Der Fachkräftemangel – erste Studienerkenntnisse
In einer grossen Arbeitsmarktstudie hat Rundstedt 2022 zusammen mit HR Today den Fachkräftemangel in der Schweiz den Puls gefühlt. Erste Ergebnisse der Studie.
Um die Debatte über den Fachkräftemangel in der Schweiz zu vertiefen, realisierte Rundstedt 2022 zusammen mit HR Today eine grosse Arbeitsmarktstudie, deren Resultate jetzt vorliegen. 985 HR-Manager aus der ganzen Schweiz nahmen daran teil, rund die Hälfte davon stammt aus dem KMU-Umfeld. Ausserdem führte von Rundstedt qualitative Interviews mit zehn Branchenvertretern, um mehr über die Hintergründe des Fachkräftemangels einzelner Wirtschaftszweige zu erfahren. Die Ergebnisse werden in einem Whitepaper im Oktober veröffentlicht.
Fachkräftemangel – das meint die HR-Community dazu …
- Bei der Betroffenheit belegt das Gesundheitswesen unerwarteterweise keinen Spitzenplatz.
Nur 31 Prozent der HR-Manager von Gesundheitsbetrieben stufen den Fachkräftemangel als sehr hoch ein. Drastischer ist die Lage im IT- und Hightech-Bereich (47 Prozent), in der Konsumgüterbranche/Detailhandel (44 Prozent) und in der industriellen Produktion (32 Prozent). Das Schlusslicht bilden der Finanzbereich (12 Prozent), die öffentliche Verwaltung (11 Prozent), Pharma & Chemie (10 Prozent) und die Logistik (2 Prozent). Dort wird der Fachkräftemangel grösstenteils als eher moderat erachtet. In der Deutschschweiz ist die Betroffenheit zudem branchenübergreifend grösser als in der Romandie oder im Tessin.
- Der Fachkräftemangel variiert stark je nach spezifischen Profilen.
Während im IT- und Hightech-Bereich (44 Prozent), im Konsumgüterbereich (34 Prozent), in der öffentlichen Verwaltung (33 Prozent), im Bauwesen (29 Prozent) und in der Gastronomie (25 Prozent) ein relativ grosser Teil der Positionen schwierig zu besetzen ist, betrifft das im Gesundheitswesen (10 Prozent), bei den Banken (8 Prozent) und in der Pharma & Chemie (5 Prozent) nur einen kleinen Teil der Positionen. Die tiefe Zahl beim Gesundheitswesen weist darauf hin, dass Pflegefachkräfte zwar knapp sind, es im Spitalumfeld aber viele andere Funktionen gibt, wo nach wie vor schnell einmal 20 bis 60 Bewerbungen zusammenkommen. Bei den branchenübergreifenden Positionen sind IT-Fachkräfte (77 Prozent), fachliche Kundenberater (53 Prozent), Forschung & Entwicklung (42 Prozent), anspruchsvolle Sales-Funktionen (40 Prozent) und Handwerker (38 Prozent) am kritischsten. Klassische Positionen im Finanzbereich (32 Prozent), in Office & Administration (24 Prozent) und im Marketing (17 Prozent) sind leichter zu besetzen.
- Obwohl in vielen Firmen ganze Führungsebenen gestrichen werden, scheint es heute schwieriger zu sein, Führungsfunktionen richtig zu besetzen.
Bei Positionen im Management (57 Prozent) und im Top-Management (46 Prozent) wird der Fachkräftemangel als recht hoch eingeschätzt. Das mag daran liegen, dass durch Work 4.0 eine neue Führungskompetenz verlangt wird.
- Es scheitert und fehlt viel häufiger an spezifischen Fachkompetenzen als an digitalen Grundkompetenzen.
Die spezifischen Fachkompetenzen (41 Prozent) sind mit Abstand am kritischsten. An Future Skills (19 Prozent), Branchenkompetenzen (17 Prozent), digitalen Kompetenzen (13 Prozent) oder persönlichen Kompetenzen (7 Prozent) mangelt es weniger häufig. Das wird zumindest in der Rekrutierung so gesehen. Die Personalentwicklung sieht das wahrscheinlich anders. Zertifikate und Ausbildungsdiplome (6 Prozent) versinken fast in der Bedeutungslosigkeit. Das ist eine klare Botschaft: Lernen geht heute anders!
- Findet man keine passenden Kandidatinnen und Kandidaten, steigt bei Firmen die Abweichungstoleranz und Anforderungen werden aufgeweicht.
Nur selten wird auf die Besetzung verzichtet (14 Prozent). Der Plan B der Firmen ist die Verlängerung des Suchprozesses (93 Prozent), mehr Geld für externe Suchmandate (68 Prozent) oder die Aufweichung der Anforderungskriterien (79 Prozent). Das ist eine gute Nachricht für bisher benachteiligte Gruppierungen.
- Im Kampf um die Talente machen sich die Firmen hübsch und hoffen so auf komparative Vorteile.
Die bevorzugten Strategien im Fachkräftewettbewerb sind attraktive Anstellungsbedingungen (55 Prozent) und viel Aufwand für ein erfolgreiches Employer Branding (53 Prozent). Auch Vermittlungsboni für Mitarbeitende oder externe Partner (32 Prozent) sind im Trend. Gezieltes Talent Scouting (24 Prozent), Nutzung von Freelancern oder externen Ressourcen (15 Prozent) oder Direktansprachen bei Mitarbeitenden (13 Prozent) haben noch keine Prioritäten.
