VBZ stärken die Resilienz im Fahrdienst
Die Verkehrsbetriebe Zürich unterstützen ihr Fahrdienstpersonal mit einem zielgruppenspezifischen Resilienztraining im Umgang mit anspruchsvollen Situationen im Stadtverkehr. Geschult wurden 1584 Fahrdienstmitarbeitende.
«Dank der guten Methodik holden wir auch diejenigen ab, die praktische Weiterbildungen bevorzugen oder solche Kurse normalerweise als ‹Gspürsch mi, fühlsch mi› sehen.»: Ronny Zimmermann, Leiter Betrieb Ausbildung der Verkehrsbetriebe Zürich. (Bild: Daniel Thüler)
Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) sind seit 2016 mit dem Label «Friendly Work Space» von Gesundheitsförderung Schweiz ausgezeichnet. «Die Labelkriterien dienen uns im BGM als Leitplanken, an denen wir uns immer wieder orientieren, ob wir mit unserem Programm auf dem richtigen Weg sind», sagt Susanne Kanzler, Fachspezialistin für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) bei den VBZ. «Zudem helfen die regelmässigen Assessments, sich zu bestimmten Themen mit Profis mit Blick von aussen vertieft auseinander zu setzen und die richtigen Schwerpunkte zu setzen.»
Integriert in die Fahrdienstweiterbildung
In den vergangenen Monaten haben die VBZ gestaffelt ein halbtägiges Resilienztraining für ihre 1584 Mitarbeitenden mit Fahrqualifikation durchgeführt. «Das Training war Teil unserer jährlichen Fahrdienstweiterbildung», wie Susanne Kanzler erläutert. «Obwohl die regelmässige Fahrdienstweiterbildung nur für Busfahrerinnen und Busfahrer gesetzlich vorgeschrieben ist, ist es den VBZ ein grosses Anliegen, immer auch die Trampilotinnen und Trampiloten einzubeziehen.» Sie betont, dass im Rahmen der Fahrdienstweiterbildungen immer wieder BGM-Themen behandelt würden: «In den letzten Jahren konzentrierten wir uns auf Aspekte wie Ergonomie und Rückengesundheit, Gewaltprävention sowie Freizeitgestaltung und Schichtarbeit. Diesmal haben wir uns für Resilienz entschieden, da eine Mitarbeitendenbefragung der Stadt Zürich ergab, dass die Themen Erschöpfung und psychische Gesundheit stark an Stellenwert zugelegt haben.»
Dass im öffentlichen Verkehr ein grosser Belastungsdruck besteht, verwundert kaum, denn das Fahrdienstpersonal erlebt tagtäglich herausfordernde Situationen. «Es ist mit dem Verhalten und den Reaktionen der Kundschaft und der Verkehrsteilnehmenden konfrontiert, wie zum Beispiel abgelenkte Fussgängerinnen und Fussgänger am Handy», erklärt Ronny Zimmermann, Leiter Betrieb Ausbildung bei den VBZ. «Ebenso ist es fix ans Cockpit von Tram oder Bus gebunden, zudem kann es den Zeitplan nicht selbst steuern, da dieser vom Fahrplan bestimmt wird.» Hinzu komme, dass das Verkehrssystem in der Stadt Zürich immer komplexer und engräumiger werde und dass der Verkehr heute generell einer anderen Wahrnehmung unterliege als noch vor ein paar Jahren. Viele dieser Belastungsfaktoren seien gegeben und liessen sich kaum oder nicht verändern, obwohl die VBZ viel in diesen Bereich investieren. «Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir unsere Fahrerinnen und Fahrer auf der physischen und mentalen Ebene unterstützen und stärken», sagt er. «Das Resilienztraining erlaubt es uns, Präventionsarbeit zu leisten, dem Personal praktikable Werkzeuge für den Alltag in die Hände zu geben und die Eigenverantwortung zu stärken.»
Kein Kurs ab Stange
Entwickelt wurde das Resilienztraining zusammen mit der Beratungsfirma Conaptis GmbH. «Es ist kein Kurs ab Stange – wir haben ein zielgruppenspezifisches Programm zusammengestellt», erklärt Cristina Crotti, geschäftsführende Partnerin bei Conaptis. «Hierfür sind wir tief in die Betriebskultur der VBZ eingetaucht.» Diese hätten zur Vorbereitung eine Projektgruppe mit Schlüsselpersonen gebildet, mit der ein enger Austausch über das Umfeld und die Situation des Fahrdienstpersonals stattfand. Zudem wurden Interviews mit Fahrdienstmitarbeitenden geführt, um herauszufinden, was ihre konkreten Herausforderungen im Alltag sind und was ihnen bei der Bewältigung hilft und was nicht. «Wir fuhren sogar mit, um aus erster Hand zu erleben, wie sich der Berufsalltag gestaltet.»
Praxisnähe ist entscheidend
Als wissenschaftliche Grundlage des Trainings wurde das bekannte Resilienzmodell mit den Säulen «Akzeptanz», «Optimismus», «Lösungsorientierung», «Selbstwirksamkeit», «Verantwortung übernehmen», «Soziales Netzwerk» und «Zukunft planen» genutzt, das die VBZ schon seit einiger Zeit anwenden. «Die theoretischen Säulen wurden gemäss dem Praxisalltag der Fahrdienstmitarbeitenden in fünf anwendbare Strategien runtergebrochen wie ‹gutes Denken›, ‹Dinge anpacken›, ‹Dampf ablassen›, ‹Austausch pflegen› und ‹Unveränderbares annehmen›», sagt Ronny Zimmermann. «So hat die Zielgruppe auch wirklich etwas davon.» Cristina Crotti merkt an: «Eine angepasste Sprache ist sehr wichtig. Beispielsweise signalisiert die Aussage ‹Dampf ablassen› mit einer humorvollen Note, dass es sich um ein wichtiges Thema handelt, das sich darum dreht, wie man konstruktiv mit Emotionen umgehen kann, damit man sich schnell wieder besser fühlt.»
