NR Today Nr. 1&2: Porträt

Der Tausendsassa

Thorsten Scherf arbeitet als Eventmanager, bevor er sich beruflich neu ausrichtet und Psychologie studiert. Während seines Doktorats an der ETH Zürich beschäftigt er sich mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement und gelangt über eine Anstellung bei Johnson & Johnson ins HR. Heute ist der 44-jährige HR-Leiter Schweiz beim israelischen Pharmaunternehmen Teva.

«Mir war manchmal ganz schwindlig, bei welchen Firmen ich überall im Handelsregister eingetragen war», sagt HR-Länderchef Thorsten Scherf befragt nach einem Resümee seiner Startphase beim israelischen Pharmaunternehmen Teva Pharmaceutical, zu dem unter anderem auch die Schweizerische Mepha gehört.

Der Mann ist sich gewohnt, gleichzeitig viele Bälle in der Luft zu halten: So sitzt Scherf in Basel in der Geschäftsleitung der Mepha sowie in der erweiterten Geschäftsleitung der Teva Pharmaceuticals International GmbH (TPIG), einem Tochterunternehmen von Teva Europe mit Sitz in der Schweiz, wo er seine HR-Anliegen direkt einbringt.

Gleichzeitig stimmt er sich mit PGT, einem Joint-Venture mit Procter & Gamble ab, koordiniert seine Arbeit Teva-übergreifend mit anderen Ländern, wirkt bei insgesamt sieben schweizerischen Gesellschaften mit und rapportiert dabei mitunter nach Frankreich. Zwei bis drei Tage in der Woche arbeitet der 44-jährige an den Standorten in Jona und Basel und pendelt häufig nach Genf oder Lugano.

Als er im September 2016 zu Teva stösst, ist der HR-Leitungsposten verwaist. «Die ehemalige HR-Leiterin hatte das Unternehmen bereits verlassen.» Im Zuge eines Firmenaufkaufs habe eine Ad-Interim-HR-Consultantin die wichtigsten HR-Belange geregelt. Keine idealen Voraussetzungen für einen Start als HR-Leiter: «Ich sass am Standort der TPIG in einem Büro mit einer HR-Managerin und einer Payroll-Spezialistin der aufgekauften Unternehmung, welche die Teva ebenfalls nicht kannten.» Nach anderthalb Jahren im Amt ist das HR-Team inzwischen komplett und bewusst divers aufgestellt: «Jeder Mitarbeitende hat andere Stärken», sagt Scherf.

Thorsten Scherf im Video-Porträt

Während seines Zivildienstes in einer Drogenklinik kommt Thorsten Scherf auf die Idee, Wirtschaftspsychologie zu studieren. Mit 26 Jahren findet er so den Weg vom Eventmanagement an die Uni. Heute ist der 44-jährige HR-Leiter Schweiz beim israelischen Pharmaunternehmen Teva. Zum Video-Porträt

Verschlungener HR-Karrierepfad

Mit dem neuen Teva-HR-Team will Thorsten Scherf HR-Service-Standards definieren, die für alle vier Schweizer Teva-Standorte Gültigkeit haben, denn die Auswirkungen der Firmenaufkäufe sind noch deutlich zu spüren. Unterschiedliche Personalreglemente sollen schweizweit vereinheitlicht, die Arbeitsverträge angepasst sowie ein Zeiterfassungssystem eingeführt werden. Daneben beschäftigen Scherf spezifische HR-Projekte einzelner Gesellschaften wie etwa die Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements bei der Mepha.

Hört man Scherf zu, wundert man sich, wie er diese Komplexität meistert und seine zahlreichen Verpflichtungen unter einen Hut bringt. Doch damit kennt Thorsten Scherf sich aus. Schon zu seiner Studienzeit in Bielefeld gründet er 1998 zusammen mit Kollegen eine studentische Unternehmensberatung, um sein theoretisches Wissen in der Praxis zu erproben. Erste Auftraggeber sind Bertelsmann sowie die Universität. Viel verdient habe er nicht: «Es war ein  Nullsummenspiel». Dennoch engagiert er sich mit Begeisterung. «Wir haben gelernt, wie man eine Firma aufbaut und Marketing macht.» Um überhaupt Geld zu verdienen, richtete das zehnköpfige Team Uni-Parties aus.

Dabei bleibt es jedoch nicht. Als Vormund betreut Scherf zeitgleich fünfzehn Schwerstbehinderte, und übernimmt die Verantwortung für deren Gesundheit, Beherbergung und Finanzen. Daneben gibt er aus Geldnot Powerpoint-Kurse in einem Spital in Münster und arbeitet als Tutor am Lehrstuhl für psychologische Methodenlehre. Zeitmangel kennt er trotzdem nicht, und erlangt nebenbei den schwarzen Gürtel im Karate. «Dafür habe ich zwei Monate lang etwas weniger studiert.»

