Der Weg von HR zu RH
Wo steht HR 20 Jahre nach der Lancierung des Business Partner Models von Dave Ulrich? Gibt es noch Visionen? – HR-Rebell Heiko Fischer hat exklusiv für HR Today ein paar provokative Gedanken formuliert.
Gastautor Heiko Fischer mag die Provokation. Mit der Forderung «Kill HR» bekannt geworden, plädiert er seit längerem für die Abschaffung von HR und für die radikale Auslegung des Machbaren im Bereich der Organisationsentwicklung und Führung. (Bild: 123RF)
«Ich bin so stolz auf mein HR-Team! Ein Prototyp für die Zukunft der Arbeit, agile Unternehmer durch und durch. Da gehen meine Mitarbeiter hin, um gute Ideen zur Reife zu bringen. Und der administrative Teil? – Zucker! Big Data aufbereitet durch Artificial Intelligence in Echtzeit, intuitiv nutzbar für HR-Laien im Business. Meine Personalchefin ist die allererste, an die ich für meine Nachfolge denke», sagte kein CEO jemals.
Das HR Business Partner Modell (HRBP) ist daran nur teilweise schuld. Auch das beste Schiff segelt nur so gut wie seine Besatzung. Nun ist es leider nicht so, dass unternehmerisch denkende Talente und Innovatoren HR als ihren ersten Karriereweg sehen. Es ist auch nicht so, dass die Geschäftsleitungen dieser Welt gewillt sind, HR die Mittel und Räume zu geben, die es bräuchte, um ein grösseres Rad zu drehen. Im Gegenteil: Das Business Partner Modell wird zu oft missbraucht, um Kosten zu drücken.
Fokussieren wir auf die wesentlichen Säulen, die bröckeln: Die Umetikettierung der Personalabteilung zum Business Partner oder Center of Expertise ohne Kundenkontakt oder Businessverständnis hat selten eine Erfolgsstory geschrieben. Der Track-Record an Misserfolg spricht für sich. Sogar die am zweitstärksten gescholtene Abteilung, die IT, hat uns abgehängt. Von dort kamen Innovationen wie agiles Arbeiten und Holacracy.
Und seitens HR? Wir rechtfertigen sexuelle Belästigung bei Uber mit guter Performance. Wir haben Diversity nicht gepusht, obwohl wir die Website dafür mit politisch korrekten multi-ethnischen Bildern schmücken. Neue Ansätze zu Performance Management? Nicht in oder aus unbürokratischem HR. Korruption und Missmanagement bei der Fifa, bei Enron, Schlecker, der Deutschen Bank oder Wells Fargo? Kein Pieps vom Wertebotschafter HR. Nichts grossartig falsch gemacht, aber Disruption verpasst wie Blackberry oder Nokia. Wo war HR Innovations-Kulturgestalter? Und so weiter ...
Polizei, Partner, Prototyp
HR, das Partnermodell und die Talente, die es beseelen, haben den Anschluss an die neue Realität verpasst. Warum? HR kann man in Phasen denken: Polizei, Partner und nun Prototyp. Zuerst waren wir die administrativen Bewahrer von Recht und Ordnung. Dann wollten wir endlich das Stigma des Kostenblocks loswerden und mit dem Business als Partner auf Augenhöhe boxen. Dave Ulrich sagt ganz klar: HR hat das Business zu spiegeln. Nun gut, wer anderen hinterherläuft, kann nie in Führung gehen, darf auch nicht disruptiv agieren, innovativ sein und aus Fehlern lernen oder andere herausfordern, sich an Werte zu halten deren Anwendung Performance kosten könnte. Sprich, sie kann nie ergebnisoffener Prototyp für die Zukunft sein. Insofern spiegeln wir doch wieder das Business und sourcen Innovation an Start-ups aus, die in der Gesamtorganisation nur tröpfchenweise homöopathische Anwendung findet.
Das Business Partner Modell kommt aus einer Zeit, als Kunden nicht vernetzter waren als Organisationen und Chefs ihre Mitarbeiter noch mehr oder weniger fachlich und disziplinarisch führen konnten. Entscheidungen liefen in der Pyramide von oben nach unten: Führen – Folgen. Es waren einfachere Zeiten. HR konnte folgen. In Zeiten von Digitalisierung und Demokratisierung gerät dieses Modell ins Wanken. Wir müssten führen, wissen aber nicht wie.
Doch bevor wir über die Zukunft der Arbeit reden, sollte man die Sinnhaftigkeit und einen klaren Auftrag über den Aktienkurs hinaus definieren, woran es bei den meisten Organisationen mangelt. Zudem fehlt es den HRlern an unternehmerischen Basic Skills. Business Modell, EBIT, ROI, Messbarkeit, NPS – für die meisten HRler Fremdwörter. In Ermangelung dieser Klarheit oder des Mutes, wenn schon nicht am Rahmen, so wenigstens mutig im eigenen Team zu experimentieren, lassen wir uns von Trends treiben und beschweren uns, nicht in die Vorstandssitzungen eingeladen zu werden. Wir sind Bürokraten, die sich als verkannte Talente sehen. Irgendwie suhlen wir uns in dieser Rolle, ohne aufzubegehren, und auch das HRBP fördert systemisch nichts Gegenteiliges.