Conaptis erarbeitete ein praxisnahes, greifbares und abwechslungsreiches Kurskonzept, das viel Raum für Reflexion und den Austausch untereinander lässt. «Es war uns sehr wichtig, ein Programm zusammenzustellen, das das anspruchsvolle Thema Resilienz allgemein greifbar und nahbar macht. Nur so kann die Anwendung im Fahrdienstalltag tatsächlich gelingen», erklärt Cristina Crotti. «Wir setzten daher ganz bewusst auf eine grosse Methodenvielfalt wie Storytelling, Bilder, Darstellungen auf Plakaten, den Austausch in Kleingruppen und die Selbstreflexion, statt auf Präsentationen und frontale Inputs.» Zur Visualisierung werde eine persönliche künstliche Hand mit beschrifteten Fingern genutzt: «Jeder steht für einen relevanten Aspekt der Resilienz, der im Alltag angewendet werden kann. So machen wir Resilienz greifbar – im wahrsten Sinne des Wortes.» Für zusätzliche Nachhaltigkeit würden ein Transfer-Formular und Hand-Sticker sorgen, die nach dem Training abgegeben und auf die Hülle des Tablets oder des Handys geklebt werden können. Zudem kursiere bis Ende Jahr ein Modell der Hand durch die Depots und Garagen.
Eines der Elemente des Resilienztrainings ist der Umgang mit alltäglichen schwierigen Situationen anhand verschiedener Szenarien. Beispielsweise will ein Fahrgast in den Bus einsteigen, obwohl die Türen bereits geschlossen sind. Die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer diskutieren zuerst, wie die Situation eskalieren könnte: Der Fahrgast schlägt gegen die Scheibe und die Fahrerin sieht sich deshalb gezwungen, die Tür zu öffnen. Drinnen im Bus beginnt der Passagier laut zu schimpfen und beim Aussteigen zeigt er der Fahrerin den Mittelfinger. Anschliessend wurde in der Gruppe erarbeitet, wie man einem solchen stressigen Ereignis mit innerer Stärke begegnen kann, um es möglichst gut und schnell zu verarbeiten. In einem weiteren Szenario muss das Tram oder der Bus abrupt bremsen, weil jemand vors Fahrzeug läuft. Hier kann sich die Trampilotin oder der Trampilot entweder aufregen – oder aber die Situation als gegeben hinnehmen, weil die Person einfach gerade unachtsam war, wofür es vielleicht gute Gründe gibt.
«Mit den Diskussionen und der Lösungserarbeitung in Kleingruppen können wir für mehr Akzeptanz sorgen», erklärt Cristina Crotti. «Wer das gleiche erlebt, kann besser nachvollziehen, wie es anderen dabei geht. Zudem versprechen gemeinsam erarbeitete Strategien einen grösseren Lerneffekt.» Trotzdem sei es wichtig, dass der Kurs von externen Fachpersonen begleitet wird: «Einerseits bringt diese eine neutrale und teils neue Perspektive ein, andererseits stellt diese sicher, dass es neben dem Austausch auch zur Reflexion kommt.»
Resilienztraining kommt gut an
Beim Fahrdienstpersonal kommt das Resilienztraining laut den Verantwortlichen sehr gut an. «Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv», freut sich Ronny Zimmermann. «Dank der guten Methodik können wir nicht nur jene Leute abholen, die generell offen gegenüber Softthemen wie Resilienz sind, sondern auch diejenigen, die praktische Weiterbildungen bevorzugen oder solche Kurse normalerweise als ‹Gspürsch mi, fühlsch mi› sehen.» Susanne Kanzler ergänzt: «Ein weiterer Erfolgsfaktor ist sicherlich, dass wir vermitteln, dass die Gesundheit der Mitarbeitenden nicht nur im Interesse der VBZ liegt, sondern auch in jenem der Mitarbeitenden selbst. Ansonsten würden wir nicht dieselbe Wirkung erzielen.» Cristina Crotti fügt an: «Im Kurs wird nicht nur das Gesundheitsverhalten der Mitarbeitenden diskutiert und reflektiert, sondern es werden auch die Rahmenbedingungen thematisiert, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. So werden nebst den bestehenden gesundheitsfördernden Angeboten und Anlaufstellen der VBZ auch die laufenden Projekte zur Optimierung der Rahmenbedingungen in Erinnerung gerufen.» So werde für einen Gewinn gleich auf mehreren Ebenen gesorgt.
Workshop nationale BGM-Tagung in Bern
Resilienz im Betrieb stärken – Erfahrungen der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich (D)
Annette Hitz (Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz), Denise Müller (Volkswirtschaftsdirektion Kanton Zürich) und Curdin Sedlacek (Conaptis)
Datum: Mittwoch, 18. September 2024 Zeit: 11:15–12:15 / 13.30–14:30
Ort: Garten 4, Kursaal in Bern
Anmeldung: www.bgm-tagung.ch