Der wahre Mehrwert der Weiterbildung
An einem roten Faden aneinandergereiht. Für die Praxisanwendung ist das jedoch nicht zielführend. Was es stattdessen braucht.
Warum das Weiterbildungssystem nicht funktioniert. (Bild: iStock)
Anbieter versprechen Teilnehmenden eines Lehrgangs häufig eine «erfolgreiche Umsetzung» oder «Verständnis und Beherrschung der Materie». Betrachtet man die Ausschreibung aber gründlich, zeigt sich, dass das nicht funktioniert, weil vorwiegend Grundlagenmaterial vermittelt wird. Dieses Wissen ist zwar elementar und hat seinen Platz, nicht aber in der Weiterbildung, wo von der Vertiefung eines Fachbereichs gesprochen wird. Zentrales Element der Wissensvermittlung ist, den Lernenden die Zusammenhänge innerhalb eines Fachbereichs aufzuzeigen. Dabei werden zunächst einzelne Elemente erklärt. Danach wird aufgezeigt, wie diese Elemente zusammenhängen, sowie eine bestimmte Methode angewendet. Für welche Situationen sich diese eignet, ist jedoch nicht Bestandteil des Gelernten. Deshalb ist die Gefahr gross, eine vermittelte Methode unpassend einzusetzen und dadurch das Falsche zu bewirken. Das ins Storytelling zu verpacken, ist ein erster Ansatz, um Verständnis für Zusammenhänge zu schaffen, doch er reicht nicht aus.
Die Gründe, oder vielmehr Einflussfaktoren, weshalb das Weiterbildungssystem nicht funktioniert, sind:
- Individualität: In Studien wird wiederkehrend der Wunsch nach persönlicher, individueller Bildung genannt. Die Menge an lernwilligen Personen verunmöglicht die Umsetzung jedoch oft.
- Klassengrösse: Der Online-Unterricht zeigte es deutlich: Die Klassengrösse beeinflusst die Qualität des Unterrichts und den Lernerfolg. Bei einer Klasse mit 15 Personen wird beispielsweise jeder Lernende durchschnittlich gerade mal sechs Minuten individuell betreut. Dieser Wert gilt für die Grundstufe, wo 18 bis 25 Schüler die Norm sind. Ein Engpass für einen Dozenten, der seinen Unterricht an die Bedürfnisse des Einzelnen anpassen will.
- Zeitspanne: Weiterbildungen basieren auf knapp berechneten Lehrplänen. Die Vertiefung der Materie unter verschiedenen Blickwinkeln ist nicht durchführbar. Da die Lehrgänge zudem vorwiegend parallel zur beruflichen Tätigkeit verlaufen, hat der Lernende selbst kaum Zeit, sich regelmässig und tiefgehend mit Mitschülern und Dozenten abzugleichen.
- Kosten: Die Wissenserweiterung erfordert ausreichen Zeit und finanzielle Rücklagen. Je länger ein Bildungsgang dauert und je vielfältiger die Vertiefung ist, desto mehr braucht es beide Ressourcen. Das ist den Lehrgangsanbietern bewusst, was einen Einfluss auf die Gesamtqualität des Bildungsangebots haben kann.
- Wiederholbarkeit: Mit der zunehmenden Masse an Lernwilligen wurde die Wiedergabe des Lernstoffs stärker in den Mittelpunkt der Bildungsgänge gerückt. Daher wurde die individuelle Betreuung innerhalb des Regelunterrichts zwangsläufig reduziert.
- Oberflächlichkeit: Menschen verfügen über eine immense Ansammlung von Wissen. Ständig kommen neue Bestandteile und Erkenntnissen dazu. Die Dozenten unterliegen allerdings einem strikten zeitlichen Korsett. Das hindert sie daran, zusätzliches Wissen zu vermitteln.
- Kapitulation: Angesichts der genannten Faktoren kapitulieren nicht wenige Dozenten innerlich. Das hat negative Auswirkungen auf die Qualität des Lehrgangs.
Ein erster Ansatz wäre, Unnötiges zu reduzieren und Themen nicht in der grösstmöglichen Breite zu unterrichten. Der Fokus muss auf das gelenkt werden, was ein Student erfassen sollte, um das Gelernte anzuwenden und zu verstehen.
Ebenso kann das Konzept «Shu Ha Ri» des Teezeremonienmeisters Kawakami Fuhaku helfen, den richtigen Weg einzuschlagen. Tee kann jeder zubereiten, wenn er die notwendigen Schritte einhält. Das entspricht der ersten Lernstufe – der Wiedergabe des Gelernten. Die Teekunst besitzt jedoch viele Nebenschauplätze, die einen Einfluss auf das Ergebnis haben: etwa Wasser, Zeit, Handgriffe, Mengen sowie Qualität. In einem zweiten Schritt hinterfragt der Lernende den Teezubereitungsprozess und sucht eigene Wege in der Zubereitung, inklusive aller Fehler, falscher Richtungen und der daraus resultierenden Erkenntnisse. Hier befinden wir uns im Bereich der Weiterbildung. In der dritten Stufe folgt die Loslösung vom vorgegebenen Weg. Dann ist es unwichtig, wie das Basiswissen umgesetzt wird, solange es wirkt und das gewünschte Ergebnis hervorbringt.
Zwischen der zweiten und der dritten Stufe sollten sich Lernende mit anderen Könnern austauschen, sich Mentoren suchen, von ihnen lernen und von deren Erfahrungsschatz profitieren und so Fehler vermeiden. So erfahren sie, wie etwas zusammenhängt oder wie es angewandt wird, worauf zu achten ist und dass eine Methode je nach Anwendung anders wirkt. Doch was heisst das? Vermittelt ein Dozent (Meister) den Lernenden nebst dem Basisstoff auch persönliche Erkenntnisse und Erfahrungen statt einzelner Elemente und bringt er die losen Teile miteinander in Einklang, wird Lernenden weit mehr Verständnis für die Zusammenhänge vermittelt als bisher. Das ist der wahre Mehrwert einer Weiterbildung.