Arbeit ist ein Produkt
Ohne Alternative sollte man sich nicht beschweren. Das Hauptproblem in vielen Organisationen ist jedoch, dass das Engagement des Einzelnen durch Sinnleere und Bürokratie gebremst wird, dass die Zusammenarbeit schlecht organisiert ist und immer neu re-engineered wird, ohne sich im Kern zu ändern. Gleichzeitig wird nachhaltig ethisches Wirtschaften weniger honoriert als kurzfristige Gewinnmaximierung. Es geht also um die gesamte Management-Logik. Also darum, wer gefeuert, befördert und belohnt wird, aber auch um
Modelle der Zusammenarbeit, die bestehendes Business optimieren und dennoch Raum für immer neue evolutionäre und disruptive Ideen in der gesamten Organisation einfordern, fördern und belohnen. Hier setzt sich immer mehr die Idee der Netzwerkorganisation als beste Antwort durch. Seit Dekaden arbeiten Aussenseiter-Industrie-Grössen wie der US-Chemiekonzern W. L. Gore, das brasilianische Maschinenbauunternehmen SEMCO oder der Spiele-Primus Valve erfolgreich in dieser radikalen Weiterentwicklung des dezentralen Führungs- und Organisationsmodells.
Weg aus dem Hamsterrad
Aus der «1st Principles»-Logik dieser Vorreiter abgeleitet, kann HR endlich einen Weg aus dem Hamsterrad finden. Den Idealzustand von 100 Prozent Unternehmertum und null Prozent Bürokratie muss HR zuerst von innen heraus selbst vorleben. Der Ansatz hierzu ist nicht eine Schablone wie Holacracy oder eine Methode wie Agilität alleine. Nein, vielmehr ist die Organisationskultur inklusive der Führungs- und Vergütungsmodelle als Produkt zu verstehen, die man schrittweise von, für und durch die Mitarbeitenden «hacken» lässt (hacken als eine Art des radikalen Experimentierens mit einem besonderen Sinn für schnelle, praktikable Lösungen verstanden; das Ergebnis ist ein «Hack»). Wenn man Arbeit also als Produkt versteht, das Teams befähigt, einen Wertbeitrag für Kunden und Mitarbeitende gleichermassen zu schaffen, ändert sich unser Verständnis von HR grundsätzlich und aus Mitarbeitenden werden langsam, aber sicher Mitunternehmer.
HR: Treiber der Netztwerkorganisation
Der Ansatz Resourceful Humans (RH) verbindet gemäss Gary Hamel und Clovis Bojikian von SEMCO alle Individuen in der Organisation miteinander. Wertbeiträge statt Titel und Hierarchien sowie Information, die frei fliesst. Selbstorganisierte Teams agieren autonom, um für den Kunden Wert zu schaffen. Autorität zum Handeln geht dorthin, wo die Information über den Kunden ist.
Aus Führen-Folgen wird Führen-Führen. Menschen bestimmen also den Prozess, nicht andersherum. HR sieht ihren Auftrag, als Prototyp dieses Netzwerks mutig voranzugehen und den Eigenversuch zu wagen. Das geht auch manchmal schief, doch Lernen ist der Preis der Innovation. HR der Zukunft erarbeitet sich Selbstbewusstsein und Standing hart durch einen agilen, vernetzten Ansatz. Es hat eine klare Meinung zu ethischem Wirtschaften und sieht sich somit als Nukleus einer besseren Arbeitswelt, die sich über den wertfreien Pragmatismus des Shareholder Values des Businesspartners erhebt und ihn doch pragmatisch zum Vorteil nutzt. Mit dem konsequenten Vorleben dieser Überzeugung wird aus der HR-Funktion eine Geisteshaltung, die sich in der ganzen Netzwerkorganisation festsetzt. HR der Zukunft gestaltet Organisation als Macht für positive gesellschaftliche Veränderung. Nicht weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist. Weil es uns zur Weiterentwicklung zwingt. Das ist der Weg von HR zu RH.
Die Resourceful Humans Story
Heiko Fischer mag die Provokation. Mit der Forderung «Kill HR» bekannt geworden, plädiert er seit längerem für die Abschaffung von HR und für die radikale Auslegung des Machbaren im Bereich der Organisationsentwicklung und Führung. Immer mit dem Ziel, «100 Prozent Unternehmertum und null Prozent Bürokratie» anzustreben.
Gewählte Chefs und autonome Teams, die selbst rekrutieren, transparente Gehälter aushandeln und mit digitalen Tools jederzeit von überall liquides Arbeiten praktizieren: Dieses demokratische Leadershipverständnis erprobte er zum ersten Mal in der Praxis als Teil des HR-Teams bei Hewlett Packard. Als Manager im Customer Service bei Ebay experimentierte er erfolgreich mit selbstbestimmten Teams und bewies die unternehmerische Umsetzbarkeit der Philosophie als Personalchef bei Europas erfolgreichster Videospielfirma Crytek. Dort schwor er die HR-Organisation bereits vor zehn Jahren auf eine agile Arbeitsweise ein. 2011 gründete er mit seinem Team die Resourceful Humans GmbH in Berlin. Ende 2014 gewann der «RH-Way»-Management-Ansatz den HR Excellence Award in der Sonderkategorie Innovation des Jahres mit einem Projekt der demokratischen Befähigung der Haufe Gruppe. Nach der erfolgreichen Einführung des RH-Way bei T-Mobile adelte Management-Guru Gary Hamel das Modell als «Maverick Approach». Heiko Fischer wurde auf die Shortlist des Xing New Work Awards gesetzt und von der deutschen Wirtschaftszeitschrift Capital als «Top-40-Unternehmer unter 40» gewürdigt.