HR Today Nr. 11/2018: Porträt

Der Flugbegeisterte

Mit dem Grounding der Swissair nimmt die Karriere von Daniel Muff eine abrupte Wende. Im Porträt blickt er auf seine Karriere zurück: Die führte ihn nicht nur hoch in die Luft, sondern auch zum Zirkus.

Die Fliegerei hat Daniel Muff nicht komplett hinter sich gelassen. Fünfzehn Jahre nach seinem Austritt bei der Swiss lassen Erinnerungsstücke in seinem Büro immer noch Nostalgie aufkommen und vergangene Swissair- und Crossair-Tage aufleben.

Etwa ein metallenes Crossair-Namensschild mit Muffs eingestanztem Namen und dem Titel «Chief Quality Control Flight Attendant» oder eine Miniaturdampfmaschine, die ein Karussell mit Fliegern antreibt. Ein Kunstwerk, das ihm eine Unternehmensberaterin als Erinnerung an das Projekt zur Zusammenführung der Crossair und Swissair geschenkt hat.

Daneben prangt an Muffs Bürowand das Aquarell eines Karikaturisten, das einen Wolfsrudel darstellt. Entstanden ist es an einem Geschäftsleitungsworkshop: kurz nach dem Swiss­air-Grounding im Herbst 2001, als Daniel Muff zwei unterschiedlichste Firmenkulturen zusammenführen soll. Aber der Reihe nach.

Harziger Berufsstart

Daniel Muffs Berufsbahn beginnt mit einer Lebenskrise, als der frischgebackene Lehrer 1985 sein Diplom abschliesst und auf eine Lehrerlaufbahn hofft. Der Schweizer Kantönligeist macht ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung: «Die Zürcher wollten keinen Lehrer mit einem Zuger Diplom und die Zuger wollten keinen Zürcher anstellen. Auch die Aargauer waren skeptisch.» Aufs Arbeitslosenamt zu gehen kommt für ihn jedoch nicht in Frage.

Doch dann zeigt sich ein Hoffnungsschimmer: Die Schweizer Fluggesellschaft Swissair sucht Flugbegleiter für Temporäreinsätze, sogenannte Seasonal Flight Attendants. Muff wird angeheuert und durchläuft eine «Schnellbleiche» von zwei Wochen. Dann darf er mitfliegen. Eine Verlegenheitslösung, die ihm aber viel Spass bereitet.

Vier Monate nach seinem Amtsantritt bei der Swissair erhält er einen Hinweis auf eine offene Lehrerstelle beim Zirkus Nock. Obschon er «überhaupt kein Zirkusfan» ist, bewirbt sich Muff und bekommt den Job. Fortan unterrichtet er während der Zirkustournee sechs bis neun Schülerinnen und Schüler aller Altersklassen.

Statt Einzellektionen zu erteilen, etabliert er eine Gesamtschule mit Einzel- und Gemeinschaftsunterricht. Um die Übersicht zu behalten, welches Kind welche Stunden zu absolvieren hat, behilft er sich mit A3-Blättern. Noch sind die Zeiten des World Wide Web, von Word, Excel oder Outlook weit weg.

Mit dem Zirkus auf Tournee

Ganz einfach ist seine neue Aufgabe nicht, denn der Unterricht findet auch unter widrigen Umständen statt. Etwa bei Temperaturen von Minus zwanzig Grad, wenn die Heizung ausfällt, weil eine Sicherung durchgebrannt ist.

Die Kinder, die «materiell zwar sehr verwöhnt sind, aber wenig offene Ohren in ihrem Umfeld haben», wachsen ihm schnell ans Herz. Deshalb hört Daniel Muff ihnen gut zu. Ganz besonders an jenen Tagen, an denen die Zirkus-Crew zum neuen Standort aufbricht und sich die Kinder vor Aufregung nicht konzentrieren können. Statt Mathe zu büffeln, animiert Muff sie, über das zu sprechen, was sie beschäftigt. Das Zirkusleben schweisst die kleine Gemeinschaft zusammen. «Wir waren eine eingeschworene Truppe.»