- EVP – das neue Zauberwort. Firmen setzen vor allem auf Smart Working und weiche Faktoren.
Spitzenreiter sind Wellbeing-Faktoren und moderne Arbeitsformen. Firmen setzen in der Eigenwerbung vor allem auf Autonomie in der Arbeitsgestaltung (48 Prozent), starke Firmenwerte (48 Prozent), Sinnhaftigkeit der Arbeit (45 Prozent), eine starke Teamkultur (43 Prozent), flexible Arbeitszeiten (42 Prozent) und freie Wahl des Arbeitsorts (31 Prozent). Vor allem in den Wissensberufen scheint sich Smart Working endlich durchzusetzen. Bei attraktiven Benefits (19 Prozent) und überdurchschnittlichen Salären (12 Prozent) wird wohl an deren Nachhaltigkeit gezweifelt.
- Wenig Kreativität bei den Suchkanälen.
Den Fokus legen Firmen bei den Rekrutierungsaktivitäten auf eigene Aktivitäten über die firmeneigene Webpage (58 Prozent), Linkedin/Xing (43 Prozent) und die Nutzung persönlicher Netzwerke der ganzen Belegschaft (41 Prozent). Facebook/Instagram (9 Prozent) ist in den meisten Branchen noch keine vertrauenswürdige Strategie. Auch Headhunter (9 Prozent) oder externe Stellenvermittler (14 Prozent) schnitten relativ schlecht ab. Da diese im gleichen trockenen Arbeitsmarkt fischen, dienen sie Firmen in Einzelfällen häufig als Ausweichoption.
- Der Fachkräftemangel macht Firmen mutiger und schafft neue Möglichkeiten für neue Zielgruppen.
In der Not ziehen Firmen Kandidierende in Betracht, die vor zwei Jahren noch als «benachteiligt» galten. Das Interesse an Müttern nach über zehn Jahren stellenloser Familienarbeit (63 Prozent) nimmt zu, die Chancen von Ü60-Kandidierenden (43 Prozent) steigen und auch Quereinsteigende (31 Prozent) bekommen häufiger eine Chance. Zudem gewinnen spezielle Befähigungsprogramme (58 Prozent) an Bedeutung, während Rekrutierungsinitiativen im Ausland (36 Prozent) salonfähig werden. Dieser Trend ist auch im KMU-Umfeld gut zu beobachten.
- Die Altersguillotine verschiebt sich nach oben.
Das kritische Alter ist im letzten Jahrzehnt schrittweise von Ü55 auf Ü50 oder sogar Ü45 gefallen. Durch den Fachkräftemangel verschiebt sich dieses aktuell wieder markant nach oben. Die kritische Grenze liegt bei vielen Firmen neu bei 58 bis 60 Jahren. Für Ü60 ist es aber nach wie vor anspruchsvoll, eine neue Stelle zu finden. In Branchen wie der Gastronomie/Hotellerie und im Konsumgüterbereich/Detailhandel liegt sie mit 50 bis 52 Jahren allerdings immer noch um einiges tiefer (Medianberechnung).
Allgemeine Aussagen zum Arbeitsmarkt
- Stellenlose Bewerbende sind nicht im Nachteil, ausser sie sind lange Zeit ohne Beschäftigung. Die kritische Phase beginnt bei 10 bis 15 Monaten Arbeitslosigkeit.
- Arbeitgebende sind bereit, das vorgegebene Salär um durchschnittlich 10 bis 12 Prozent zu erhöhen, um einen Wunschkandidaten oder eine Wunschkandidatin zu gewinnen.
- Bei Quereinsteigenden wird ein Lohnrückgang von bis zu maximal 15 Prozent als noch glaubwürdig angeschaut. Ein Rückgang von 15 bis 30 Prozent ist schon kritisch. Über 30 Prozent Lohnrückgang ist ein Tabu.
- Die viel beschworene Weiterbeschäftigung über das Pensionsalter hinaus wird nur von rund 10 Prozent der Firmen aktiv gesucht, von 36 Prozent allerdings in Betracht gezogen.
- Über die Hälfte der Arbeitgebenden (59 Prozent) setzen auf ein betriebliches Gesundheitskonzept.
- Ein Grossteil der Arbeitgebenden beteiligt sich finanziell an externen Weiterbildungsmassnahmen ihrer Mitarbeitenden.
- Rund 60 Prozent der HR-Manager meinen, dass von den Arbeitgebenden nach wie vor zu wenig in die Weiterbildung investiert wird.
- Spezialisten haben es im Arbeitsmarkt trotz Fachkräftemangel gegenüber den Generalisten einfacher. (61 Prozent)
- Die Branchenerfahrung ist und bleibt heilig. (78 Prozent)
- Trotz Fachkräftemangel und digitaler Transformation entsteht in der Schweiz keine Quereinsteigerkultur. (81 Prozent)
- Es herrscht in der Rekrutierung ein zunehmender Jugendwahn. (51 Prozent)
- Junge fordern viel mehr, leisten aber nicht mehr. (72 Prozent)
- Die Stellenmeldepflicht hilft den Firmen nicht bei der Rekrutierung. (83 Prozent)
Das Whitepaper «Fachkräftemangel in der Schweiz» wird im Oktober veröffentlicht. Bestellen Sie die digitale Ausgabe schon jetzt unter info@rundstedt.ch