Das Basisverhalten eines Menschen
Im fünften Teil der Lügen-Serie geht es um das Normalverhalten, der sogenannten Baseline eines Menschen.
Wer das Normalverhalten eines Menschen kennt, erkennt eher, ob er lügt oder die Wahrheit sagt. (Bild: 123RF)
Um die Lüge in Ihrem Umfeld überhaupt entlarven zu können, müssten Sie zuerst das Verhalten Ihres Gegenübers im Wahrheitsmodus kennen. Welche Verhaltensweisen legt ein Mensch an den Tag, wenn er sich wohlfühlt, relaxt ist, Ihnen vertraut, sich öffnet? Erst wenn Sie die Ticks und Reaktionen Ihres Gegenübers im Normalmodus kennen, können Sie der Lüge auf die Spur kommen.
Vor ein paar Monaten ging ein Spieler von «Wer wird Millionär» mit einer Million Euro nach Hause. Auf die Frage, wie ihm das gelang, antwortete er: «Ich habe Herrn Jauch monatelang beobachtet, Videosequenzen studiert, um herauszufinden, wann er blufft, wann er lügt und wann er die Wahrheit sagt.» Genau genommen hat der junge Mann das Verhalten in Mimik, Körpersprache und Stimme von Herrn Jauch analysiert und so Verhaltensschemata entdeckt, die ihm dann geholfen haben, anhand von Jauchs Verhalten auf die richtige Antwort zu setzen.
Beim Pokern beginnt die Arbeit übrigens auch nicht erst am Pokertisch. Profispieler analysieren monatelang via Videoaufzeichnungen ihre zukünftigen Gegner: Wie sieht deren Baseline aus, wann und wie wird geblufft, wie reagiert der Gegner bei einem guten Blatt? Sobald man die Indizien auf den drei Kanälen Mimik, Körpersprache und Stimme erkannt hat, kann man im Gegenüber lesen wie in einem offenen Buch und so auch den Gewinn beim Pokern beeinflussen.
Doch mit grosser Wahrscheinlichkeit haben Sie nicht immer Videosequenzen Ihres Gegenübers zur Hand, oder? Deshalb hilft Ihnen schon ein einfaches Gespräch, um das Normalverhalten eines Menschen zu definieren. Verhörspezialisten machen übrigens auch nichts anderes. Sie plaudern in den ersten Minuten über belanglose Dinge, stellen Fragen, die ihr Gegenüber animieren, von sich zu erzählen. Grossen Erfolg werden Sie mit Fragen haben, die auf die Tätigkeiten, Interessen und Erfolgserlebnisse des Gegenübers abzielen. Dies signalisiert Interesse und lässt den anderen gesprächig werden.
In Verhören hat man die Erfahrung gemacht, dass mit dieser Methode der Verdächtige gesprächig gemacht wird und er dann auch in den entscheidenden Themen redselig bleibt, da eine Verbindung und Vertrauen aufgebaut wurden. Nebenbei haben die Ermittler in diesen ersten Minuten das Normalverhalten des Menschen kennengelernt und es analysiert. Zugute kommt dieser Methode, dass uns in der heutigen Zeit nur noch wenig Raum bleibt, uns in den Vordergrund zu stellen und dass uns jemand interessiert zuhört.
Mit welchen Fragen könnten Sie Ihr Gegenüber öffnen und so dessen Baseline näher kommen? Definieren Sie 10-15 Einstiegsfragen zu Interessen, Vorlieben, Job und Erfolgen des Gegenübers.
Setzen Sie diese Fragen in den nächsten Wochen bewusst ein, um a) …kennenzulernen, wie Menschen darauf reagieren, wenn man Interesse an Ihnen zeigt und b) …genau zu beobachten, wie Ihr Gegenüber im Normalzustand agiert.
Mich fasziniert es sehr, was man mit wahrem Interesse alles über Menschen herausfinden kann und was selbst aus eher ruhigeren Menschen heraussprudelt. Zu all den oben genannten Erkenntnissen bekommen Sie als Bonus sehr viel Hintergrundwissen über Ihren Gesprächspartner und möglicherweise auch Einblick in intime oder pikante Details.
Um Ihr Gegenüber bewusster beobachten zu können, habe ich Ihnen eine Checkliste erarbeitet, die die Reaktionen auf allen drei Kanälen sowie weitere Parameter berücksichtigt. Beschäftigen Sie sich in den nächsten Wochen bewusst damit. Schreiben Sie Profile für Ihr gesamtes Umfeld und geben Sie Ihre Entdeckungen vielleicht auch an die betreffenden Personen weiter. Denn viele sind sich ihres eigenen Verhaltens und ihrer Ticks gar nicht bewusst.
Fangen Sie an, so viele Verhaltensprofile wie möglich von Ihrem Umfeld anzulegen. Bitten Sie zwei oder drei Personen, die ihnen nahestehen, ein solches Profil auch von Ihnen anzufertigen. Sie werden über die Ergebnisse fasziniert sein! Viel Freude damit!
Herzlichst, Tatjana Strobel