Den Weg zur Universität und zum Wirtschaftspsychologiestudium findet Thorsten Scherf erst mit 26 Jahren. Zunächst absolviert eine kaufmännische Lehre bei Thyssengas und ist danach bei dem Erdgasunternehmen im Eventmanagement tätig. Weil dessen Konzessionen auslaufen und für weitere dreissig Jahre verhandelt werden, organisiert Scherf für die Erdgas-Kundschaft allerlei «High-End-Events».

Ob Stadtwerksleiter, Verwaltungsräte oder Politiker: Er führt sie in Paris durch den Louvre, zum Kart-Rennen mit Ralf Schumacher oder zur Eröffnung des Adlon-Hotels nach Berlin. Ohne seinen damaligen Chef wäre Scherf wohl nicht im HR gelandet. «Er hat mir zu verstehen gegeben, dass er es bedaure, wenn ich im Eventmanagement versaure, weil ich mich in dieser Funktion parallel nicht weiterbilden könne.» – Was nun?

Glückliche Hand

Während des Zivildienstes arbeitet Scherf in einer Drogenklinik und tauscht sich mit den Psychotherapeuten aus, die er «die Coolsten» findet. Der Bruder des Klinikleiters bringt ihn darauf, Wirtschaftspsychologie zu studieren. «Ich wollte verstehen, wie man Menschen dazu bringt, ihr Verhalten langfristig zu verändern und wie sich eine Person in einem Firmenumfeld entwickeln kann.»

Das Psychologie-Studium erweist sich als glückliche Wahl: Nach Praktika bei Kienbaum und an der Michigan State University schliesst er im Oktober 2003 seinen Master ab und bewirbt sich bei der ETH Zürich um ein Doktorat im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement. Aspekte, die Arbeitnehmende gesund halten wie die Verstehbarkeit, Handhabbarkeit sowie die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit entwickeln sich zu seinem Forschungsschwerpunkt. Nebst der Forschungsarbeit an der ETH Zürich zum Projekt «Arbeit und Gesundheit in der Flugzeugindustrie» hält ihn eine Coachingausbildung in Bielefeld auf Trab, die er im April 2004 beendet und dafür ein halbes Jahr zwischen beiden Städten pendelt. Die Zeit an der ETH ist hart. Für die vielen Arbeitsstunden entschädigen ihn jedoch «der Wohnsitz in Zürich sowie der See und die vielen mitleidenden Doktoranden.»

Thorsten Scherf verteidigt seine Doktorthese im Juni 2006 mit Bravour und sitzt vier Stunden nach Prüfungsabnahme im Flugzeug nach Brüssel, um seinen Job bei Johnson & Johnson wieder aufzunehmen, den er ein halbes Jahr zuvor beinahe über Nacht erhalten hatte.

Das kam so: Im September 2005 besucht er als Doktorand ein «Karrieresprungbrett-Event» in Schaffhausen und knüpft Kontakt zum Personalleiter des Pharmaunternehmens Cilag, das zu Johnson & Johnson gehört. Dieser zeigt sich an Scherfs ETH-Gesundheitsprojekt interessiert. Ein bevorstehender «Headcount Freeze» bei Johnson & Johnson beschleunigt den Anstellungsprozess. Knapp eine Woche nach seinem Vorstellungsgespräch tritt Scherf Mitte Dezember 2005 eine Personalentwicklerfunktion an. – Ein fulminanter Start: «Am Freitag hatte ich meinen Job als Hilfskraft an der Universität an den Nagel gehängt. Am Montag war ich Manager Training and Development bei einer Pharma-Firma.»

Zur Person

Thorsten Scherf (44) wächst in Duisburg als Sohn eines Schifffahrtsbedarfs-Unternehmers auf. Dort besucht er das Gymnasium und leistet nach dem Abitur Zivildienst in einem Therapiezentrum. 1994 beginnt er bei Thyssengas eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Es folgt 1997 eine Anstellung im Eventbereich, bevor er sich 1998 an der Universität Bielefeld für ein Masterstudium in Psychologie einschreibt. Sein Doktorat legt er 2006 im Betrieblichen Gesundheitsmanagement an der ETH Zürich ab, wobei  er seit Dezember 2005 bei Johnson & Johnson als Personalentwickler arbeitet. Vier Jahre später wechselt er zur Kalaidos Fachhochschule und übernimmt  die Leitung des Instituts für Leadership und HR. 2013 kehrt er bei Sunrise zurück in die Personal- und Organisationsentwicklung und baut die firmeninternen Angebote in diesen Bereichen aus. Im Herbst 2016 wird er 43-jährig HR-Leiter Schweiz beim israelischen Pharma-Unternehmen Teva.

