Die digitale Transformation erfolgreich gestalten
Vielfach scheitern Digitalisierungsprojekte an einseitiger technologischer Fokussierung. Weshalb ein integrierter Ansatz entscheidend ist, um strukturelle, kulturelle und technologische Aspekte zu vereinen und nachhaltigen Erfolg zu sichern.
Für eine digitale Transformation reicht nicht nur der Einsatz von digitalen Arbeitstools, es erfordert auch einen Wandel in der Unternehmenskultur. (Bild: iStock)
Die Digitalisierung ist weiterhin aufgrund der rasanten Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik einer, wenn nicht gar der stärkste Change-Treiber in der Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu kommt, während die Organisations- und Personalentwicklung in Unternehmen zumeist linear verläuft, bewirkt der technologische Wandel oft disruptive Brüche. Auch deshalb werden, wenn es um das Thema digitale Transformation geht, so häufig Start-ups gegründet.
Das Ziel Kostensenkung dominiert oft in der DACH-Region
In der DACH-Region und den USA sind die Motive und Ziele von digitalen Transformationsprojekte unterschiedlich. Studien (wie zum Beispiel die NTT DATA Transformationsstudie 2023) zeigen: Während in der DACH-Region Kostensenkung ein, wenn nicht gar das zentrale Ziel ist, liegt in den USA der Fokus viel stärker auf den Themen Organisation, Kundenservice und neue Geschäftsmodelle. Deshalb wird auch der Erfolg der digitalen Transformationsprojekte in der DACH-Region viel kritischer als in den USA bewertet, denn: Das Ziel Kostensenkung wird in den Projekten häufig nicht erreicht; im Gegenteil oft werden die Digitalisierungsprojekte zu Kostenruinen.
Der Projektfokus liegt oft einseitig auf der technischen Innovation
Bei vielen Digitalisierungsprojekten liegt der Fokus auf dem Bereitstellen der neuen Technologie. Die Projekte werden also eher als Innovations- denn als Transformationsprojekte gesehen, bei denen zunächst einmal die oberste Führung verstehen muss,
- welche technologischen Möglichkeiten es aktuell und in naher Zukunft überhaupt gibt,
- wie diese technologischen Möglichkeiten in unternehmerischen Wert übersetzt werden können und
- welche Voraussetzungen hierfür auf der organisatorischen und personellen Seite nötig sind.
Weil in vielen Digitalisierungsprojekten, die auf eine Transformation der Organisation abzielen, der Fokus primär auf der technischen Innovation liegt, werden in ihnen häufig die mit Einführung der neuen Technologien verbundenen strukturellen und kulturellen Aspekte vernachlässigt. Deshalb sind die Veränderungen oft nicht nachhaltig und die Entwicklungsziele sowie betriebswirtschaftlichen Ziele werden nicht erreicht.
Um dies zu vermeiden, bedarf es eines integrierten digitalen Transformationsansatzes, der auch die Organisations- und Kulturentwicklung sowie Digitalkompetenz umfasst. Existiert ein solcher Ansatz nicht, kämpft das Unternehmen beim Planen und Realisieren des Projekts immer wieder mit folgenden Problemen:
- Den Top-Entscheidern fällt es unter anderem aufgrund der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik schwer, sich für einen Lösungsweg zu entscheiden. • Die IT-Budgets werden immer höher, ohne dass die Performance steigt.
- Die technische Infrastruktur gleicht zunehmend einem Flickenteppich von digitalen Lösungen, ohne eine erkennbare digitale Gesamtarchitektur.
- Einzelne Geschäftseinheiten preschen unkoordiniert beim Einführen innovativer digitaler Lösungen vor, ohne dass zuvor aus den Unternehmenszielen abgeleitete Standards definiert wurden, die hierbei einzuhalten sind.
- Mitarbeitende fühlen sich von der Transformation zunehmend überfordert, auch weil ein Kompass fehlt, der ihnen eine Orientierung gibt. Entsprechend gross sind die Widerstände.
- Der digitale Reifegrad der Organisation bleibt trotz aller Anstrengungen hinter dem Wettbewerb zurück.
