Der Mensch als wichtigstes Kapital
Resiliente Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Krisen nicht nur überstehen, sondern gestärkt daraus hervorgehen, was ihnen Wettbewerbsvorteile verschafft. Die Obwaldner Kantonalbank (OKB) ist ein solches Unternehmen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten stärkt die Bank ihre organisationale Resilienz durch wertebasierte Führung und rückt dabei den Menschen in den Fokus. Was einst als «Gschpürschmi»-Kultur belächelt wurde, ist heute Standard.
Am Strategie-Kickoff werden alle Mitarbeitenden symbolisch eingeklinkt – mit einem Karabiner an einem 250 Meter langen Seil. (Bild: zVg)
Am Abend des 21. August 2005 steigt das Hochwasser schnell an. Am nächsten Tag ist der Dorfkern von Sarnen überschwemmt – einschliesslich des Hauptsitzes der Obwaldner Kantonalbank (OKB). Die Untergeschosse und der Schalterbereich stehen unter Wasser. Die Bilder von Mitarbeitenden, wie sie in Gummistiefeln Wasser aus der Filiale schaufelten, haben sich im kollektiven Gedächtnis der Bank verankert. «Das Hochwasser war eine Riesenherausforderung», sagt Christoph Amstad, Leiter Personal und Entwicklung. «Die Krise war jedoch zugleich ein Beweis für die Einsatzbereitschaft und das Commitment unserer Mitarbeitenden, das ‹Midänand› bei der OKB.»
Dieses Beispiel veranschaulicht, was organisationale Resilienz in der Praxis bedeutet: die Fähigkeit einer Organisation, Krisen zu meistern und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Für die OKB mit ihren rund 220 Mitarbeitenden und sieben Filialen war das Jahrhunderthochwasser 2005 ein klarer Beweis ihrer Resilienz, die seitdem bewusst gefördert wird.
BGM als tragende Säule
Drei Säulen, auf denen die organisationale Resilienz bei der OKB ruht, sind das Risikomanagement, das Business Continuity Management sowie eine werteorientierte Unternehmenskultur – alles essenzielle Bestandteile, um den Betrieb auch in Krisenzeiten, wie etwa der jüngsten Corona-Pandemie, aufrechterhalten zu können. Der vierte und wichtigste Pfeiler der organisationalen Resilienz sei jedoch das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM). «Ohne ein funktionierendes BGM wäre es unmöglich, als Organisation mit Krisen umzugehen oder auf Veränderungen in einer BANI-Welt zu reagieren», erklärt Christoph Amstad. BANI steht für brittle (brüchig), anxious (ängstlich), non-linear (nicht-linear) und incomprehensible (unbegreiflich) – das Akronym ist dabei, VUCA als Begriff für eine herausfordernde Umwelt abzulösen. Denn das BGM fokussiere auf den Menschen. «Auf der einen Seite ist der Mensch ein Risiko, da Fehler passieren können, was im Risikomanagement berücksichtigt wird. Andererseits ist der Mensch unser grösstes Kapital – eine Fachkraft mit unersetzlichem, wertvollem Wissen. Dieses Wissen kann durch Fluktuation verloren gehen, wenn Menschen aufgrund mangelnder Bindung das Unternehmen verlassen. Hier spielen BGM und Unternehmenskultur – beide von enormer Bedeutung – eine zentrale Rolle für die organisationale Resilienz.»
Bei der OKB sei das BGM ein ganzheitliches Konzept, das über «gratis Pausenäpfel und den Sportraum» hinausgehe, unterstreicht Christoph Amstad. Es beginnt mit der Wertschätzung der Mitarbeitenden und beinhaltet die richtige Personalauswahl. Während des Rekrutierungsprozesses werden die Unternehmenswerte mit den Bewerberinnen und Bewerbern besprochen. «Es ist ein gegenseitiger Prozess, bei dem geprüft wird, ob wir zusammenpassen», erklärt Christoph Amstad. «Es ist uns wichtig, dass die Menschen, die bei uns arbeiten, authentisch sein dürfen und keine soziale Maske tragen müssen.»
Unternehmenswerte bilden die Basis
Die Unternehmenswerte der OKB – verlässlich, engagiert, «midänand», authentisch und nachhaltig – sind das Rückgrat der auf Vertrauen basierten Unternehmenskultur und bilden die Basis fürs BGM, das sowohl auf präventiver Ebene als auch im Alltag die Mitarbeitenden unterstützt. «Wir missionieren aber nicht», sagt Christoph Amstad. «So bieten wir zwar Informationsvideos zu ausgewogener Ernährung an. Das bedeutet jedoch nicht, dass man in der Cafeteria keine Süssigkeiten mehr essen darf.» Es gehe darum, zum Nachdenken anzuregen.
