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Die Krisenmanagerin
Herausforderungen sieht Christina Trelle, Head of HR bei Swiss International Air Lines (Swiss), gelassen entgegen. Eine Charakterstärke, die sich bei der Bewältigung der aktuellen Covid-19-Pandemie bewährt.
«Ich fühle mich im Krisenmodus wohl», sagt Christina Trelle, Head of HR der Swiss. (Fotos: Aniela Lea Schafroth)
Mitte März. Am Flughafen Zürich herrscht Stille. Die meisten Swiss-Flugzeuge sind am Boden. Bilder, die an das Swissair-Grounding 2001 erinnern. Es sind jedoch die Folgen der Covid-19-Pandemie, die das Flugunternehmen auf den Boden zwingen. Seit Juli nimmt das Fluggeschäft zwar langsam wieder Fahrt auf, doch Normalität ist bei Swiss noch lange nicht eingekehrt. «Momentan schreiben wir täglich knapp eine Million Franken Verlust», sagt Christina Trelle, Head of HR bei Swiss. Ihre Stelle hat sie kurz vor dem Lockdown am 1. März angetreten. Dass dies mit einer Pandemie zusammentreffen würde, war auch für sie nicht abzusehen. Auf ihre Stelle verzichtet hätte sie jedoch nicht. «Ich fühle mich im Krisenmodus wohl.» In komplexen Situationen müsse man schnell reagieren und Lösungsansätze ausarbeiten. «Das gefällt mir.» Ebenso die Dynamik, die dabei entstehe.
Als während des Lockdowns vorwiegend Fracht und nur wenige Passagiere befördert wurden, sind viele innerbetrieblichen Prozesse bei Swiss von dieser Veränderung betroffen: «Das hat die Abläufe ganzer Abteilungen auf den Kopf gestellt», sagt Trelle. Das Unternehmen reagiert jedoch rasch. Um die Cargo-Flüge abzuwickeln, finden sich innert kürzester Zeit abteilungsübergreifend neue Teams zusammen: von der Technik über das Marketing bis zur Rechtsabteilung. Auch das 80-köpfige HR-Team muss sich von einem Tag auf den anderen gänzlich neuen Aufgaben widmen: So organisiert ein Teil der HR-Mitarbeitenden die Kurzarbeit der 9000 Swiss-Mitarbeitenden, während Kollegen aus verschiedenen HR-Teams in übergreifenden Taskforces arbeiten, die sich um Schutzkonzepte oder Ideen für Arbeitsmodelle kümmern, die nach der Kurzarbeit in Kraft treten sollen. Ein HR-Consultant unterstützt zudem in der HR-Kommunikation. «Wir haben noch nie so viel kommuniziert», so Trelle. Diese neu entstandene Flexibilität will sie beibehalten.
Von London nach Frankfurt
Dass Krisen Chancen sein können, weiss die 51-jährige HR-Leiterin spätestens seit dem 11. September 2001, als Flugzeuge in die Twin Towers in New York rasen und Lufthansa in der darauffolgende Reisekrise einigen ihrer Mitarbeitenden einen unbezahlten Urlaub anbietet, um Kosten zu sparen. Davon profitiert auch Trelle, die in London beim Flugriesen als People-Development-Managerin arbeitet. Sie nimmt einen Sabbatical und verreist für ein halbes Jahr. Zunächst nach Neuseeland, wo sie auf einer Schaffarm arbeitet, später nach Namibia, wo sie in einem Reitstall Pferde pflegt. Erlebnisse, die sie erden und zu einem Neustart motivieren: «Ich habe mich entschieden, London zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren.»
Nach ihrer Auszeit geht Trelle deshalb nicht nach England, sondern tritt 2003 in Frankfurt eine Stelle in der Personalentwicklung bei Lufthansa Cargo an. 2005 wagt sie sich für zwei Jahre ins operative Cargo-Geschäft, bevor sie 2007 wieder ins HR Gefilde zurückkehrt. «Meine Erfahrungen als Export-Gruppenleiterin möchte ich nicht missen», sagt Trelle. «Ich blicke seither aus Liniensicht auf HR-Themen.» Ein erneuter Wechsel innerhalb des Konzerns steht 2012 an: Trelle kommt zu Swiss und zieht in die Schweiz. «Nach zehn Jahren bei Lufthansa Cargo in Frankfurt wollte ich nochmals woanders hin. Hierher zu kommen, war eine gute Entscheidung.»
HR in Krisenzeiten
Christina Trelle sucht die Nähe zu ihren Mitarbeitenden. «Es ist mir wichtig, die Krise zusammen mit ihnen möglichste gut zu bewältigen. Aktuell geht das leider nur mit Budgetkürzungen, Kurzarbeit und Einstellungsstopps.» Das betreffe alle Beschäftigten, mit Ausnahme der Lernenden: «Auch in Krisen nehmen wir unsere soziale Verantwortung wahr. Deshalb bilden wir weiterhin junge Menschen im kaufmännischen und technischen Bereich aus.»