Vom HR-Strategen zum HR-Manager

In den folgenden vier Jahren baut Scherf bei Cilag in Schaffhausen das Gesundheitsmanagement für die Schweiz sowie das Universitäts-Recruiting auf und beschäftigt sich mit der Reintegration von Burnout-Erkrankten. Eine Tätigkeit, die ihn befriedigt. Mit dem operativen HR hat er allerdings noch wenig zu tun. Das bewegt ihn, seine Stelle aufzuteilen und während eines Jahres zu 50 Prozent als HR-Manager zu arbeiten, um  über den gesamten Angestellten-Zyklus hinweg generalistische HR-Erfahrungen zu sammeln.

Der Wechsel zum nächsten beruflichen Schauplatz ergibt sich fast von selbst: Scherf wird aufgrund einer Anfrage des Rektors der Kalaidos-Fachhochschule vom Kunden zum stellvertretenden Leiter des Weiterbildungsanbieters sowie des Fachhochschulinstituts für Leadership und HR. Dabei übernimmt er auch die Verantwortung für die MAS-, DAS- und CAS-Lehrgänge. Noch während der Probezeit wird er zum Institutsleiter ad interim befördert, weil seine Chefin schwer erkrankt. «Das war kurios», erinnert sich Scherf. «In der Probezeit hat man noch keinen Zugang zu Passwörtern, Personaldossiers, Kalkulationen oder Budgets. Ausserdem kannte mich das Team noch nicht. Ich musste Vertrauen aufbauen und mich sehr schnell einarbeiten.» Er übernimmt die Gesamtleitung und entwickelt Studiengänge im Bereich HR, Personalentwicklung, Leadership, Change Management sowie Bildungsangebote für Firmen und erhält die Professur. Daneben betreut Scherf 70 nebenberufliche Trainer, stellt Arbeitsverträge aus, wickelt mit der Buchhaltung die Payroll ab, erstellt Bonusberechnungen, führt Urlaubsbesprechungen, schreibt Zeugnisse, stellt Kündigungen aus, reorganisiert das Institut und unterrichtet. «Ich war Institutsleiter und HR-Manager in Personalunion». Nach drei Jahren werden die Aufgaben zur Routine. Ausserdem ist das Institut inzwischen in der Fachhochschule eingegliedert und das HR zentralisiert. Eine Veränderung zeichnet sich ab.

Den erhofften Wechsel bringt ein Lunch mit dem Personalentwicklungsleiter von Sunrise, der ankündigt, dass er sich selbständig machen will. Scherf nutzt die Gelegenheit und bewirbt sich um die frei gewordene Stelle. Am Tag des Bewerbungsgesprächs im September 2012 kommt seine Tochter zur Welt. Zwischen Geburt und Jobinterview liegen mehrere Spitalbesuche und eine schlaflose Nacht. Auch der Stellenantritt im Dezember 2012 erfolgt reichlich turbulent: An seinem ersten Arbeitstag wird der CEO abgesetzt.

Nicht weniger anstrengend gestalten sich die drei folgenden Jahre beim Telekom-Unternehmen. Die andauernden Umstrukturierungen, die Hektik und die damit einhergehende unruhige Arbeitsatmosphäre werden Scherf allmählich zuviel: «Ich wurde angespannter und unzufriedener», reflektiert er selbstkritisch. «Ich musste einen anderen Job finden.» Weil 2016 auf dem Arbeitsmarkt keine Personalentwickler-Stellen zu finden sind, die ihn reizen, strebt er einen HR-Gesamtleitungsposten an. Fündig wird er wiederum im Pharma-Umfeld bei der israelischen Teva, wo es ihm aufgrund des anstehenden Sparprogramms nicht langweilig werden dürfte.

Teva

Zur Teva gehören in der Schweiz die Firmen Mepha, Tpig, Plus Chemicals sowie das Joint Venture mit Procter & Gamble, PGT. Teva beschäftigt hierzulande rund 400 Mitarbeitende. Weltweit ist das Unternehmen in der Generikasparte führend und gehört zu den Top-15-Pharmafirmen. Mitte Dezember 2017 hat Teva die Entlassung eines Viertels der weltweit 14 000 tätigen Mitarbeitenden sowie ein drastisches Sparprogramm angekündigt.

Teva streicht weltweit 14 000 Stellen

Ende November 2017 erklärte der weltgrösste Generika-Hersteller Teva, er es sei zu umgehenden und umfassenden Schritten entschlossen, um seine finanzielle Lage zu stabilisieren. Mitte Dezember 2017 teilte Teva mit, weltweit 14 000 Stellen streichen zu wollen. Weltweit hat das israelische Pharmaunternehmen nach eigenen Angaben rund 53 000 Mitarbeiter, damit ist jede vierte Stelle von den Kürzungen betroffen. Teva steht schon länger wegen des zunehmenden Preisverfalls und anhaltender Absatzeinbussen in den USA unter Druck. (Quelle: sda, reu)

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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