Er ist stolz auf die Kinder und sie sind stolz auf ihn. Wer hat schon einen Lehrer, der Lkw-fahren, einen Zirkusanhänger steuern und in der Badi vom Drei-Meter-Brett einen Salto rückwärts machen kann? Nicht nur zwischenmenschliche, auch schulische Erfolge lassen sich feiern – die Kinder verbessern ihre Schulleistungen innerhalb eines Jahres um eine halbe Note.

Nach zwei Tourneen ist jedoch Schluss, denn Muffs Vorstellung, wie eine Zirkusschule zu führen ist, stösst auf Widerstand. Die anhaltende Kritik der Familie bewegt Muff, sich zu verändern. Als der Zirkus Nock 1987 in Zürich erneut auf der Sechseläutenwiese gastiert, ruft Muff bei der Swissair an und bittet um eine Festanstellung.

Der Traum vom Fliegen

Sein Wunsch wird erhört. Zunächst als Flight-Attendant auf Kurzstrecken engagiert, avanciert er 1990 zum Kurzstrecken-Kabinenchef, legt die Berufsbildung zum Flight-Attendant ab und macht eine Ausbildung zum Maître de Cabine.

Nebst seiner Flugtätigkeit schult er das Kabinenpersonal von Swissair sowie das Personal von Drittfirmen. Beispielsweise in Sachen Transaktionsanalyse. Daneben gibt Muff Catering- und Hygienekurse und reist von Südafrika über China nach Nordamerika.

Anfang 1996 entscheidet sich Daniel Muff, zur kleineren Crossair zu wechseln, als er während eines Swissair-Flugs einen Kollegen in der Küche des Jumbos entdeckt, der vor Erschöpfung beinahe kollabiert war. Ein Weckruf. «So wollte ich nicht enden», sagt Muff. Seine Absicht von der stolzen Swissair zur kleineren Crossair zu gehen, bleibt nicht unkommentiert: «Was, du willst zum Moritz Suter? Der nützt dich nur aus!»

Nächtliches Bewerbungsgespräch

Das Bewerbungsgespräch findet mitten in der Nacht statt. Um 23 Uhr an einem Crossair-Firmenanlass für neueintretende Stewardessen in Basel. Ein Aufwand, der sich für Daniel Muff lohnt, denn er wird angestellt und zum Chief Quality Control Flight Attendant ernannt.

Damit ist er vorerst für die Einführung und das Aussehen der Crossair-Stewardessen verantwortlich und lernt  in dieser Funktion alles übers Schminken. «Wenn auch mehr schlecht als recht», schmunzelt er. Ausserdem führt Muff acht Mitarbeitende, leitet Workshops und ist für die Kabinenprozesse zuständig – vom Onboarding neuer Flight-Attendants zur Flugzeugbeladung bis zur Gastronomie.

Als sich im Jahr 2001 personelle Wechsel in der Führungsriege abzeichnen, ist Daniel Muff für den nächsten Karriereschritt bereit: nämlich für die Position als Bodenpersonalchef. Eine Aufgabe, die ihn reizt, denn dort kann er «alles neu aufbauen».

Die Kultur der Crossair – «einfach machen und nicht hundertmal überlegen» – ist dabei förderlich. Muff krempelt die Ärmel hoch und organisiert zunächst einen Sozialdienst. Er hat noch viele weitere Pläne zum Umbau des HR, doch das Grounding der Swissair durchkreuzt seine Absichten. «Ich erinnere mich noch an einen Tag nach dem Grounding, als unser CEO André Dosé ankündigte, dass das Crossair-Management das Swissair-Management übernimmt.» Diese Nachricht habe ihn und alle Crossair-Mitarbeitenden zutiefst erschüttert.

Mit dem Untergang der Swissair ändern sich Muffs Zukunftsperspektiven. Sein Job ist weg. Statt des HR der neu gegründeten Swiss International Airlines leitet er den Bereich «Training and Development» und verantwortet die Zusammenführung grundverschiedener Unternehmenskulturen.

Doch wie vereint man die Crossair- mit der Swissair-Kultur? Etwa, In dem man der Geschäftsleitung Fragen stellt: Wenn dir die Crossair oder die Swissair als Tier entgegenkommt, welches ist das? Die jeweiligen Antworten wurden von einem Karikaturisten aufgezeichnet. So sei auch das Aquarell, das an seiner Bürowand hängt, entstanden: die Crossair als soziales Wolfsrudel mit einer klaren Hierarchie.