Die Kurzarbeit und Krisenbewältigung dominieren Trelles HR-Alltag immer noch: «Wir können noch bis August 2021 Kurzarbeit beantragen.» Ihr Ziel: Arbeitsplätze zu erhalten. «Bislang mussten wir niemanden betriebsbedingt entlassen.» Dennoch sei mit Abgängen zu rechnen. Etwa durch Fluktuationen, anstehende Pensionierungen oder auslaufende Arbeitsverträge. Besonders schmerzen würde die ehemalige Personalentwicklerin allerdings der Verlust von Swiss-Nachwuchskräften. Eine Gefahr, die nicht von der Hand zu weisen ist. «Hochmotivierten Mitarbeitenden klarzumachen, dass manche von ihnen aktuell am meisten helfen, wenn sie weniger arbeiten, ist schwer zu vermitteln.» Um sie möglichst an Bord zu halten, hat die interne Kommunikation für Trelle eine grosse Bedeutung. «Wir kommunizieren die betrieblichen Entwicklungen auf allen Unternehmenskanälen. Ausserdem haben wir unsere Führungskräfte entsprechend sensibilisiert.»
Dass Swiss scharenweise Mitarbeitende verliert, sei jedoch nicht zu befürchten. «Die Loyalität der Mitarbeitenden gegenüber dem Unternehmen ist immer noch sehr gross. Wir besitzen eine starke Arbeitgebermarke», sagt Trelle. 2018 und 2019 mehrfach als attraktivster Arbeitgeber ausgezeichnet, trägt das Unternehmen das LGBT-Label, engagiert sich für die Wiedereingliederung von erkrankten Mitarbeitenden, integriert verschiedene Nationalitäten und achtet auf eine Altersdurchmischung. Einzig die Genderdiversität auf Führungsebene gäbe noch Anlass zur Diskussion. «Wie viele andere Firmen verlieren wir Frauen auf dem Weg nach oben, trotz Kaderteilzeit- und Jobsharing-Modellen. Dieses Thema packe ich aber nach der Krise an.»
Digital durch die Krise
Nicht nur beim Employer Branding, auch beim Talent Management sowie bei den Aus- und Weiterbildungen liegt derzeit vieles brach. «Wir haben praktisch alle Projekte auf Eis gelegt und bewilligen einzig betriebsnotwendige Lizenz-Kurse, beispielsweise für Piloten oder Techniker.» Ein Glück, dass noch kurz vor dem Lockdown das E-Learning-Tool «LinkedIn Learning» im Betrieb implementiert wurde. «Damit können sich unsere Mitarbeitenden individuell und von überall her weiterbilden.» Lernmodelle und Remote Work funktionierten bei Swiss. «Wir haben unsere Hausaufgaben in der Digitalisierung in den letzten Jahren gemacht», sagt Trelle. Dennoch gebe es auch bei Swiss im Bereich Digitalisierung noch Luft nach oben – beispielsweise bei den Self-Service-Tools für Mitarbeitende und Führungskräfte. «Zurzeit fehlen uns jedoch die personellen und finanziellen Kapazitäten. Das wird sich so schnell nicht ändern.» Swiss stünden herausfordernde Zeiten bevor. Trotzdem bleibt Trelle optimistisch: «Das muss ich auch in meiner Funktion.»
Zur Person:
Ein Tag im Leben von Christina Trelle:
- 5:45 Uhr: Stehe ich auf.
- 6:45 Uhr: Bin ich im Sommer meistens schon im Büro. Mit einem Kaffee in der Hand und Musik auf den Ohren checke ich die ersten E-Mails.
- Vormittags: Ausserhalb der Krisenzeiten dominieren Meetings meinen Tag. Ich schätze die Dynamik und den Austausch von Teamsitzungen. Während der Krisenzeit kamen Arbeiten in verschiedenen Taskforces hinzu.
- Mittag: Ich esse mit meinen Teamkollegen am grossen Tisch im HR-Büro. Das ist eine gute Möglichkeit, sich mit ihnen informell auszutauschen, oder ich verabrede mich am Mittag mit bestimmten Arbeitskollegen von Swiss, um den Kontakt zu halten.
- Nachmittags: Analog Vormittag.
- Feierabend: Mein Arbeitstag endet situationsabhängig zwischen 16 und 20 Uhr. Danach gehe ich ins Fitness, zum Dressurreiten oder mit Freunden auf einen Drink.
- 23 Uhr: Schlafenszeit.