- Das Management hat Probleme, das Gesamtprojekt und die Unternehmensentwicklung zu steuern.
Einen integrierten digitalen Transformationsansatz entwickeln und realisieren
Beim Entwickeln eines integrierten digitalen Transformationsansatzes gilt es, vier Ebenen zu unterscheiden.
1. Verständnisebene
Digitalisierung ist ein fortlaufender Prozess. Deshalb existiert in den meisten Unternehmen bereits ein riesiger Fundus von IT-Lösungen mit zahlreichen Technologie- und Informationsbrüchen. Zudem ist die Erwartungshaltung bezüglich der Digitalisierung oft verschieden: Während sich manche zum Beispiel mehr Geschwindigkeit wünschen, befürchten andere eine Überforderung der Organisation. Das heisst, auf der Agenda steht auch die Frage nach der Veränderungsfähigkeit und -geschwindigkeit. Ein gemeinsames Verständnis über die Ausgangslage zu schaffen, ist eine Voraussetzung für das Entwickeln einer integrierten Digitalisierungsstrategie.
In dieser Phase gilt es unter anderem den digitalen Reifegrad der Organisation zu bestimmen. Dazu gehört auch
- das Entwerfen eines Zielbilds,
- ein Ermitteln des Reifegrads im Vergleich zu den Wettbewerbern,
- ein Abgleich der aktuellen Unternehmenskultur, der organisatorischen Aufstellung sowie der Qualifikation der Mitarbeiter mit dem Zielbild und
- das Entwickeln einer ersten Roadmap für den digitalen Transformationsprozess.
Grafik 1: Möglicher Ablauf eines digitalen Reifegradchecks. Ein Reifegradcheck besteht normalerweise aus einem 4- bis 6-wöchigen Stream, in dem das digitale Effizienzpotenzial des Unternehmens einschliesslich eines groben Realisierungsplans mit seinem Potenzial (Hauptthemen: Strategie, Organisation, Struktur, Architektur, Technologie, Beschaffung) bewertet wird.
Das setzt wiederum
- eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Systeme, Technologien und Systembrüche und
- das Erzielen eines Alignments und Commitments im Management bezüglich der Ausgangssituation sowie der Ziele voraus.
2. Designebene
Hier geht es darum, ein Konzept zu erstellen, das die Strategie, Struktur und Prozesse sowie die Kultur und Fähigkeiten der Organisation zusammenbringt. Es gilt eine integrierte Digitalisierungsstrategie zu entwickeln, die umsetzbar ist, auch weil sie dem Reifegrad der Organisation und ihren Ressourcen entspricht.
Ein zentrales Element der digitalen Transformation ist die Veränderung der Unternehmenskultur hin zu mehr Kollaboration, Offenheit, Performance-Orientierung und Transparenz. Das setzt ein Wertemanagement voraus, das die in der Organisation vorhandenen und angestrebten Werte definiert und für die Mitarbeiter transparent macht. Dabei geht es sowohl um die «harten», also auch «soften» Werte, die für den Unternehmenserfolg relevant sind. Diese Werte gilt es so zu operationalisieren, dass sie messbar sind und zum Beispiel in einem Werteradar visualisiert werden können (siehe Grafik 2)
Grafik 2: Beispiel eines möglichen Werteradars.
In dieser Phase gilt es auch, das technisch und kulturell Mögliche sowie die Unternehmensziele zu kalibrieren; ausserdem eine Transformationsarchitektur zu entwerfen, die eine Balance zwischen den Unternehmenszielen, dem Reifegrad der Organisation und dem technisch Machbaren gewährleistet. Am Ende dieser Phase steht ein erster Plan, wie die integrierte digitale Transformation angegangen werden soll. Er muss im Umsetzungsprozess permanent überprüft und angepasst werden.
