HR Today Nr. 3/2020: Recruiting – The Shows goes on

Den Suchradius öffnen

Die Arbeitswelt verändert sich rasant, doch Firmen halten an überkommenen Methoden und Prozessen fest. Weshalb der Fachkräftemangel teilweise hausgemacht ist und welche Kompetenzen ein Recruiter künftig braucht, erläutert Executive-Search-Experte Frank Rechsteiner im Gespräch.

Herr Rechsteiner, alle reden von der Arbeitswelt 4.0. Wer sich aber umsieht, hat das Gefühl, wir bewegen uns noch immer in der alten Industriewelt. Machen sich Firmen zu wenig Gedanken über Bewerbende?

Frank Rechsteiner: Das kann man so nicht sagen. Sie sind eher in ihrer alten Arbeitgebermentalität gefangen. Die meisten Firmen wissen zwar rein theoretisch, dass sich der Arbeitsmarkt in einen Arbeitnehmermarkt verwandelt hat. Die Transformation in den Firmen verläuft jedoch recht schleppend. Es ist wie in einer Paarbeziehung: Nur weil ich weiss, dass ich meinen Partner schlecht behandle, heisst das nicht, dass ich es morgen besser mache.

Es fehlt in den Unternehmen schlicht an Vorbildern. Menschen, die den ersten Schritt machen, um Neues im Recrui­ting auszuprobieren. Dazu braucht es in der Geschäftsleitung und in den Fachabteilungen ein anderes Führungsverständnis und neue Prozesse. Das HR kann einen Anstoss zur Veränderung geben, weil das Wissen zum Systemwandel dort vorhanden ist. Die Geschäftsleitung und die Fachabteilungen müssen sich jedoch zum Wandel verpflichtet fühlen. Nur dann ist Veränderung möglich.

Wie nehmen Sie Recruiter wahr?

Ihnen fehlt vielfach die Kompetenz und der Mut, mit den Fachabteilungen zu kommunizieren. Sie drücken sich vor dieser Basisaufgabe und suchen auf Fachmessen ihr Heil in neuen Tools. Dadurch können sie ihre Kandidatenzahl zwar vervielfachen, wer seine Hausaufgaben aber nicht macht, schafft es nicht, geeignete Bewerber anzuziehen. Er ist durch seine veralteten Prozesse viel zu langsam und schon deshalb für Bewerber wenig attraktiv.

Tiktok, Snapchat, Instagram & Co: Müssen ­Firmen überall dabei sein?­

Recruiter sollten sich überlegen, ob diese Kanäle zur Recruitingstrategie und zur Zielgruppe passen und sie die Ressourcen haben, diese regelmäs­sig zu bespielen. Es gibt unglaublich viele «tote» Firmenprofile auf Xing, denen zu entnehmen ist: We are hiring. Das interessiert doch keinen Menschen. Jedenfalls nicht jene, die bereits einen Job haben. Die wechseln ihn nicht wegen einer solchen Anzeige.

Potenzielle Arbeitnehmende möchten über Social Media erfahren, was von aussen bei einem Unternehmen nicht sichtbar ist. Beispielsweise, wie man dort arbeitet, welche Technologien beim Kunden verwendet oder wie Mitarbeitende entwickelt werden. Um gute Kandidaten zu erreichen, muss man tatsächlich nicht jeden Hype mitmachen.

Ist der Fachkräftemangel ein Mythos?

In gewissen Bereichen gibt es wenig Kandidaten. Dass immer mehr Unternehmen Mühe haben, Fachkräfte zu finden, liegt jedoch auch an ihrer fehlenden Flexibilität. Wer eierlegende Wollmilchsäue sucht, findet einfach nur wenige Mitarbeitende. Wer die Augen öffnet und ein breiteres Spektrum an Bewerbern zulässt, erreicht auf einmal jede Menge Kandidaten.

Etwa, indem er den Suchradius auf über 55-Jährige ausdehnt. Solche Arbeitnehmende sind sehr gut ausgebildet und wechseln nicht, wenn man ihnen ein paar hundert Franken mehr bietet. Sie sind die dankbarsten Mitarbeitenden. Wenn sie nur vier Tage arbeiten wollen, sollten Firmen ihnen das zugestehen und ihnen ermöglichen, ihr Wissen weiterzugeben.

Um bei älteren Arbeitnehmenden anzukommen, sollten sich Unternehmen jedoch nicht mit dem Spruch «Bei uns können Sie Karriere machen» melden. Diese hatte ein über Fünfzigjähriger schon. Dieses Beispiel zeigt, dass Rekrutierung sehr individuell geworden ist und das Giesskannenprinzip ausgedient hat. Menschen wollen als eigenständige Individuen angesprochen werden. Das heisst auch, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden müssen, Menschen zu finden, die sofort einsetzbar sind und keine Einarbeitung brauchen.

Das bedeutet aber auch mehr Aufwand …

Das stimmt. Wir haben es uns aber bisher auch viel zu einfach gemacht. Die Einarbeitung von Mitarbeitenden ist eine Aufgabe, die zu den HR-Kompetenzen gehört. Dafür werden HR-Fachkräfte schliesslich bezahlt. Das Jobverständnis, eine Einarbeitung sei überflüssig und Mitarbeitende müssten sofort einsetzbar sein, mag bisher bis zu einem gewissen Grad funktioniert haben, heute tut es das nicht mehr. Ohne Einsatz gibt es aber keinen Ertrag. Firmen, die ihr Recruitingverhalten nicht anpassen, werden beim Ringen um Fachkräfte künftig leer ausgehen. Nur wer einen guten Brand hat, kann sich dieses Verhalten noch leisten. Einen solchen haben jedoch die allermeisten Firmen nicht.

Wie viel Abweichung vom Traumprofil soll ein Unternehmen tolerieren?

So viel, wie man bereit ist, in den Mitarbeitenden zu investieren. HR muss das neue Gedankengut auch in die Fachabteilungen hinaustragen. Wenn die Linie sagt, sie wolle nur einen Idealkandidaten, bringt es nichts, wenn HR einen Bewerbenden präsentiert, der nur zu 50 Prozent auf das Wunschprofil passt. Auch wenn er sich entwickeln liesse. Dabei gewinnt keiner was.

Braucht es Fringe Benefits, um Arbeitnehmende zu gewinnen?

Firmen, die eine valide Antwort auf die Frage haben «Warum du dich bei uns bewerben sollst», haben solche Gadgets nicht nötig. Wer keine Antwort darauf hat, kommt mit Pingpongtischen, Playstations, Grill auf der Terrasse, Bergsteigen und anderen Lohnnebenleistungen. Das sind alles nette Nice-to-haves. Sie bringen aber keinen einzigen zusätzlichen Bewerber.

Buchtipp

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Der Arbeitsmarkt hat sich längst zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Doch was muss im Recruiting verändert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben? In seinem Buch beschreibt Frank Rechsteiner, wie Firmen sich im Recruiting neu positionieren, um erfolg­reich Kandidaten zu gewinnen.

Recruiting Mindset – Personalgewinnung in Zeiten der Digitalisierung, Frank Rechsteiner, Haufe Verlag, 2019, 150 Seiten.

 

frankrechsteiner.de

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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