HR Today Nr. 3/2021: Porträt & Video-Porträt

Der Zuversichtliche

Beim Karate hat Marcel Unterasinger gelernt, auf die Zähne zu beissen, durchzuhalten und trotz Schwierigkeiten seinen Optimismus nie zu verlieren. Das kommt ihm heute in seiner Funktion als HR-Leiter der Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG) zugute.

Marcel Unterasinger ist stets in Bewegung. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, als wir im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil die zur Bibliothek führende Treppe in flotten Schritten erklimmen. Es ist einer der wenigen menschenleeren Räume auf dem Gelände, wo wir uns ungestört unterhalten können. Der Himmel ist wolkenverhangen. Die Bergsicht bei schönem Wetter lässt sich durch die Fensterfront der Bibliothek deshalb nur erahnen. Das trübt die Stimmung jedoch nicht.

Ebenso sportlich nimmt Unterasinger berufliche Herausforderungen. Diese sind für den HR-Leiter der Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG) seit seinem Stellenantritt im Februar 2020 praktisch an der Tagesordnung. Beispielsweise, als das SPZ, das zur SPG gehört, mit der Covid19-Situation konfrontiert wird und in Nottwil für den Kanton Luzern ein Medical Center mit 200 Betten aufbaut. Das, um bei einer Auslastung der Spitäler weitere Covid-Erkrankte unterzubringen. «So weit ist es aber nicht gekommen», sagt Unter­asinger. Seine Erleichterung ist spürbar. Noch ist die Pandemie nicht ausgestanden und seine Mithilfe beim Kanton ist weiterhin gefragt: Sein Team erbringt alle notwendigen HR-Dienstleis­tungen für das Medical Center, die Test-drive-in-Center sowie die Impfzentren – von der Vertragserstellung bis zur Lohnbuchhaltung. Daneben fordert Unterasinger vor allem der Fachkräftemangel: «Nottwil ist kein Ballungszentrum. Pflegefachkräfte in der Peripherie zu finden, ist nicht einfach.»

Neuer Bau, neue Kultur

Ziele langfristig im Auge behalten, auch wenn es hart wird und dabei Zuversicht ausstrahlen: Diese Kombination aus Pragmatismus und Optimismus kommt Unterasinger zugute, als er 2018 nebst seiner bisherigen Rolle als Personalentwickler bei der SPG auch die HR-Funktion beim Tochterunternehmen Orthotec übernimmt. Zu diesem Zeitpunkt steht der Hilfsmittelhersteller für Menschen im Rollstuhl vor grossen Veränderungen. Seit seiner Gründung vor 26 Jahren war das Unternehmen von etwa einem Dutzend auf 80 Personen angewachsen. «Die organisatorischen Strukturen wurden aber nie richtig angepasst», sagt Unterasinger. Ausserdem seien die Platzverhältnisse sehr beengt gewesen.

Ins Rollen kommt der Kulturwandel mit dem Neubau der Orthotec-Firmenzentrale zusammen mit der Klinikerweiterung des Schweizerischen Paraplegiker-Zentrums: «Wir mussten uns überlegen, wie wir die Räumlichkeiten nutzen und die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation gestalten.» Letzteres ist für Unterasinger bald klar: Der zentralistische und autoritäre Führungsstil muss sich zum abteilungsübergreifenden Mitdenken wandeln. «Wir wollten zudem vermehrt Synergien teilen», erklärt er. «Vor der Restrukturierung hatte bei Orthotec jede Abteilung ein eigenes Lager, eine eigene Administration und einen eigenen Kundendienst. Das wollten wir ändern. Der Kunde sollte mit seinen Anliegen nicht mehr von Abteilung zu Abteilung gehen, sondern alles aus einer Hand erhalten.» Zeitgleich erzwingen politische Änderungen Sparmassnahmen: «Die Mittel- und Gegenständeliste, die vorgibt, welche Leistungen den Krankenversicherten zu welchem Tarif verrechnet werden, ist angepasst worden.» Unterasinger rechnet mit Einnahmeverlusten: «Unsere Dienstleistungen sind nicht billiger geworden, wir mussten sie aber zu einem günstigeren Tarif verkaufen. Eine Restrukturierung war deshalb nötig.»