Das BGM greife auch viele andere Bereiche auf, wie etwa die generationenübergreifende Zusammenarbeit. «Bei uns arbeiten tagtäglich vier Generationen zusammen. Bisher gab es keine Konflikte, im Gegenteil: Wir haben festgestellt, dass wir viel voneinander lernen können», berichtet Christoph Amstad. Entsprechend wurden Formate wie das «Digi-Café» ins Leben gerufen, bei dem die jüngste Generation den älteren Kolleginnen und Kollegen in einer ungezwungenen Atmosphäre digitale Tools nahebringt. In einem anderen Gefäss, dem Kamingespräch, teilen erfahrene Mitarbeitende ihre Laufbahnerfahrungen mit den jüngeren. Durch diese Vernetzung der Generationen wird die «Midänand»-Kultur im Alltag gelebt, was die Mitarbeitenden und damit die Organisation als Ganzes stärkt.
Am Basecamp setzen sich die Mitarbeitenden der OKB intensiv und spielerisch mit den fünf Unternehmenswerten auseinander. (Bild: zVg)
Den Menschen ins Zentrum stellen
Als Vorreiter der wertebasierten Unternehmensführung erkannte die OKB schon vor zwei Jahrzehnten, wie wichtig es ist, den Menschen ins Zentrum zu stellen. «Geld ist unser Kerngeschäft, aber die Mitarbeitenden sind unser wichtigstes Kapital», sagt Christoph Amstad. «Wenn unsere Leute mit Freude arbeiten, sind wir automatisch erfolgreicher.» Das Hauptinvestment sei daher in die Mitarbeitenden gerichtet. Gesundheitstrainings und Kurse, die heute Standard sind, waren damals noch ungewöhnlich. «Ein solches Investment war zwar nicht immer einfach zu begründen, denn die Resultate daraus brauchen Zeit.»
Die Resilienz des Unternehmens manifestiert sich in Kennzahlen wie zum Beispiel Fluktuation oder wie lange es braucht, eine offene Stelle zu besetzen. «Wir messen verschiedene KPIs und prüfen regelmässig das Engagement und die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden, auch im Vergleich zu anderen Banken und KMUs», sagt Christoph Amstad. Die Absenzen seien ebenfalls ein wichtiger Indikator. «Es ist uns wichtig, eine leistungsorientierte, aber gesunde Kultur zu pflegen, in der Menschen gefordert und nicht überfordert sind.» Nachhaltigkeit in der Personalpolitik sei ein zentrales Anliegen. Wenn Mitarbeitende Teilzeit arbeiten möchten, etwa aus familiären Gründen, werde flexibel nach Lösungen gesucht. «Wir verfolgen eine ‹Win-Win-Win›-Philosophie: Es muss einen Gewinn für unsere Kundinnen und Kunden, unsere Mitarbeitenden und letztendlich die OKB selbst geben. Wenn diese drei im Einklang stehen, sind wir erfolgreich», erläutert Christoph Amstad.
Natürlich gebe es auch Herausforderungen, etwa die Vielfalt der Mitarbeitenden zu berücksichtigen und individuelle Lösungen anzubieten, die auf ihre Bedürfnisse und Lebenssituationen eingehen. Auch sei die Messung und Bewertung der Wirksamkeit von BGM entscheidend, um sicherzustellen, dass die investierten Ressourcen einen Mehrwert für die Mitarbeitenden und die Organisation schaffen. Dies erfordere klare Ziele, Leistungskennzahlen und Evaluationsverfahren, um den Erfolg und die Wirksamkeit von BGM zu überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen, sagt Christoph Amstad.
Label «Friendly Work Space»: Der Weg ist das Ziel
Seit 2023 ist die OKB mit dem Label «Friendly Work Space» von Gesundheitsförderung Schweiz (GFS) ausgezeichnet. «Das Qualitätslabel ist ein schöner Nebeneffekt und bestätigt die Praxistauglichkeit unseres BGM-Konzepts», sagt Christoph Amstad. «Doch nicht das Label selbst ist für uns ausschlaggebend, sondern für uns ist der Weg das Ziel. Wichtig ist, dass wir extern überprüft werden und wir dabei sehen, was andere besser machen und was wir von ihnen lernen können, um mögliche blinde Flecken aufzudecken. Da hilft es natürlich, wenn externe Expertinnen und Experten, die von Gesundheitsförderung Schweiz akkreditiert wurden, in unseren Betrieb kommen und uns Rückmeldung geben, was wir bereits sehr gut machen und wo wir noch Potenzial haben. Die Treffen exklusiv für die Label-Community ermöglichen uns einen Austausch mit Gleichgesinnten und mit der Teilnahme an Label-Kampagnen erhalten wir eine nationale Sichtbarkeit.»
Doch sollte man sich trotz des Labels nicht zufrieden zurücklehnen, sondern sich im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses weiterentwickeln, so Christoph Amstad: «Auf diese Weise wird eine Organisation laufend auf Schwachstellen überprüft und gestärkt. Das ist überlebenswichtig. Zumal die nächste Krise – besonders in unserer heutigen BANI-Welt – bestimmt kommt. Genauso wie die Experten von Gesundheitsförderung Schweiz, die alle drei Jahre ein Reassessment durchführen, damit wir das Label ‹Friendly Work Space› auch in Zukunft zum Beispiel fürs Employer-Branding nutzen können.»