3. Umsetzungsebene
Bei der Umsetzung geht es unter anderem darum, den Transformationsprozess professionell zu begleiten und sicherzustellen, dass alle Beteiligten gut getaktet zusammenarbeiten. Ein Programm-Management, das
- die Technologie, Business-Ziele und Personalentwicklung ausbalanciert und
- alle relevanten Stakeholder vom (Top-)Management, über die (firmeninternen) Kunden und die IT- und HR-Bereiche bis hin zu den Technologie-Lieferanten involviert, ist hierbei der zentrale Schlüssel für den Erfolg.
Auf Basis des Programmdesigns ergeben sich unter anderem folgende Umsetzungsschritte:
- PMO-Struktur zur Steuerung aufbauen.
- Qualifizierung des oberen Managements,
- Kommunikations-Roll-Out (Ziele, Vorgehen, Verantwortlichkeiten)
- Projektidentifikation, Integration und Priorisierung (Umsetzungsportfolio),
- Steuerungsstruktur der Ziele und dazugehörigen Projekte (Projektlandschaft),
- Qualifizierung der Projektleiter auf Methoden und Vorgehensweisen,
- fortlaufende Reviews und Anpassungen sowie Change-Kommunikation.
Dabei gilt es stets die vier in der Grafik 3 dargestellten Ebenen der integrierten Umsetzungssteuerung zu beachten, da diese interagieren und in ihrer Interdependenz gleichberechtigt sind:
Grafik 3: Die vier Ebenen einer integrierten Umsetzungssteuerung
Organisationen sind traditionell primär funktional strukturiert. Zum Erreichen einer Operative Excellence ist eine grundlegend andere Betrachtung der Prozesse nötig. Eine umfassende End-to-End- beziehungsweise E2E-Prozessorganisation stellt sicher, dass alle Abläufe in einem Geschäftsprozess bestmöglich zusammenarbeiten.
Während in den traditionellen Digitalisierungsprojekten, die lokale und funktionale Verbesserung im Vordergrund steht, geht es bei der integrierten digitalen Transformation um lange Prozessketten. Beispielhaft seien folgende Prozessketten genannt:
- OTC = order-to-cash
- P2P = procure-to-pay
- I2M = idea-to-market
Die Verankerung einer E2E-Organisation parallel zur funktionalen Organisation erfolgt durch ein Rollenmodell, das durch die folgendenen vier Rollen definiert ist:
- Process Owner
- Key User
- Competence Center
- Business Owner
Grafik 4: Verankerung einer End-to-End-Organisation parallel zur funktionalen Organisation
Verankerung. Das zentrale Ziel aller integrierten digitalen Transformationsprojekte ist es, in der Organisation ein neues Zusammenarbeitsmodell zu etablieren und dieses so zu verankern, dass die neue Art, wie in der Organisation an der Digitalen Transformation gearbeitet wird, zum neuen Standard wird. Wichtig ist es deshalb, die neuen Rollen und Verantwortlichkeiten einzuüben. Das erfordert auch einen prozessbegleitenden Support der Inhaber der verschiedenen Rollen sowohl fachlich als auch persönlich.
Ziel: Eine ganzheitliche und nachhaltige Unternehmensentwicklung
Durch ein so strukturiertes Vorgehen bekommen die Unternehmen eine integrierte digitale Transformation, die exakt zu ihnen passt und langfristig ihren Markterfolg sichert, da hierbei die unternehmerischen Problemstellungen nachhaltig gelöst werden. Zudem werden Mitarbeitende befähigt, das Thema künftig eigenständig voranzutreiben. Die gewünschte Nachhaltigkeit entsteht durch die organische Verbindung der technologischen Innovation mit einer zielorientierten Organisations- und Personalentwicklung – insbesondere Führungskräfteentwicklung. Dabei spielen das Involvement und die Qualifizierung des Top-Managements eine Schlüsselrolle, denn dieses muss der Prozesstreiber sein. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg ist es deshalb auch, wo das Wandel- bzw. Transformationsprojekt organisatorisch verankert ist.