Vom Geschäftsführer der Orthotec erhält Unterasinger für sein Vorhaben einen Vertrauensvorschuss. «Er hat mir den Rücken gestärkt und war stets mein Sparring-Partner.» Der Veränderungsprozess beim Hilfsmittelhersteller gelingt ohne Stellenabbau. Dennoch ist die Verunsicherung über alle Hierarchiestufen hinweg gross, auch in der Geschäftsleitung: «Wir konnten nicht abschätzen, wie wir die zentrale Adminis­tration künftig gestalten und welche Aufgaben die Mitarbeitenden haben. Deshalb rekrutierten wir nicht nach vorgegebenen Profilen.» Dieses Vorgehen war für die Mitarbeitenden befremdlich. «Sie wussten nicht, ob es ihr Team nach der Umstrukturierung noch gibt, welche Aufgaben sie haben und mit welchen Menschen sie zusammenarbeiten würden», sagt Unterasinger. Um sie zu beruhigen, führt er mit dem Geschäftsführer quartalsweise Personalinformationsanlässe durch und erklärt den Mitarbeitenden das Wunschorganigramm. Ein repetitives Unterfangen für ihn und die Geschäftsleitungsmitglieder: «Wir haben unsere Vision immer wieder kommuniziert und aufgezeigt, wie weit wir in der Umsetzung sind.»

Mit Durchhaltevermögen zum Erfolg

«Never give up» kennt Unterasinger auch im Privaten. Ein Motto, dass er sich mit 14 Jahren zu eigen macht, als er mit dem Karate-Training beginnt. Bald ist sein Wettkampfgeist geweckt: «Anfangs war ich anderen enorm unterlegen. Deshalb wollte ich besser werden und gewinnen.» Das bleibt nicht unbeachtet: «Mein Trainer hat meinen Ehrgeiz bemerkt und mich gefördert.» Innert kürzester Zeit ist Unterasinger an Turnieren dabei und schafft es im Vollkontakt-Karate bis in die Nationalmannschaft. Eine gesundheitliche Einschränkung zwingt ihn aber im Jahr 2000, mit 23 Jahren zurückzutreten. Kein Grund, aufzugeben. Stattdessen widmet sich Unterasinger dem Kata, einer anderen Form von Karate ohne Körperkontakt, und ist international bald wieder auf dem Siegerpodest zu finden. An Wettkämpfen nimmt er heute nicht mehr teil und auch als Nationaltrainer ist er zurückgetreten. «Als ich meine neue Funktion als HR-Leiter Anfang 2020 angefangen habe, fehlte mir die Zeit fürs Training.»

Aus Unterasingers Sportkarriere geblieben ist die Erkenntnis, in schwierigen Situationen durchzuhalten. Ein Verhalten, das für Unterasinger meist mit Erfolg gekrönt war. «Ich überlege mir immer, wie viel Zeit ich investiere, um eine Situation zu verbessern. Ich gebe nicht einfach auf.» Doch manchmal wird es auch Unterasinger zu viel: Beispielsweise 2006 bei DHL, wo der damals 29-Jährige als Sales- und Marketingtrainer «keinen klaren Auftrag hat» und sich sein Chef für seine Tätigkeit nicht interessierte. Nach einem Jahr kündigt er seine Stelle. Bei Coca-Cola werden für Unterasinger die Folgen eines Kulturwandels erst Anfang 2013 deutlich, als er bereits sechs Jahre im Unternehmen tätig ist: «Meine Position als Leiter der internen Trainingsabteilung hatte sich so grundlegend verändert, dass ich nicht mehr dahinterstehen konnte. Zudem war die Führungskultur militärischer geworden. Ich wollte das aber lange nicht wahrhaben.» Trotzdem kommt das Ende für Unterasinger überraschend. Erst als auch in seinem Team Stellen gestrichen werden, gehen ihm die Augen auf: «Ich wusste plötzlich, dass ich nicht mehr am richtigen Ort war.» Unterasinger nutzt die Pause nach einem Outplacement für einen dreimonatigen Urlaub auf den Philippinen und dafür, sich neu zu orientieren.

Vom Kursprogramm zur Personalentwicklung

Seinen beruflichen Neuanfang wagt Unterasinger im August desselben Jahres bei der Schweizer Paraplegiker-Gruppe als Personalentwickler. Dort will er das Kurswesen zu einem Personalentwicklungsprogramm aufbauen. Doch was heisst das? «Entwicklungsziele eines Mitarbeitenden lassen sich nicht allein durch Standardkurse erreichen. Vielmehr müssen Vorgesetzte klären: ‹Wo will mein Mitarbeitender hin und was braucht er dafür?›» Das bedeute vor allem, Perspektiven im Unternehmen aufzuzeigen und zu klären, wie sich jemand die für eine angestrebte Position erforderlichen Fähigkeiten aneignen könne – beispielsweise durch On-the-Job-Learnings, Mentoring oder Coachings.

