet. Gewinne schüttet das Unternehmen nicht in Geld aus, sondern verteilt Anteile eines Rentenfonds, der wiederum der Stiftung gehört. Damit hat die Belegschaft ein Stimmrecht und kann ihr Veto gegen Entscheide einlegen, die sich einseitig gegen sie richten. So ein Modell funktioniert besser, je homogener die Eigentümerschaft ist. Grossunternehmen befinden sich jedoch meist in vielen Aktionärshänden. Auch wenn Mitarbeitende aktienbeteiligt sind, besitzen sie nur wenige Prozente am Unternehmen. Sie haben keine richtige Mitsprache. Um das zu ermöglichen, müsste die Firma im grossen Stil Aktienrückkäufe tätigen und diese Aktien in die Entscheidungshoheit der Belegschaft legen. Dazu sind die meisten Grossunternehmen aber nicht bereit.

Welche Beteiligungsmöglichkeiten sehen Sie sonst noch?

Unternehmen könnten Mitarbeitende an ihrem geistigen Eigentum mitbeteiligen. Anstatt alle Patent-, Nutzungs- und Verwertungsrechte pauschal auf eine Firma zu übertragen, würden diese nach bestimmten Vorgaben zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen geteilt. Mitarbeitende würden somit durch ihre Ideen Wohlstand für sich selbst schaffen. Besonders in der Softwareentwicklung könnte das an Bedeutung gewinnen.

Gebhard Borck

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Gebhard Borck ist Berater. Er versteht sich als «Transformationskatalysator für adaptive Organisationen» und plädiert für eine Führungs- und Arbeitskultur, die auf mehr Selbstbestimmung sowie Sinnentfaltung und weniger Hierarchie beruht. ataas.de

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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