Bei den Innovationsprojekten der Vergangenheit, deren Ziel es weitgehend war, gewisse Aufgaben durch den Einsatz von IT-Technik zu effektivieren, lag die Verantwortung für das Realisieren der Projekte meist beim Leiter der IT-Abteilung, oft auch CIO genannt. Sein Team implementierte die Technik und schulte die Mitarbeiter. Die Projektverantwortung trugen also die Personen, die das grösste IT-Know-how hatten. Dadurch lag der Projektfokus automatisch auf der Technik bzw. auf der aus Sicht der IT-Experten technisch besten Lösung.
Ähnlich verhielt es sich bei den Innovationsprojekten, die auf das Optimieren einzelner Prozesse abzielten. Bei ihnen gab das Top-Management zwar oft zunächst das Projekt und die erforderlichen Mittel frei, die Verantwortung für die Umsetzung lag aber meist
- beim IT-Leiter oder CIO, also dem Leiter der Abteilung mit dem grössten IT-Know-how, und
- bei den Leitern der betroffenen Fachabteilungen, weil sie den sogenannten «Need» vor Ort am besten kannten.
Dadurch standen beim Projektmanagement solche Fragen im Vordergrund wie
- «Was ist die IT-technisch beste Lösung?» und
- «Welche Lösung bietet uns als Fachabteilung den grössten Nutzen?»
Eine eher untergeordnete Rolle spielten hingegen Fragen wie:
- «Welche Lösung wäre aufgrund der Strategie und Entwicklungsziele des Unternehmens sinnvoll?» Und:
- «Wie kompatibel sind die angedachten Lösungen mit der (angestrebten) IT-Architektur im Unternehmen?»
Das Top-Management muss die Verantwortung tragen
Eine solche Verlagerung der Projektverantwortung auf die Fachebene ist auch heute noch möglich und zuweilen sogar sinnvoll – unter anderem weil die Unternehmen heute einen viel grösseren Erfahrungsschatz beim Einführen und Implementieren von digitalen Problemlösungen als vor 10, 20 oder gar 50 Jahren haben. Deshalb hat sich auch der Charakter vieler Projekte bzw. Vorhaben im Digitalbereich geändert: Aus früheren Innovationsprojekten wurden Routineprojekte und aus Akzeptanzprojekten Innovationsprojekte.
Anders sieht dies jedoch bei den Wandel- oder Transformationsprojekten aus, bei denen es darum geht, dass Unternehmen sich strategisch neu in ihren Märkten positionieren und sich teilweise neu erfinden. Für das Planen und Realisieren solcher Projekte ist neben einem strategischen Denken auch ein unternehmerisches Denken nötig. Es erfordert zudem eine Vision:
- Wie entwickelt sich voraussichtlich unser Markt?
- Welche Chancen und Risiken ergeben sich hieraus für unser Unternehmen?
- Welche neuen Problemlösungen werden künftig auch aufgrund der technologischen Entwicklung möglich sein?
- Welche Produkte und Leistungen werden künftig von unseren Zielkunden nachgefragt werden?
Deshalb muss die Verantwortung für diese Projekte auf der Top-Ebene der Unternehmen angesiedelt sein und bleiben, selbst wenn die Verantwortung für das Realisieren gewisser Teilprojekte an Fachabteilungen delegiert wird. Zudem müssen die Verantwortlichen auf der Top-Ebene, wenn die Entwicklung der IT-Technik einer der grösste Change-Treiber ist und bleibt, eine höhere Digitalkompetenz als früher haben, damit sie über die erforderliche Beurteilungskompetenz verfügen, um einzuschätzen,
- welche Problemlösungen aufgrund der technologischen Entwicklung (nicht nur) im IT-Bereich künftig möglich sind und
- welche Relevanz diese für die Strategieentwicklung und das Geschäftsmodell des Unternehmens haben.
Denn nur, wenn das Top-Management über diese Kompetenz verfügen, kann es das Gesamtprojekt so aufsetzen, dass dieses dem Bedarf der Organisation entspricht. Zudem kann es nur dann im Projektverlauf auch einschätzen, inwieweit die Entwicklung des Unternehmens dieses dem Ziel, langfristig einer der Top-Player im Markt zu sein, auch wirklich näherbringt.