Den Sprung von der praktischen zur strategischen Personalentwicklung geht Unterasinger unbeschwert an. «Mehr als scheitern konnte ich ja nicht. Praktisches Personalentwickler-Know-how hatte ich zudem bei Coca-Cola, DHL und Postfinance gesammelt. Die Thematik war mir also nicht fremd.» Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden kann er bei seinem Stellenantritt nach einem einmonatigen Praktikum in Abteilungen wie der Pflege, dem Operationssaal oder den Therapien des SPZ recht gut einschätzen. Daneben knüpft er zahlreiche Kontakte: «Ich habe viele Mitarbeitende kennen gelernt und mit Entscheidungsträgern geredet.» Ein Netzwerk, das ihm heute als HR-Leiter der Schweizer Paraplegiker-Gruppe in allen weiteren Vorhaben nützt.

Zur Person

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Marcel Unterasinger (43) wächst im aargauischen Wohlen auf und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern noch heute dort. Die Familienaufgaben teilt er sich mit seiner Frau und ­arbeitet deshalb in einem 80-Prozent-Teilzeitpensum. Bis zum Alter von 33 Jahren gehört er der Schweizer Karate-Nationalmannschaft an, wird sechsmal Schweizermeister und erringt zwei WM-Bronzemedaillen. Danach amtet er neun Jahre als Nationalcoach.

Nach einer Aus­bildung zum Eidgenössisch diplomierten Postkaufmann bekleidet Unterasinger verschiedene ­Positionen im Marketing und in der Personalentwicklung bei Postfinance, bevor er 2006 Marketing und Sales Trainer bei DHL Express Schweiz und 2007 Sales und Functional Trainer bei Coca-Cola Schweiz wird. Nach einer Restrukturierung verlässt Unterasinger 2013 das Unter­nehmen und wechselt zum Schweizer Paraplegiker-Zentrum. Zunächst in einer Funktion als Verantwortlicher Personalentwicklung, ist er seit 2017 Mitglied der erweiterten Geschäfts­leitung, seit 2019 stellvertretender Leiter HR und seit Februar 2020 HR-Leiter der Gruppe – und damit für knapp 2000 Mitarbeitende verantwortlich. Unterasinger hat ein MAS-Studium in Angewandter Psychologie absolviert und trainiert im Karate-Club Wohlen Erwachsene und Kinder.

Ein Tag im Leben von Marcel Unterasinger:

  • 05:45 Uhr: Aufstehen, Frühstücken, Zeitung lesen.
  • 06:45 Uhr: Mit dem Auto nach Nottwil fahren.
  • 07:30 Uhr: Ankunft im SPZ und die Mitarbeitenden begrüssen, die bereits vor mir im Büro sind.
  • 08:00 Uhr: Postmappe sichten, E-Mails lesen, mir einen Überblick über die Tagesaufgaben verschaffen.
  • Vormittags: Administrative Aufgaben, ­Gespräche mit Teammitgliedern und aktuell Krisenstab-Meetings.
  • 12:00 Uhr: Mittagessen mit dem Team oder Sport und Sandwich am Arbeitsplatz.
  • 14:00 Uhr: Workshops, Projektmeetings, ­Gremiensitzungen in der Geschäftsleitung, der Personalkommission, der Direktoren­konferenz oder im Stiftungsrat, Jubiläums­gespräche mit Mitarbeitenden.
  • 17:30 Uhr: Aufträge erledigen oder ­delegieren, E-Mails bearbeiten, Termine für den nächsten Tag planen.
  • 18:30 Uhr: Mit dem Auto nach Hause fahren.
  • 19:15 Uhr: Ankunft zu Hause, Nachtessen und Zeit mit der Familie oder Hobby und Sport.
  • 22:45 Uhr: Nachtruhe.

Was motiviert Sie, morgens zur Arbeit zu gehen?
Das Wissen, dass ich mit meiner Arbeit ­einen Teil zum Gedeihen einer Organisation beitragen kann, die für mich einen ­gesellschaftlich hohen Wert hat.

Wie beginnen Sie Ihren Arbeitstag?
Ich begrüsse meine Mitarbeitenden, lese meine Post und E-Mails und verschaffe mir einen Überblick.

Wie verbringen Sie Ihre Mittagszeit?
Entweder esse ich mit meinem Team, gehe schwimmen oder in einen Fitnessraum auf unserem Campus, wenn es nicht gerade ­Corona verbietet.

Ihre letzte Tat des Tages
Ich prüfe, ob ich noch einige E-Mails beantworten muss, welche Termine in den nächs­ten Tagen anstehen und was für den nächsten Tag geplant ist.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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