Auch den Piloten und den Kabinenmitarbeitenden stellt Muff Fragen und gestaltet zusammen mit einer Beraterin einen «Zusammenführungsworkshop» der Crossair- und Swissair-Mitarbeitenden. Als André Dosé sein Kulturprojekt 2002 stoppt, nimmt Daniel Muff dies zum Anlass, sich neu zu orientieren.

Mit neuer Leidenschaft bei der Sache

Ein Neustart ergibt sich bei der heutigen Swisslos, wo er die HR-Leitung übernimmt. Schon bald sieht sich Daniel  Muff erneut mit Kulturthemen konfrontiert, als die Sport Toto Gesellschaft in die Swisslos integriert wird. Keine einfache Situation, aber einfacher als jene bei der Crossair. «Es gab ein paar schwierige Gespräche mit Entlassungen.» Im Oktober 2006 folgt mit einem neuen Direktor ein einschneidender Führungswechsel: Der frühere Marketing-Leiter übernimmt den Posten des in Pension gehenden Direktors.

Damit zeichnet sich Anfang 2014 nach acht Jahren ein neuer Richtungswechsel für Daniel Muff ab, denn die beiden haben «das Heu nicht auf derselben Bühne.» Der mittlerweile 54-Jährige kommt zur Railcare, einem Unternehmen, das 2010 an Coop verkauft worden war. Dort trifft er auf einen CEO, «der Feuer und Flamme für seine Sache ist.»

Sein direkter Vorgesetzter ist gerade mal ­­30 Jahre alt. Ein Kulturwechsel in mehrfacher Hinsicht. Trotzdem fühlt sich Muff in seiner Personalcheffunktion «wohlbehütet», denn im Management findet er Gehör. Zudem vermittle Coop menschliche Werte. «Der Detailhändler bezahlt zwar keine Spitzenlöhne, aber er schaut zu seinen Mitarbeitenden.» Werte, die auch bei Swissair und Crossair gelebt wurden. Damit kann sich ­Daniel Muff identifizieren.

Zur Person

Daniel Muff (58) wächst mit drei Geschwistern in Affoltern am Albis auf. In Zug absolviert er die Handelsschule und arbeitet bei einer Werbeagentur in Zürich, bevor er in ins Zuger Lehrerseminar eintritt.

Nach dessen Abschluss arbeitet er bei der Swissair temporär als Flight-Attendant und tritt eine Lehrerstelle beim Zirkus Nock an. Unterschiedliche Auffassungen zur Lehrertätigkeit bewegen ihn, den Zirkus Nock zu verlassen und sich bei der Swissair festanstellen zu lassen.

1990 wird er zum Kabinenchef Kurzstreckenflüge und 1994 zum Maître de Cabine befördert. In derselben Zeit absolviert er verschiedene interne Aus- und Weiterbildungen. Knapp 36-jährig wechselt Muff 1996 zur Crossair, wo er die Organisationsentwicklung der «Kabine» sowie das Onboarding neuer Cabin Attendants verantwortet.

Kurz vor dem Swissair-Grounding wird Daniel Muff zum Human Resources Manager Ground Staff ernannt und ist damit für 600 Crossair-Mitarbeitende verantwortlich. Ab 2002 verantwortet er bei der neugegründeten Swiss International Airlines das Training und Development und beschäftigt sich mit der Zusammenführung der Swissair- und Crossair-Kulturen.

2003 wechselt der 43-Jährige zur Swisslos – der interkantonalen Landeslotterie, wo er elf Jahre tätig ist, bevor er 2014 HR-Leiter bei der Coop-Tochtergesellschaft Railcare wird. Er lebt in Basel und singt in seiner Freizeit als Tenor in zwei Chören. Ab und zu geniesst er die Ruhe in seiner Jagdhütte im Jura.

Railcare

Das 2010 gegründete Transportunternehmen Railcare ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Coop und befördert mit eigenen Zügen und Lastwagen Güter des täglichen Bedarfs quer durch die Schweiz. 2017 hat Railcare 243 548 mal Güter vom Lkw auf den Zug und umgekehrt umgeladen. Das Unternehmen mit Sitz in Härkingen beschäftigt 315 Mitarbeitende an 11 Standorten.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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